Komplette Revaskularisation: Besser gleich alles „in einem Aufwasch“!

Das optimale „Timing“ bei kompletter Revaskularisation ist unklar: Sollen alle Koronarläsionen gleich bei der Akut-PCI oder besser in zwei aufeinander folgenden PCI-Sitzungen behandelt werden? Aktuelle Ergebnisse eines Direktvergleichs favorisieren die Revaskularisation „in einem Aufwasch“.

Von Peter Overbeck

 

06.03.2023

Komplette Revaskularisation bedeutet, dass etwa bei Patientinnen und Patienten mit akutem Myokardinfarkt und Mehrgefäß-KHK im Zuge der Revaskularisation bei perkutaner Koronarintervention (PCI) nicht nur die infarktbezogene Koronarläsion (culprit lesion), sondern auch andere stenosierende Läsionen ohne Infarktbezug (non culprit lesions) behandelt werden. Diverse Studien wie COMPLETE und darauf gestützte Metaanalysen zeigen, dass eine entsprechende Komplett-Revaskularisation im Vergleich zu einer Culprit-Lesion-only-Strategie mit einer signifikanten Abnahme von kardiovaskulären Todesfällen und Reinfarkten einhergeht.

 

Im Hinblick auf das „Timing“ sind zwei PCI-Strategien möglich: Zum einen können alle relevant erscheinenden Stenosen, also sowohl „Culprit“- als auch „Non-Culprit“-Läsionen, in der Akutphase sofort in einer Sitzung versorgt werden. Oder es wird bei der Akut-PCI zunächst nur die Infarktarterie revaskularisiert, während für die „Non-Culprit“-Läsionen wenig später eine elektive Folge-PCI angesetzt wird.

Nichtunterlegenheit der sofortigen kompletten Revaskularisation belegt

In der aktuell beim ACC-Kongress vorgestellten BIOVASC-Studie sind beide Strategien einer kompletten Revaskularisation nun erstmals bei Patientinnen und Patienten mit akutem Koronarsyndrom und koronarer Mehrgefäßerkrankung direkt miteinander verglichen worden. Dabei hat sich die sofortige komplette Revaskularisation im Rahmen der Akut-PCI im Vergleich zur zweizeitigen PCI-Strategie als „nicht unterlegen“ erwiesen. Bezüglich der Mortalität gab es keinen Unterschied. Allerdings ging die Strategie einer sofortigen Komplett-Revaskularisation mit weniger Myokardinfarkten und ungeplanten PCI-Prozeduren einher.

 

In die von niederländischen Kardiologinnen und Kardiologen um Dr. Roberto Diletti vom Erasmus Medical Center in Rotterdam initiierte BIOVASC-Studie sind an Zentren in vier Ländern (Belgien. Italien, Niederlande, Spanien) insgesamt 1.525 Patientinnen und Patienten (medianes Alter: 65 Jahre, 78 % Männer) mit akutem Koronarsyndrom und Mehrgefäß-KHK aufgenommen worden. In den meisten Fällen war das Akutereignis ein NSTEMI (52 %), in knapp 40 % ein STEMI und in 8 % instabile Angina pectoris.

 

Nach Zufallszuteilung ist bei ihnen im Rahmen der Index-PCI eine sofortige komplette Revaskularisation oder nur eine Revaskularisation der Infarktarterie vorgenommen worden. In letzterem Fall erfolgte die Behandlung von „Non-Culprit“-Läsionen dann in einer zweiten PCI-Sitzung nach im Mittel 15 Tagen. Primärer Endpunkt der BIOVASC-Studie ist eine Kombination der Ereignisse Tod, erneuter Herzinfarkt, jegliche ungeplanten zusätzlichen Stenting-Prozeduren sowie zerebrovaskuläre Ereignisse innerhalb des ersten Jahres.

Signifikante Unterschiede bei Infarktrezidiven und ungeplanten Stenting-Prozeduren

Die 1-Jahres-Rate für diesen Endpunkt betrug 7,6 % in der Gruppe mit sofortiger kompletter Revaskularisation und 9,4 % in der Gruppe mit stufenweiser kompletter Revaskularisation (Hazard Ratio: 0,78; 95-%-KI: 0,55–1,11). Der intendierte Nachweis einer „Nichtunterlegenheit“ der sofortigen kompletten Revaskularisation schon bei der Akut-PCI war damit erbracht worden (p-Wert für „Non-inferiority“ = 0,0011). Eine Überlegenheit konnte nicht gezeigt werden (p-Wert für „superiority“ = 0,17).

 

Bezüglich der Mortalität bestand bei Raten von 1,9% vs. 1,2% nach einem Jahr kein Unterschied zwischen sofortiger und zweizeitiger kompletter Revaskularisation (HR: 1,56; 95-%-KI: 0,68–3,61, p = 0,30).

 

Sowohl weitere Herzinfarkte (1,9 % vs. 4,5 %) als auch ungeplante zusätzliche Stenting-Prozeduren (4,2 % vs. 6,7 %) waren dagegen in der Gruppe mit sofortiger kompletter Revaskularisation während bei der Akut-PCI jeweils signifikant seltener zu verzeichnen als in der Gruppe mit stufenweiser kompletter Revaskularisation. Auch nach Ausschluss von prozedurbezogenen Herzinfarkten blieb der Unterschied zugunsten der Gruppe mit sofortiger kompletter Revaskularisation bezüglich erneuter Herzinfarkte bestehen (1,7 % vs. 3,3 %; HR: 0,51; p = 0,052).

„Das neue Therapieparadigma“

Nach Ansicht der Studienautoren und -autorinnen um Diletti könnte „die sofortige komplette Revaskularisation während der Index-Prozedur das neue Therapieparadigma bei Patientinnen und Patienten mit akutem Koronarsyndrom und Mehrgefäßerkrankung werden“. Gründe für Bedenken bezüglich möglicher Risiken einer sofortigen Revaskularisation auch von „Non-Culprit“-Läsionen bestünden nicht. Diese Strategie könne „besonders effektiv bei Patientinnen und Patienten sein, bei denen nur eine 2-Gefäß-Erkrankung und weniger komplexe Läsionen bestehen und die Wahrscheinlichkeit eines prozeduralen Erfolgs ohne exzessive Durchleuchtung und Kontrastmittelnutzung hoch ist“.


Referenzen

Robert Diletti: Complete Revascularization Strategies In Patients Presenting With Acute Coronary Syndromes And Multivessel Coronary Disease. Late-breaking Clinical Trials II. ACC-Kongress 2023, 4. – 6. März 2023, New Orleans.

 

Diletti R. et al.: Immediate versus staged complete revascularisation in patients presenting with acute coronary syndrome and multivessel coronary disease (BIOVASC): a prospective, open-label, non-inferiority, randomised trial. Lancet 2023, https://doi.org/10.1016/S0140-6736(23)00351-3

Das könnte Sie auch interessieren

Betablocker nach Herzinfarkt: Neue Studie soll endlich Klarheit schaffen

Dass Betablocker nach Herzinfarkt von klinischem Nutzen sind, haben Studien gezeigt, die schon Jahrzehnte alt sind. Darüber, ob deren Ergebnisse im Kontext der modernen Postinfarkttherapie noch Bestand haben, herrscht Unsicherheit. Eine große Studie soll nun für Klarheit sorgen.

Neue Hypertonie-Leitlinien: Wie Patienten mit Bluthochdruck heute behandelt werden sollten

Mit der Mitte 2018 erfolgten Aktualisierung der ESC-Hypertonie-Leitlinien sind wichtige praxisrelevante Neuerungen im Management von Patienten mit Bluthochdruck eingeführt worden. Sie waren auch Thema bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) 2019 in Mannheim.

50-Jähriger mit wiederholtem Brustschmerz – keine Stenose, sondern?

Dass Betablocker nach Herzinfarkt von klinischem Nutzen sind, haben Studien Ein 50-jähriger Patient wird wegen Brustschmerz und Ohnmachtsanfällen vorstellig. Eine ausgeprägte Stenose können die Kardiologen in der Koronarangiografie allerdings nicht feststellen. Stattdessen finden sie einen auffälligen Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum des Mannes.

Diese Seite teilen