Wie sinnvoll ist ein Vorhofflimmern-Screening im Praxisalltag?
Die ESC-Leitlinien empfehlen bei älteren Patienten ein Screening auf Vorhofflimmern vorzunehmen. Inwieweit sich das lohnt, ist allerdings nach wie vor umstritten. Zwei Studien legen nun nahe, dass die Intensität des Screenings entscheidend sein könnte.
Screening ist nicht gleich Screening. Und so verwundert es nicht, dass zwei beim AHA-Kongress präsentierte Studien zum Nutzen eines Vorhofflimmern-Screenings zu auf den ersten Blick widersprüchlichen Ergebnissen gekommen sind.
Routinemäßiges Screening in der Hausarztpraxis ohne Zusatznutzen
In der randomisierten VITAL-AF-Studie sollte überprüft werden, ob ein Screening auf bisher unentdecktes Vorhofflimmern in der hausärztlichen Routineversorgung im Vergleich zum üblichen Vorgehen einen Zusatznutzen bringt. Im Screening-Arm wurde der Herzrhythmus der Patienten im Rahmen eines Kontrolltermins über einen mobilen EKG-Sensor überprüft, analog zu routinemäßigen Blutdruckmessung bei solchen Terminen. Im Kontrollarm sind die Ärzte ihrer üblichen Praxisroutine nachgegangen. Zehn Praxen sind dafür 1:1 zum Screening- oder Kontrollarm randomisiert worden, über 35.000 Patienten nahmen an der Studie teil.
Die Detektionsrate hat sich durch das Screening nicht signifikant verbessert: Im Interventions-Arm wurde bei 1,74% der Patienten erstmalig eine Vorhofflimmern-Diagnose gestellt, im Kontroll-Arm bei 1,60% (p=0,33). Das Screening führte auch nicht dazu, dass bei mehr bei Patienten mit Vorhofflimmern eine orale Antikoagulation begonnen wurde.
„Die Standardversorgung ist schon sehr gut“
Einzig in der Altersgruppe der ≥ 85-Jährigen kristallisierte sich ein Vorteil für das Screening heraus, mit einem prozentualen Unterschied von 1,88% mehr Diagnosen im Interventions-Arm. Das entspricht einer Number Needed to Screen (NNS) von 53, also 53 Personen dieses Alters müssten gescreent werden, um einen neuen Vorhofflimmern-Fall zu entdecken. Der Effekt eines Screenings könne somit vom Alter der Patienten abhängen, resümierte Studienleiter Prof. Steven Lubitz vom Massachusetts General Hospital in Boston, der die Ergebnisse beim AHA-Kongress vorgestellt hat.
Nach Ansicht von Prof. Ben Freedman, der die Studie im Anschluss diskutierte, zeigt die Studie vor allem eines: „Die Standardversorgung ist schon sehr gut.“ Die Ärzte machen seiner Einschätzung nach bereits einen so guten Job, dass das Screening keinen Mehrwert mehr bietet. Freedman bezeichnet das Ergebnis deshalb als einen „Triumph für die Standardversorgung“.
Der Kardiologe von der Universität in Sydney fragte sich allerdings, was genau die Ärzte in der Standardversorgung gemacht haben: Haben sie den Puls gecheckt, eine Auskultation gemacht oder ein Blutdruckmessgerät verwendet? Für möglich erachtet Freedman es in diesem Kontext, dass die Ärzte auch in der Kontrollgruppe aufgrund des Studiensetting genauer hingeschaut haben als sonst, also dass ein sog. Hawthorne-Effekt vorliegt.
Wenn intensiver geschaut wird, findet man auch mehr
Mehr geloht hat sich ein Vorhofflimmern-Screening in der mStoPs-Studie, die ebenfalls beim AHA präsentiert wurde. Allerdings gab es im Vergleich zu VITAL AF-Studie einen wesentlichen Unterschied: In mSToPS hat das Screening nicht nur im Rahmen eines einzigen Termins stattgefunden, sondern es erfolgte kontinuierlich über zwei bis vier Wochen hinweg.
Ermöglicht wurde ein solches Monitoring, indem man den Patienten EKG-Patches aushändigte, die sie zuhause verwenden konnten, im Schnitt trugen sie diese 24,7 Tage lang.
Ein weiterer Unterschied zur VITAL-AF-Studie ist, dass alle 1.738 Teilnehmer in einem Alter ≥ 55 Jahre in mSToPS gescreent wurden; randomisiert wurden diese in eine unmittelbare und in einer verzögerte Monitoring-Gruppe (erst nach 4 Monaten). Es gab zwar eine Kontrollgruppe mit 3.476 gematchten Patienten, die aus der ursprünglich angefragten Patientenkohorte stammten, die Patienten sind aber nicht randomisiert, sondern nur nachverfolgt worden.
Kann ein Monitoring die Prognose verbessern?
Durch das aktive Monitoring wurde nicht nur häufiger Vorhofflimmern erkannt (11,4% versus 7,7% in der Kontrollgruppe; p˂ 0,01). Es wirkte sich auch positiv auf die Prognose der Patienten aus. So war das Risiko für Tod, Schlaganfall, Herzinfarkt oder eine systemische Embolie innerhalb der folgenden drei Jahre (kombinierter primärer Endpunkt) für die gescreenten Patienten um 21% relativ geringer als für die Patienten aus der Kontrollgruppe (adjustierte Hazard Ratio, HR: 0,79; p˂ 0,01). Haupttreiber dieses Unterschiedes waren vor allem weniger Todesfälle in der Monitoring-Gruppe, und nicht, wie man vielleicht erwarten würde, eine Reduktion an Schlaganfällen.
Intensität des Screenings macht den Unterschied
Wie lässt sich der unterschiedliche Ausgang der beiden Studien erklären? Freedman vermutet, dass es an der Intensität der Screening-Methoden gelegen hat: Wenn man intensiver hinschaue wie in mSTopS, finde man auch mehr. Aufgrund der fehlenden Randomisierung sei die Wirkung auf die Prognose der Patienten in dieser Studie aber nur „hypothesengenerierend“, gab der Kardiologe einschränkend zu bedenken.
Etwas misstrauisch macht Freedman die Tatsache, dass in mSTopS nur 1,7% der 100.000 angeschriebenen Personen dazu bereit waren, bei einem Screening mittels EKG-Patch mitzumachen. Warum haben diese zugestimmt und die anderen nicht? Das Matching reicht Freedman zufolge nicht aus, alle Störfaktoren auszuschließen. Vielleicht waren diese 1,7% generell gesünder, motivierter usw.
„Deshalb benötigen wir mehr Daten, um sagen zu können, dass sein Screening wertvoll ist“, beendete er sein Statement.
ESC-Leitlinien: Screening bei Älteren sinnvoll
In der erst kürzlich aktualisierten ESC-Leitlinie zum Management von Vorhofflimmern wird ein opportunistisches Screening mittels Pulstasten oder EKG-Rhythmusstreifen in der Altersgruppe der ≥ 65-Jährigen bereits empfohlen (Klasse I B). Bei über 75-Jährigen und Patienten mit einem hohen Schlaganfall-Risiko wird sogar ein systematisches Screening für sinnvoll erachtet (II a).
Literatur
Lubitz S: Screening For Atrial Fibrillation In Older Adults At Primary Care Visits Using Single Lead Electrocardiograms: The VITAL-AF Trial;
Steven R: 3-year Clinical Outcomes In A Nationwide, Randomized, Pragmatic Clinical Trial Of Atrial Fibrillation Screening - Mhealth Screening To Prevent Strokes (mstops); vorgestellt bei der Late-Breaking Science-Session VI, 16.11.2020, American Heart Association Scientific Sessions 2020