Nachrichten 08.03.2023

Ischämische Kardiomyopathie: Studie zerbröselt lange bestehendes Dogma

Dass der Nachweis von dysfunktionalem, aber vitalem Myokard bei ischämischer Kardiomyopathie diejenigen Patienten identifiziert, bei denen eine Revaskularisation lohnenswert ist, ist gängige Meinung. Eine neue Studienanalyse entlarvt diese Sichtweise jedoch als Irrtum.

Der Nachweis von vitalem Myokard per kardialer Bildgebung wird bei Patienten mit ischämischer Koronarerkrankung und schwerer linksventrikulärer Dysfunktion (ischämische Kardiomyopathie) häufig als Kriterium dafür herangezogen, bei welchen Patienten eine Revaskularisation durch perkutane Koronarintervention (PCI) erfolgversprechend ist.

Zugrunde liegt die Vorstellung, dass ischämische Myokardareale zwar funktionell beeinträchtigt, aber durchaus noch vital sein können und quasi nur darauf warten, nach erfolgreicher Reperfusion die normale kontraktile Funktion zurückgewinnen zu können („Myokard im Winterschlaf“ oder „hybernating myocardium“). Erhole sich infolge Revaskularisation der linke Ventrikel funktionell, könne sich das am Ende auch günstig auf die Prognose auswirken, so die Hypothese.

Konzept des „hybernating myocardium“ infrage gestellt

Das Konzept des „hybernating myocardium“ wird nun allerdings durch Ergebnisse einer sekundären Analyse der REVIVED-BCIS2-Studie grundlegend erschüttert. Bereits die beim ESC-Kongress 2022 in Barcelona vorgestellten Hauptergebnisse der REVIVED-BCIS2-Studie hatten bekanntlich die Wellen hochschlagen lassen – zeigten sie doch, dass durch eine PCI-gestützte Revaskularisation additiv zur optimalen medikamentösen Therapie (OMT) bei Patienten mit ischämischer Kardiomyopathie Mortalität und Klinikaufenthalte wider Erwarten nicht reduziert wurden. Auch die erhoffte Verbesserung der linksventrikulären Funktion durch PCI blieb aus.

Bedingung für die Studienteilnahme war ein positiver Vitalitätsnachweis in mindestens vier für eine Revaskularisation geeignet erscheinenden Myokardsegmenten. Eine auf entsprechenden Bildgebungsdaten der REVIVED-BCIS2-Studie gestützte neue Analyse kommt jetzt zu dem Ergebnis, dass das Ausmaß an dysfunktionalen, aber vitalen Myokardsegmenten weder von prognostischer Bedeutung noch ein Prädiktor dafür war, welche Patienten mit ischämischer Kardiomyopathie von einer PCI additiv zur OMT klinisch profitierten.

Das stelle die ganze Theorie des „hybernating myocardium“ infrage, konstatierte Studienleiter Prof. Divaka Perera vom King's College London, der die neuen REVIVED-BCIS2-Ergebnisse beim ACC-Kongress in New Orleans vorgestellt hat: „Wir müssen das Paradigma hinterfragen. Hibernation, wie wir es gekannt und verwendet haben, scheint nicht länger dienlich für die klinische Praxis zu sein“.

Daten zur myokardialen Vitalitätsprüfung von 610 der insgesamt 700 Teilnehmer der REVIVED-BCIS2-Studie gingen in die aktuelle Analyse ein. Als Bildgebungsverfahren war mehrheitlich die kardiale MRT (79%) mit Late Gadolinium Enhancement (LGE) sowie seltener die Stress-Echokardiografie genutzt worden. Bei der Charakterisierung der Vitalität wurde zwischen normalen (= normokinetischen) Myokardsegmenten, dysfunktionalen, aber vitalen Segmenten (als Korrelat von „hybernating myocardium“) sowie avitalen Segmenten (Myokardnarben) differenziert.

„Hybernation“ war kein Prädiktor für klinische Ereignisse …

Zunächst wurden die Vitalitätscharakteristika in Beziehung zu klinischen Ereignissen (Tod oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz) im Studienzeitraum (im Median 3,3 Jahre) gesetzt. Mit jeder Zunahme des Gesamtanteils an vitalem Myokard (normales sowie dysfunktionales, aber vitales Myokard) am linksventrikulären Volumen um 10% nahm das Risiko für entsprechende Ereignisse leicht und marginal signifikant ab (Hazard Ratio: 0,93; 95%-Kl: 0,87–1,00; p = 0,048).

… wohl aber das Ausmaß an myokardialem Narbengewebe

Die stärkste Korrelation ergab sich für das Ausmaß an myokardialem Narbengewebe („scar burden“): Mit jeder Zunahme von dessen Anteil am Ventrikelvolumen um 10% erhöhte sich die Hazard Ratio bezüglich klinischer Ereignisse signifikant (HR: 1,18; 95%-KI: 1,04 – 1,33; p = 0,009).

Dagegen stand das Ausmaß an dysfunktionalem, aber vitalem Myokard als Korrelat von „hybernating myocardium“ in keiner signifikanten Beziehung zu Todesfällen und Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz (HR: 0,98; 95% KI: 0,93 – 1,04; p = 0,56). Im Unterschied zu avitalen Myokardnarben war der Anteil an vitalem „Myokard im Winterschlaf“ somit kein Prädiktor für entsprechende Ereignisse.

Auch erwies sich der Nachweis von dysfunktionalem, aber vitalem Myokard nicht als prädiktiv für eine funktionelle Erholung („LV recovery“) des Ventrikels, gemessen an einer Verbesserung der Auswurffraktion. Und schließlich ließen sich auf Basis eines solchen Vitalitätsnachweises auch keine Voraussagen zur Therapieeffekt einer PCI additiv zur OMT treffen.

Ist die Vitalitätsprüfung nun überflüssig geworden?

Sollten nach diesen Ergebnissen myokardiale Vitalitätstests bei ischämischer Kardiomyopathie in der bisherigen Weise weiterhin zur Selektion von Patienten für eine PCI genutzt werden? Perera beantwortete diese Frage mit einem klaren Nein. Nach seiner Ansicht gibt es derzeit keine Evidenz dafür, dass sich durch solche Tests diejenigen Patienten, die von einer Koronarintervention profitieren, zuverlässig identifizieren lassen.

Völlig überflüssig geworden ist die Vitalitätsprüfung in seinen Augen damit jedoch nicht. Allerdings bedürfe es einer anderen Art ihrer Nutzung. Künftig sollte der Fokus dabei nicht länger auf dysfunktionale Myokardsegmente, die vermeintlich zur funktionellen Erholung fähig sind, gerichtet sein. Von größerer Bedeutung für die Praxis seien möglicherweise die mit diesen Tests ebenfalls zu gewinnenden Informationen zum Ausmaß der Myokardbelastung mit avitalem Narbengewebe. Ob damit eine bessere Stratifizierung von Patienten möglich ist, müsse in künftigen Studien geklärt werden.

Literatur

Divaka Perera: Effect Of Myocardial Viability, Percutaneous Coronary Intervention And Functional Recovery On Clinical Outcomes In The REVIVED-BCIS2 Randomized Trial. Featured Clinical Research I. ACC-Kongress 2023, 4. – 6. März 2023, New Orleans.

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