Therapeutische Antikoagulation nützt bei COVID-19 nichts – schadet eher
Es ist eine der noch immer ungelösten Fragen: Welche Antikoagulation für COVID-19-Patienten? In einer randomisierten Studie hat die therapeutische Dosierung eines NOAKs keinen Nutzen gebracht, selbst bei hohen D-Dimer-Spiegeln nicht.
Eine therapeutische Antikoagulation kann die Prognose von hospitalisierten COVID-19-Patienten nicht verbessern. So das Ergebnis der randomisierten ACTION-Studie aus Brasilien.
Die Studienautoren um Prof. Renato Lopes haben für ihre Studie Patienten ausgewählt, für die eine therapeutische Dosis zumindest theoretisch einen Nutzen bringen könnte, nämlich solche mit erhöhten D-Dimer-Werten bei Klinikeinweisung. Insgesamt 615 Patienten, die wegen einer COVID-19-Erkrankung hospitalisiert werden mussten, wurden randomisiert.
Rivaroxaban in voller Dosis
In der therapeutischen Dosis-Gruppe erhielten stabile Patienten das NOAK Rivaroxaban in einer Dosis von 20 mg/Tag – das betraf mehr als 90% in dieser Gruppe. Unstabile Patienten bekamen Enoxaparin 1 mg/kg Körpergewicht zweimal am Tag, deren Anteil machte gerade mal 7 bis 8% der Patienten in dieser Gruppe aus, berichtete Lopes beim ACC-Kongress. Im Anschluss daran erhielten alle 20 mg Rivaroxaban für 30 Tage lang, unabhängig von ihrer Krankenhausaufenthaltsdauer. In der Vergleichsgruppe wurden die Patienten mit einer prophylaktischen Dosis eines Antikoagulans nur während des Klinikaufenthaltes behandelt.
Ein Monat später erging es den an COVID-19 erkrankten Patienten mit therapeutischer Antikoagulation nicht besser als denen mit der prophylaktischen Dosis, tendenziell sogar etwas schlechter.
Überlebenschancen eher geringer mit voller Antikoagulation
Festgemacht wurde dies anhand der sog. „Win Ratio“. Dabei handelt es sich um eine relativ neue statistische Methode, mit der sich verschiedene Endpunkte in klinischen Studien kombinieren lassen. Dafür werden aus beiden Gruppen Patientenpaare gebildet und für jeden Endpunkt geschaut, wer diesen Vergleich „gewinnt“. Der Vergleich erfolgt hierarchisch, beginnend mit dem „wichtigsten“ Endpunkt, in diesem Fall der Tod, gefolgt von der Aufenthaltsdauer im Krankenhausdauer und Dauer der Sauerstofftherapie. Das Verhältnis der „Gewinner“ zu den „Verlierern“ ergibt am Ende die „Win Ratio“. Ist die Ratio größer 1, hat die Behandlungsgruppe gegenüber der Kontrolle die Oberhand und andersherum.
In der ACTION-Studie lag die „Win Ratio“ für die genannten Endpunkte bei 0,86 – die therapeutische Antikoagulation hatte also schlechter abgeschnitten.
Weniger thrombotische Komplikationen, aber mehr Blutungen
Was die Rate thromboembolischer Komplikationen betraf, schien die höhere Dosis ihre Aufgabe erfüllt zu haben. Diese sei numerisch geringer gewesen mit der therapeutischen Antikoagulation, berichtete Lopes beim ACC-Kongress.
Gebracht hat den Patienten dies mit Blick auf ihre Überlebenschancen jedoch nichts: Die 30-Tages-Mortalität war um 49% relativ höher bei den therapeutisch antikoagulierten Patienten als bei denen mit prophylaktischer Antikoagulation, allerdings war der Unterschied nicht signifikant und die Schwankungsbreite groß (Relatives Risiko, RR: 1,49; 95%-KI: 0,90–2,46).
Beigetragen zum schlechteren Outcome der therapeutisch antikoagulierten Patienten hat womöglich das vermehrte Auftreten von Blutungskomplikationen. So war das Risiko für jegliche Blutungen fast viermal höher als bei der prophylaktischen Dosis (RR: 3,92; 95%-KI: 1,92–8,00), für schwere Blutungen mehr als dreimal so hoch (RR: 3,64; 95%-KI: 1,61–8,27).
Konsistente Ergebnisse in Subgruppen
„Die Ergebnisse waren ähnlich und konsistent in den unterschiedlichen Subgruppen, inklusive des Alters, der D-Dimer-Level, Höhe des BMI, Erkrankungsschwere und Kortikosteroid-Gabe zu Beginn“, so Lopes. Fast bei etwa einem Drittel der Studienteilnehmer hatten die D-Dimer-Konzentrationen bei Klinikeinweisung über dem Dreifachen des Normalwertes gelegen.
Da die finale Zahl an unstabilen COVID-Patienten aber so gering gewesen sei, könne man aus diesen Daten keinen endgültigen Schluss für diese Patientengruppe ziehen, gab der Kardiologe zu bedenken.
Erst Mitte März ist die INSPIRATION-Studie zu dieser Fragestellung publiziert worden. In dieser Studie hatte eine höhere Dosis von Enoxaparin im Vergleich zu prophylaktischen Dosis die Prognose von intensivpflichtigen COVID-19-Patienten nicht verbessern können. Die Studienautoren schlussfolgerten daraus, dass es bei unselektierten COVID-19-Patienten auf Intensivstation nicht ratsam sei, eine über die prophylaktische Dosis hinausgehende Antikoagulation einzusetzen.
Die Ergebnisse der ACTION-Studie sind aktuell noch nicht publiziert. Weitere Studien zur Antikoagulation bei COVID-19 sind auf dem Weg, sie werden den Wissenszuwachs in diesem Feld weiter vorantreiben.
Literatur
Lopes R. "Featured Clinical Research II", ACC-Jahrestagung, 16. Mai 2021