Schnelles Troponin-Protokoll bringt langfristig keine Vorteile
Kurzfristig hat sich der 0/1h -Troponin-Algorithmus zur Herzinfarkt-Diagnostik als praktikabel erwiesen. Von den ESC-Leitlinien wird er inzwischen favorisiert. Doch langfristige klinische Vorteile bringt das schnelle Protokoll einer aktuellen Studie zufolge nicht. Ein Ergebnis gibt etwas zu denken.
Die Einführung hochsensitiver Troponin-Assays hat die Herzinfarkt-Diagnostik weiter beschleunigt. Innerhalb von einer Studie kann die Ausschlussdiagnose inzwischen gestellt werden, was zur Entlastung in den Notaufnahmen beiträgt.
Dass ein solcher 0/1-Stunden-Algorithmus sicher ist, hat u.a. die 2019 beim ESC-Kongress präsentierte Primäranalyse der RAPID TnT-Studie gezeigt. Im Vergleich zum 0/3-Protokoll kam es innerhalb eines Monates zu keinem Anstieg an Herzinfarkten oder Todesfällen.
Nach einem Jahr kein Unterschied
Ein Follow-up der Studie sollte nun den Beweis erbringen, dass sich das schnellere Protokoll auch langfristig hinsichtlich klinischer Endpunkte auszahlt.
Doch diese Hypothese bestätigte sich nicht: Nach zwölf Monaten war die Rate an Todesfällen und Myokardinfarkten (der primäre Endpunkt) bei den Patienten, deren Diagnostik mit dem 0/1h-Algorithmus erfolgte, ähnlich hoch wie im Falle einer 0/3h-Troponin-Diagnostik. Numerisch waren solche Ereignisse im Falle des 0/1h-Protokolls sogar etwas höher, wie Studienautor Prof. Derek Chew, Adelaide, beim ACC-Kongress berichtete. Konkret waren es entsprechend 82 (5,0%) vs. 62 Ereignisse (3,8%) (Hazard Ratio, HR: 1,32; p=0,10).
Insgesamt sind für die Studie 3.378 Patienten mit Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom (ACS), aber ohne Ischämiezeichen im EKG in der Notaufnahme randomisiert worden. Eine Hälfte erhielt die damalige Standarddiagnostik, das hochsensitive Troponin T (hsTnT) wurde also bei Klinikaufnahme und drei Stunden später bestimmt (0/3). Bei der anderen Hälfte wurde die Zeitspanne zwischen beiden Troponin-Messungen auf eine Stunde verkürzt (0/1).
Niedrige Troponinanstiege wurden im 0/3-Stunden-Arm nicht weitergegeben
Im Arm des 0/3h-Protokolls sind den behandelten Mediziner Troponinanstiege im unteren Grenzbereich (˂ 29 ng/L) nicht mitgeteilt worden („masked“). Dieses Vorgehen hat mit einer besonderen Situation in Südaustralien zu tun. Dort sei 2011 mit der Umstellung auf hochsensitive Troponin-Assays auf systemischer Ebene entschieden worden, solche Anstiege im niedrigen Bereich nicht zu übermitteln, berichtete Chew über die Hintergründe. Grund für die damalige Entscheidung war die Sorge, dass es durch Einsatz hochsensitiver Troponintests zu einem Anstieg an kardialen Diagnostiken kommen könnte. Im 0/1h-Arm der Studie wurden entsprechende Werte aber weitergegeben („unmasked).
Überraschendes Ergebnis einer Subgruppenanalyse
Umso überraschender war das Ergebnis einer Subgruppenanalyse der RAPID TnT-Studie, die sich genau auf solch niedrigen hsTnT-Werte fokussierte. Demzufolge wirkte sich die Bekanntgabe von niedrigen Troponinanstiegen auf die langfristige Prognose der Patienten eher negativ aus. So war die Übermittlung von Werten ˂ 29 ng/L mit einem signifikanten Anstieg des primären Endpunktes assoziiert (3,7% bei „masked“ hsTnT im 0/1h vs. 2,3% bei „unmasked“ hsTnT im 0/3h; HR; 1,60; p=0,030). Hauptsächlich getrieben war dieser Unterschied durch eine niedrigere Rate an Typ 1-Myokardinfarkten und Angina pectoris im „masked“ Arm.
Eher erwartbar sind Koronarangiografien und Revaskularisationen bei Patienten mit niedrigen hsTnT-Anstiegen ˂ 29 ng/L häufiger vorgenommen worden, wenn die Werte bekannt waren (bei 11,1% im 0/1h-Protokoll), als wenn sie nicht bekannt waren (8,3% im 0/3h-Protokoll). Bei den Stresstestungen war es gerade andersherum, also sie wurden seltener gemacht, wenn die Werte übermittelt wurden.
CT-Angiografie statt Revaskularisation?
Was heißt das jetzt für die Praxis? In der zeitgleich in Circulation veröffentlichen Publikation postulieren die Studienautoren, dass es für solche Patienten – also bei ACS-Verdacht, aber ohne offensichtlichen Ischämiezeichen im EKG – womöglich wenig Nutzen bringt, geringfügige Anstiege von hochsensitiven Troponin zu übermitteln. Diese Daten unterstützten womöglich vorherige Beobachtungen, laut denen eine invasive Koronardiagnostik bei Patienten mit Verdacht auf ein ACS und einem niedrigen ischämischen Risiko mit keiner geringeren Rate an ischämischen Folgeereignissen assoziiert sei, fügen die Studienautoren dem hinzu. Statt einer sofortigen Revaskularisation könnte ihrer Ansicht nach in solchen Fällen eine CT-Angiografie zum Einsatz kommen. Diese sei bei Patienten mit geringfügigen Troponinerhöhungen womöglich die angemessenere Strategie, argumentieren sie.
Für eine Änderung des üblichen Vorgehens reicht die Analyse allerdings nicht aus. Für Troponinwerte ˂ 29 ng/L sei die Auswertung nur explorativ gewesen, betonte Chew beim ACC. Die Ergebnisse könnten deshalb auch einfach Zufall sein, worauf in der Publikation hingewiesen wird. Was man darüber hinaus vermisst, ist eine logische Erklärung, warum niedrige Troponinanstiege – wenn sie übermittelt werden – mehr kardiovaskuläre Ereignisse nach sich ziehen, als wenn sie unbekannt bleiben.
Einig waren sich die Experten beim ACC, dass die optimale Strategie für Patienten mit Verdacht auf ein ACS und geringfügigen Troponinanstiegen in Studien weiter erforscht werden sollte.
Literatur
"Joint American College of Cardiology/New England Journal of Medicine Late-Breaking Clinical Trials"; Jahrestagung der American College of Cardiology, 16.05.2021
Lambrakis K et al. Late Outcomes of the RAPID-TnT RCT; a 0/1-Hour High-Sensitivity Troponin T Protocol in Suspected ACS; Circulation 2021; DOI: https://doi.org/10.1161/CIRCULATIONAHA.121.055009