Wie sich Herzinsuffizienz-Patienten anhand eines EKGs erkennen lassen
Künstliche Intelligenz kann vieles erkennen, was für Menschen kaum oder gar nicht nachvollziehbar ist. Eine randomisierte Studie deutet nun darauf hin, dass ein mit Maschinenlernen hinterlegtes EKG dabei helfen kann, Herzinsuffizienz auf Hausarztebene früher zu erkennen.
Eine ganze Reihe von Studien hat in den letzten Jahren gezeigt, dass sich die herkömmliche 12-Kanal-EKG-Untersuchung optimieren lässt, wenn sie mit Maschinenlernalgorithmen hinterlegt wird.
Softwarehilfe bei der EKG-Interpretation ist eigentlich ein alter Hut, es gab sie schon vor zwanzig Jahren. Die damit adressierbaren Fragestellungen waren aber immer begrenzt, und die Leistungsfähigkeit dieser Systeme war oft alles andere als optimal.
Die neue Herangehensweise unter Nutzung von Massendaten und Deep Learning hat die EKG-Algorithmen nicht nur genauer gemacht, sondern ihnen auch neue diagnostische Felder erschlossen, etwa die Prädiktion von Vorhofflimmern oder die Erkennung einer Herzinsuffizienz bzw. einer eingeschränkten Pumpfunktion. Zu den Vorreitern zählen hier Experten der Mayo Clinic und der Stanford University, die in den letzten Jahren eine Reihe von auf künstlicher Intelligenz (KI) basierenden EKG-Algorithmen entwickelt und retrospektiv validiert haben.
KI-Algorithmus wird randomisiert evaluiert
Was bisher fehlte, waren prospektive, randomisierte Studien. Bei der virtuellen AHA-Tagung hat Dr. Peter Noseworthy, Kardiologe an der Mayo Clinic in Rochester, Minnesota, jetzt die Ergebnisse der Studie EAGLE (AI-ECG Guided Screening for Low Ejection Fraction) vorgestellt, die antritt, diese Lücke zu schließen. Wie der Studienname andeutet, ging es um einen Algorithmus, der die Ärzte anhand des 12-Kanal-EKGs in einem Screening-Szenario auf eine mögliche eingeschränkte Pumpfunktion aufmerksam macht. Bei sehr auffälligen EKG-Befunden, etwa einem Linksschenkelblock, denkt zwar ohnehin jeder daran, eine Echokardiografie anzufordern. Die Algorithmen-Studien der letzten Jahre haben aber gezeigt, dass es auch subtilere Hinweise gibt, die sofort Verdacht schöpfen lassen.
Die EAGLE-Studie war eine clusterrandomisierte Studie, an der 120 Einrichtungen mit insgesamt rund 22.000 Patienten teilnahmen, die alle aus unterschiedlichsten Gründen ein EKG in einem hausärztlichen Kontext (mehr als die Hälfte der Patienten) oder in einer Notaufnahme (gut ein Drittel) erhalten hatten. Nur rund 10% der EKGs waren Krankenhaus-EKGs. Patienten mit bereits bekannt eingeschränkter EF < 50% und Kinder wurden nicht berücksichtigt. Mehr als die Hälfte der Patienten war unter 65 Jahre alt.
Alle EKGs wurden mit dem KI-Algorithmus analysiert, aber nur in der Hälfte der Einrichtungen wurden die behandelnden Ärzte über die Ergebnisse der softwaregestützten Auswertung informiert. Primärer Endpunkt waren Patienten mit neu diagnostizierter, reduzierter Ejektionsfraktion (EF). Insgesamt erkannte der Algorithmus sowohl in der Interventionsgruppe als auch in der Kontrollgruppe bei rund 6% der Patienten mit 12-Kanal-EKG Hinweise auf eine reduzierte EF.
Fünf von tausend werden rausgefischt
Im Ergebnis zeigte sich, das die behandelnden Ärzte in der Interventionsgruppe bei 49,6% der Patienten mit Warnmeldung des Algorithmus eine Echokardiografie anforderten. In der Kontrollgruppe war das nur bei 38,1% der Patienten, bei denen eine Algorithmus-Warnung generiert worden wäre, der Fall. Auf die Gesamtkohorten gerechnet wurde in der Interventionsgruppe bei 2,1% der Patienten eine reduzierte EF neu diagnostiziert, gegenüber 1,6% in der Kontrollgruppe. Das war ein signifikanter Unterschied (p=0,007).
Getrieben wurde dieser Unterschied vor allem durch die hausärztlichen Patienten, das zeigen Subgruppenanalysen. Bei den Patienten mit EKG im Krankenhaus gab es keinen Unterschied, bei den Notaufnahmepatienten nur einen Trend zugunsten des Algorithmus. Auch bei 15% jener Patienten, bei denen der Algorithmus Alarm schlug und die keine reduzierte EF hatten, fanden sich Auffälligkeiten, überwiegend mindestens moderate Herzklappenveränderungen.
Die entscheidende Frage ist natürlich die nach dem „Netto-Nutzen“ des Algorithmus. Auch den haben die Mayo-Ärzte berechnet. Pro 1.000 mit EKG-Algorithmus gescreenten Patienten werden demnach fünf Patienten mit reduzierter EF entdeckt, die ohne Algorithmus zu dem Zeitpunkt nicht entdeckt worden wären.
Literatur
Noseworthy P et al: AI-ECG Guided Screeninf for Low Ejection Fraction (EAGLE); 15.11.2020, American Heart Association Scientific Sessions 2020