Bessere Kostenerstattung lässt Ärzte leitliniengerechter verschreiben
Ärzte entscheiden sich auch in Deutschland aus Angst vor Regressansprüchen nicht selten für die günstigere Therapie, statt moderne, von Leitlinien empfohlene Medikamente zu verschreiben. In einer Studie zeigt sich nun, welchen Einfluss eine bessere Kostenerstattung auf das Verschreibungsverhalten bei Herzinfarktpatienten haben kann.
Eine verbesserte Kostenerstattung für leitliniengerechte moderne Medikamente könnte das Verschreibungsverhalten von Ärzten signifikant verbessern. Ein solcher Effekt hat sich in der aktuell beim ACC-Kongress in Orlando präsentierten ARTEMIS (Affordability and Real-world Antiplatelet Treatment Effectiveness After Myocardial Infarction)-Studie gezeigt.
Die Langzeitprognose von Patienten nach akutem Herzinfarkt wird durch die zur Sekundärprophylaxe empfohlene Antiplättchentherapie entscheidend verbessert. Dennoch beenden bis zu 60 % aller Patienten diese Behandlung frühzeitig, und setzen sich damit einem entsprechend erhöhtem Risiko für ein verschlechtertes Outcome aus.
Mehrkosten von modernen Thrombozytenhemmer schrecken ab
Modernere Thrombozytenhemmer wie Prasugrel oder Ticagrelor sind insbesondere im Vergleich zu den klassischen Therapien wie Acetylsalicylsäure und Clopidogrel mit relativ hohen Tagestherapiekosten verbunden. Dies führt zum einen zu zurückhaltendem Verschreibungsverhalten der Ärzte aus Angst vor Regression durch die Krankenkassen. Zum anderen kann dies in Krankenkassensystemen, in denen die Patienten substanziell an den Medikamentenkosten beteiligt sind, die Einnahmetreue deutlich beeinträchtigen.
Forscher um Tracy. Y. Wang haben sich deshalb die Frage gestellt, ob ein finanzieller Ausgleich der Mehrkosten, die eine moderne Thrombozytenhemmer-Therapie mit sich bringt, dazu beitragen könnte, dass Ärzte sich in ihrem Verschreibungsverhalten eher an die Leitlinien halten. Zum anderen wollten sie wissen, wie eine solche Kostenneutralisierung sich auf die Einnahmetreue der Patienten auswirkt.
Clopdiogrel-Verschreibungen nehmen ab
In der ARTEMIS-Studie wurden 11.000 Patienten mit Myokardinfarkt an 301 US-amerikanischen Krankenhäusern im Sinne einer Cluster Randomisierung aufgeteilt. Die Standardbehandlung sah vor, dass die Patienten in der kliniküblichen Weise behandelt wurden. Diese bestand im Kontrollarm zu 55 % aus Clopidogrel, 32 % Ticagrelor und 13 % Prasugrel.
In dem Interventionsarm wurden den Patienten in den Krankenhäusern Gutscheine für die Antiplättchentherapie ausgehändigt. Die Ärzte mussten somit keine Rücksicht auf die erhöhten Therapiekosten nehmen. Zum anderen mussten die Patienten keine Mehrkosten für die teurere Therapie aufbringen. Diese Kostenintervention führte zu einer deutlichen Abnahme der Clopidogrel-Verordnungen im Interventionsarm von nunmehr nur noch 36 %. Der Anteil von Ticagrelor-Verschreibungen stieg auf 60 %, wobei Prasugrel nur zu 4 % verordnet wurde.
Prognose verbessert sich allerdings nicht
In einem weiteren Ansatz untersuchten Wang und Kollegen, inwieweit sich das unterschiedliche Verschreibungsverhalten auf die Einnahmetreue und den klinischen Verlauf ausgewirkt hat. Dabei ließ sich in der Interventionsgruppe eine etwas geringere Therapieabbruchrate nachweisen als in der Kontrollgruppe.
Leider hatte die höhere Therapietreue jedoch keinerlei Einfluss auf den klinischen Verlauf, welcher in Form der typischen MACE (Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall) nachverfolgt wurde.
Die ausbleibende Prognoseverbesserung ist sicherlich zum Teil dadurch bedingt, da sich die Kostenneutralisierung lediglich auf ein einzelnes Medikament bezog und zudem dieses auch in der Interventionsgruppe nur inkomplett umgesetzt wurde.
Kostenerstattung auch in Deutschland ein Problem
Die Implikation dieser US-amerikanischen Studie für die Situation in Deutschland ist erheblich größer als auf den ersten Blick zu erwarten ist. Wenngleich eine Beteiligung an Therapiekosten in Deutschland nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung eine Relevanz hat, ist dennoch durch den kontinuierlich steigenden Druck der Krankenkassen und der Politik auf die Ärzteschaft, die Krankenhausträger und die kassenärztlichen Vereinigungen so enorm, dass auch in Deutschland häufig von leitliniengerechter Therapie zugunsten älterer kostengünstigerer Behandlungskonzepte abgewichen wird – aus Angst vor Regressansprüchen.
Jüngstes Beispiel hierfür sind die Mengenbegrenzungen und Reglementierungen unterschiedlicher Landes-KVen zur Verordnung der neuen direkten Antikoagulanzien (NOAK) im niedergelassenen Bereich.
Literatur
67. Jahrestagung des American College of Cardiology, 10.-12. März 2018 in Orlando