SPRINT-Studie: Variabilität bei der Blutdruckmessung. Aber ist das von Bedeutung?
Die Kontroverse über die SPRINT-Studie hält an. Im Fokus steht dabei nach wie vor die in der Studie genutzte spezielle Methode der Praxisblutdruckmessung, um die sich einige Gerüchte rankten. Jetzt hat die SPRINT-Gruppe mit einer neuen Analyse für mehr Transparenz in Sachen SPRINT-spezifische Blutdruckmessung gesorgt.
Auch rund zwei Jahr nach ihrer Publikation beherrscht die US-amerikanische SPRINT-Studie noch immer die Diskussionen unter Bluthochdruck-Experten. SPRINT hat bekanntlich ergeben, dass eine intensive Blutdrucksenkung nach Maßgabe eines systolischen Zielwerts von unter 120 mmHg ausgewählte Risikopatienten mit Hypertonie signifikant besser vor kardiovaskulären Ereignissen und Todesfällen schützt als eine am gängigen Zielwert von unter 140 mmHg ausgerichtet Therapie.
Dieses Ergebnis war ein maßgeblicher Grund dafür, dass in den gerade vorgestellten neuen US-Hypertonie-Leitlinien der allgemeine Zielwert für die Blutdrucksenkung zwar nicht ganz auf das SPRINT-Maß 120 mmHg, aber zumindest auf 130 mmHg gesenkt und zudem eine neue Hypertonie-Klassifikation etabliert worden ist.
Kontroverse über die Methode der Blutdruckmessung
Allerdings entbrannte schon vor einiger eine Kontroverse über die Übertragbarkeit der SPRINT Ergebnisse auf den Praxisalltag. Im Zentrum stand dabei die unkonventionelle Art der Praxisblutdruckmessung in der Studie. Nach einer fünfminütigen Ruhephase in einem separaten Raum waren bei den Teilnehmern im Sitzen jeweils drei automatische Messungen (OMRON 90XL-Messgerät) vorgenommen worden - angeblich ohne Beaufsichtigung durch Ärzte oder nichtärztliches Personal. Aufgrund des Wegfalls eines sogenannten „Weißkitteleffekts“ seien die so ermittelten Werte niedriger als bei der üblichen Blutdruckmessung und somit nicht unmittelbar auf die Praxis übertragbar, argumentieren die Kritiker.
In der Folge sind jedoch Zweifel daran aufgekommen, ob alle Blutdruckmessungen in SPRINT tatsächlich unbeaufsichtigt waren. Die SPRINT-Autoren haben dazu bislang keine Informationen veröffentlicht. Sie kündigten allerdings vor kurzem an, die Art der Blutdruckmessung in den beteiligten Zentren transparent machen zu wollen. Dieses Versprechen ist nun mit einer beim AHA-Kongress vorgestellten neuen SPRINT-Analyse wahr gemacht worden.
Zwar Variabilität bei den Messungen …
Grundlage der von Dr. Karen Johnson von der University of Tennessee vorgestellten Analyse sind Daten einer unmittelbar nach Studienende vorgenommenen Befragung der beteiligten Studienzentren, ob die Blutdruckmessungen vor Ort jeweils in An- oder Abwesenheit von medizinischem Personal erfolgt waren. Dann wurde geschaut, ob diesbezügliche Unterschiede bei den Messungen mit Unterschieden hinsichtlich Blutdruckwerte, antihypertensive Medikation, kardiovaskuläre Ereignisse, Mortalität und schwere Nebenwirkungen assoziiert waren.
Die Erhebung offenbarte eine große Variabilität bei der Beaufsichtigung der Messungen. Vier grundsätzliche Arten der Messtechnik kamen zum Vorschein. Danach waren die meisten Teilnehmer (4082 an 38 Zentren, 43%) immer (d.h. sowohl in der Ruhe- als auch Messphase) allein im Raum. Nicht gerade wenige Teilnehmer (2247 an 25 Zentren, 28%) waren dagegen zu keinem Zeitpunkt allein. Eine kleinere Gruppe (1746 an 16 Zentren, 22%) war nur in der Ruhephase und eine noch kleinere (570 an 6 Zentren, 7%) nur in der Phase der drei Messungen allein im Raum.
… aber ohne Einfluss auf klinische Ergebnisse
Auf den klinischen Vorteil der stärkeren im Vergleich zur moderateren Blutdrucksenkung schien diese Variabilität der Messtechnik aber keinen relevanten Einfluss gehabt zu haben. Wie Johnson berichtete, wurden in allen vier Gruppen bezüglich des systolischen Blutdrucks annähernd gleiche Unterschiede zwischen intensiver und standardmäßiger Blutdrucksenkung erzielt. Auch die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse und die Mortalität wurden nach ihren Angaben durch die intensivere Behandlung in gleichem Maß reduziert – unabhängig davon, ob die Blutdruckmessung beaufsichtigt oder unbeaufsichtigt war. Und auch die Nebenwirkungsraten bei intensiver Blutdrucksenkung waren in den vier Gruppen ähnlich.
Um den bestmöglichen Nutzen einer auf dem SPRINT-Algorithmus basierenden intensiven Blutdrucksenkung zu erreichen, seien die Verwendung eines validierten automatischen Messgeräts, eine fünfminütige Ruhephase, eine adäquate Platzierung und Größe der Armmanschette sowie drei Messungen anscheinend wichtiger als die Frage, ob die Messungen beaufsichtigt oder unbeaufsichtigt sind, schlussfolgerte Johnson.
Diskutant erhebt Einspruch
Ob das die Kritiker zufriedenstellen wird? Dr. Srripal Bangalore aus New York erhob als Diskutant der aktuellen SPRINT-Analyse jedenfalls schon mal Einspruch. Nach seiner Ansicht geht aus vielen früheren Studien klar hervor, dass Anwesenheit oder Abwesenheit von medizinischem Personal bei der Blutdruckmessung sehr wohl von Bedeutung für die Messwerte ist.
Bangalore erinnerte daran, dass die gemessenen Werte bei manueller auskultatorischer Messung, bei automatischer Messung und bei ambulanter Langzeitmessung jeweils unterschiedlich sind. Deshalb mache es keinen Sinn, den gleichen Blutdruck-Zielwert für unterschiedliche Blutdruck-Messtechniken zu haben.
Literatur
Vorgestellt beim Kongress der American Heart Association (AHA) 2017, 11.-15. November, Anaheim