Nachrichten 17.11.2020

Wie sinnvoll ist ein Vorhofflimmern-Screening im Praxisalltag?

Die ESC-Leitlinien empfehlen bei älteren Patienten ein Screening auf Vorhofflimmern vorzunehmen. Inwieweit sich das lohnt, ist allerdings nach wie vor umstritten. Zwei Studien legen nun nahe, dass die Intensität des Screenings entscheidend sein könnte.

Screening ist nicht gleich Screening. Und so verwundert es nicht, dass zwei beim AHA-Kongress präsentierte Studien zum Nutzen eines Vorhofflimmern-Screenings zu auf den ersten Blick widersprüchlichen Ergebnissen gekommen sind.

Routinemäßiges Screening in der Hausarztpraxis ohne Zusatznutzen

In der randomisierten VITAL-AF-Studie sollte überprüft werden, ob ein Screening auf bisher unentdecktes Vorhofflimmern in der hausärztlichen Routineversorgung im Vergleich zum üblichen Vorgehen einen Zusatznutzen bringt. Im Screening-Arm wurde der Herzrhythmus der Patienten im Rahmen eines Kontrolltermins über einen mobilen EKG-Sensor überprüft, analog zu routinemäßigen Blutdruckmessung bei solchen Terminen. Im Kontrollarm sind die Ärzte ihrer üblichen Praxisroutine nachgegangen. Zehn Praxen sind dafür 1:1 zum Screening- oder Kontrollarm randomisiert worden, über 35.000 Patienten nahmen an der Studie teil.

Die Detektionsrate hat sich durch das Screening nicht signifikant verbessert: Im Interventions-Arm wurde bei 1,74% der Patienten erstmalig eine Vorhofflimmern-Diagnose gestellt, im Kontroll-Arm bei 1,60% (p=0,33). Das Screening führte auch nicht dazu, dass bei mehr bei Patienten mit Vorhofflimmern eine orale Antikoagulation begonnen wurde.

„Die Standardversorgung ist schon sehr gut“

Einzig in der Altersgruppe der ≥ 85-Jährigen kristallisierte sich ein Vorteil für das Screening heraus, mit einem prozentualen Unterschied von 1,88% mehr Diagnosen im Interventions-Arm. Das entspricht einer Number Needed to Screen (NNS) von 53, also 53 Personen dieses Alters müssten gescreent werden, um einen neuen Vorhofflimmern-Fall zu entdecken. Der Effekt eines Screenings könne somit vom Alter der Patienten abhängen, resümierte Studienleiter Prof. Steven Lubitz vom Massachusetts General Hospital in Boston, der die Ergebnisse beim AHA-Kongress vorgestellt hat.

Nach Ansicht von Prof. Ben Freedman, der die Studie im Anschluss diskutierte, zeigt die Studie vor allem eines: „Die Standardversorgung ist schon sehr gut.“ Die Ärzte machen seiner Einschätzung nach bereits einen so guten Job, dass das Screening keinen Mehrwert mehr bietet. Freedman bezeichnet das Ergebnis deshalb als einen „Triumph für die Standardversorgung“.

Der Kardiologe von der Universität in Sydney fragte sich allerdings, was genau die Ärzte in der Standardversorgung gemacht haben: Haben sie den Puls gecheckt, eine Auskultation gemacht oder ein Blutdruckmessgerät verwendet? Für möglich erachtet Freedman es in diesem Kontext, dass die Ärzte auch in der Kontrollgruppe aufgrund des Studiensetting genauer hingeschaut haben als sonst, also dass ein sog. Hawthorne-Effekt vorliegt.

Wenn intensiver geschaut wird, findet man auch mehr

Mehr geloht hat sich ein Vorhofflimmern-Screening in der mStoPs-Studie, die ebenfalls beim AHA präsentiert wurde. Allerdings gab es im Vergleich zu VITAL AF-Studie einen wesentlichen Unterschied: In mSToPS hat das Screening nicht nur im Rahmen eines einzigen Termins stattgefunden, sondern es erfolgte kontinuierlich über zwei bis vier Wochen hinweg.  

Ermöglicht wurde ein solches Monitoring, indem man den Patienten EKG-Patches aushändigte, die sie zuhause verwenden konnten, im Schnitt trugen sie diese 24,7 Tage lang.

Ein weiterer Unterschied zur VITAL-AF-Studie ist, dass alle 1.738 Teilnehmer in einem Alter ≥ 55 Jahre in mSToPS gescreent wurden; randomisiert wurden diese in eine unmittelbare und in einer verzögerte Monitoring-Gruppe (erst nach 4 Monaten). Es gab zwar eine Kontrollgruppe mit 3.476 gematchten Patienten, die aus der ursprünglich angefragten Patientenkohorte stammten, die Patienten sind aber nicht randomisiert, sondern nur nachverfolgt worden.

Kann ein Monitoring die Prognose verbessern?

Durch das aktive Monitoring wurde nicht nur häufiger Vorhofflimmern erkannt (11,4% versus 7,7% in der Kontrollgruppe; p˂ 0,01). Es wirkte sich auch positiv auf die Prognose der Patienten aus. So war das Risiko für Tod, Schlaganfall, Herzinfarkt oder eine systemische Embolie innerhalb der folgenden drei Jahre (kombinierter primärer Endpunkt) für die gescreenten Patienten um 21% relativ geringer als für die Patienten aus der Kontrollgruppe (adjustierte Hazard Ratio, HR: 0,79; p˂ 0,01). Haupttreiber dieses Unterschiedes waren vor allem weniger Todesfälle in der Monitoring-Gruppe, und nicht, wie man vielleicht erwarten würde, eine Reduktion an Schlaganfällen.

Intensität des Screenings macht den Unterschied

Wie lässt sich der unterschiedliche Ausgang der beiden Studien erklären? Freedman vermutet, dass es an der Intensität der Screening-Methoden gelegen hat: Wenn man intensiver hinschaue wie in mSTopS, finde man auch mehr. Aufgrund der fehlenden Randomisierung sei die Wirkung auf die Prognose der Patienten in dieser Studie aber nur „hypothesengenerierend“, gab der Kardiologe einschränkend zu bedenken.

Etwas misstrauisch macht Freedman die Tatsache, dass in mSTopS nur 1,7% der 100.000 angeschriebenen Personen dazu bereit waren, bei einem Screening mittels EKG-Patch mitzumachen. Warum haben diese zugestimmt und die anderen nicht? Das Matching reicht Freedman zufolge nicht aus, alle Störfaktoren auszuschließen. Vielleicht waren diese 1,7% generell gesünder, motivierter usw.

„Deshalb benötigen wir mehr Daten, um sagen zu können, dass sein Screening wertvoll ist“, beendete er sein Statement.

ESC-Leitlinien: Screening bei Älteren sinnvoll

In der erst kürzlich aktualisierten ESC-Leitlinie zum Management von Vorhofflimmern wird ein opportunistisches Screening mittels Pulstasten oder EKG-Rhythmusstreifen in der Altersgruppe der ≥ 65-Jährigen bereits empfohlen (Klasse I B). Bei über 75-Jährigen und Patienten mit einem hohen Schlaganfall-Risiko wird sogar ein systematisches Screening für sinnvoll erachtet (II a).

Literatur

Lubitz S: Screening For Atrial Fibrillation In Older Adults At Primary Care Visits Using Single Lead Electrocardiograms: The VITAL-AF Trial; 
Steven R: 3-year Clinical Outcomes In A Nationwide, Randomized, Pragmatic Clinical Trial Of Atrial Fibrillation Screening - Mhealth Screening To Prevent Strokes (mstops); vorgestellt bei der Late-Breaking Science-Session VI, 16.11.2020, American Heart Association Scientific Sessions 2020

Neueste Kongressmeldungen

Welcher Faktor determiniert das Herzrisiko unter einer Statintherapie?

Bei Patienten, die bereits Statine zur Lipidsenkung erhalten, sind im CRP-Wert sich widerspiegelnde Entzündungsprozesse ein stärkerer Prädiktor für künftige kardiovaskuläre Ereignisse als das LDL-Cholesterin, zeigt eine umfangreiche Metaanalyse.

Hypertrophe Kardiomyopathie kein Argument gegen Sport

Wer an einer hypertrophen Kardiomyopathie leidet und regelmäßig Sport mit Belastungen über 6 MET betreibt, riskiert damit keine arrhythmischen Komplikationen, so das Ergebnis einer großen prospektiven Studie. Eine Voraussetzung muss jedoch erfüllt sein.

Herzinsuffizienz: Erinnerungstool fördert MRA-Verschreibung

In der BETTER-CARE-HF-Studie wurden zwei Systeme getestet, die Ärzte und Ärztinnen darüber benachrichtigen, welche ihrer Herzinsuffizienzpatienten für eine MRA-Therapie geeignet sind. Eines davon war besonders erfolgreich beim Erhöhen der Verschreibungsrate.

Neueste Kongresse

ACC-Kongress 2023

Der diesjährige Kongress der American College of Cardiology (ACC) fand vom 4.-6. März 2023 in New Orleans statt. In diesem Dossier finden Sie die wichtigsten Studien und Themen vom Kongress.

DGK.Herztage 2022

Vom 29.9.-1.10.2022 finden die DGK.Herztage in Bonn statt.

TCT-Kongress 2022

Hier finden Sie die Highlights der Transcatheter Cardiovascular Therapeutics (TCT) Conference 2022, der weltweit größten Fortbildungsveranstaltung für interventionelle Kardiologie. 

Highlights

Hätten Sie es erkannt?

Linker Hauptstamm in der CT-Angiographie eines 80-jährigen Patienten vor TAVI. Was fällt auf?

Myokarditis – eine tödliche Gefahr

In der vierten Ausgabe mit Prof. Andreas Zeiher geht es um die Myokarditis. Der Kardiologe spricht über Zusammenhänge mit SARS-CoV-2-Infektionen und COVID-19-Impfungen und darüber, welche Faktoren über die Prognose entscheiden.

Aktuelles und Neues aus der Kardiologie

Subklinische Atherosklerose steigert Infarkt-Risiko enorm

Selbst wenn Menschen noch keine Beschwerden haben, geht der Nachweis einer subklinischen Atherosklerose in der CT-Angiografie mit einem erhöhten Infarkt-Risiko einher. Dabei spielen nicht nur nachweisbare Stenosen, sondern auch bestimmte Plaquecharakteristika eine Rolle.

Sind renoprotektive Therapien bei Herzinsuffizienz ohne protektiven Nutzen?

Vier bei Herzinsuffizienz empfohlene Wirkstoffklassen haben bei Patienten mit Typ-2-Diabetes renoprotektive Wirkung bewiesen. In Studien bei Herzinsuffizienz ist von günstigen renalen Effekten dieser Wirkstoffe dagegen nicht viel zu sehen. Ein Erklärungsversuch.

Stark erhöhtes Herzrisiko nach Infektionen

Schwere Infektionen erhöhen das kardiovaskuläre Risiko kurzfristig sehr deutlich, legen aktuelle Daten nahe. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil an kardialen Komplikationen könnte demnach auf Infektionen zurückzuführen sein.

Aus der Kardiothek

Hätten Sie es erkannt?

Linker Hauptstamm in der CT-Angiographie eines 80-jährigen Patienten vor TAVI. Was fällt auf?

Rhythmus-Battle: Vom EKG zur Therapie 2

Nicht immer sind EGK-Befunde eindeutig zu interpretieren, und nicht immer gibt es eine klare Therapieentscheidung. In diesem zweiten Rhythmus-Battle debattieren Prof. Lars Eckardt, Prof. Christian Meyer und PD Dr. Stefan Perings über ungewöhnliche EKG-Fälle aus der Praxis. Wie würden Sie entscheiden?

Kardiovaskuläre und ANS-Manifestationen von Covid-19 und Long-Covid

In der Akutphase und auch im weiteren Verlauf kann eine SARS-CoV-2-Infektion eine Herzbeteiligung verursachen. Prof. Thomas Klingenheben gibt einen Update über den aktuellen Wissenstand solcher Manifestationen, und erläutert, was hinter dem Syndrom „Long-COVID“ steckt.

ACC-Kongress 2023 in New Orleans/© pawel.gaul / Getty Images / iStock
DGK.Herztage 2022/© DGK
TCT-Kongress 2022/© mandritoiu / stock.adobe.com
Kardio-Quiz März 2023/© Stephan Achenbach, Medizinische Klinik 2, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Podcast-Logo/© Springer Medizin Verlag GmbH (M)
Rhythmus-Battle 2023/© Portraits: privat
kardiologie @ home/© BNK | Kardiologie.org