Antidot gegen Plättchenhemmer wirkt schnell und sicher
Die plättchenhemmende Wirkung von Ticagrelor lässt sich durch eine Thrombozytentransfusion nicht aufheben. Ein neues, spezifisches Antidot könnte Abhilfe schaffen. In einer Studie hat das Medikament eine „vielversprechende“ Wirksamkeit gezeigt.
Vielleicht gibt es bald ein spezifisches Antidot gegen Ticagrelor. Bentracimab – ein gegen Ticagrelor gerichteter Antikörper – hat sich in einer vorläufigen Analyse der Phase III-Studie REVERSE-IT als wirksam erwiesen.
Bentracimab habe eine sofortige und anhaltende Aufhebung der Antiplättchen-Wirkung von Ticagrelor erzielt, berichtete Studienleiter Prof. Deepak Bhatt über die Ergebnisse beim AHA-Kongress.
Ticagrelor-bindendes Antikörperfragment
Wie der Kardiologe vom Brigham and Women's Hospital in Boston ausführte, handelt es sich bei Bentracimab um ein rekombinantes monoklonales IgG1-Antikörperfragment. Dieses bindet freies Ticagrelor mit hoher Affinität und Spezifität und verhindert dadurch die Blockierung des P2Y12-Rezeptors durch den Thrombozytenaggregationshemmer. Dadurch sei ADP in der Lage, die Plättchen zu aktivieren, erläuterte Bhatt den Wirkmechanismus des neuen Agens, derweil der entstehenden Bentracimab/Ticagrelor-Komplexe aus dem Blutstrom eliminiert werde.
Interimsanalyse soll Zulassung beschleunigen
Weil bisher keine zufriedenstellenden Optionen zur Aufhebung der Ticagrelor-Wirkung existieren (eine Thrombozytentransfusion funktioniert nur bei Clopidogrel und Prasugrel gut), hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA Bentracimab den Status einer „Breakthrough Therapy“ verliehen. Auch die europäische Arzneimittel-Agentur EMA hat das Medikament in ihr PRIME-Programm für eine beschleunigte Zulassung aufgenommen. Die nun von Bhatt berichteten Ergebnisse der präspezifierten Interimsanalyse der offenen, prospektiven, einarmigen REVERSE-IT-Studie sollen die vorläufige Zulassung von Bentracimab beschleunigen.
Insgesamt 150 Patienten, die innerhalb der letzten drei Tage Ticagrelor eingenommen hatten, wurden für die Studie rekrutiert. Alle Patienten benötigten eine sofortige Aufhebung der Antiplättchen-Wirkung: entweder, weil eine dringliche Operation oder invasive Prozedur anstand (bei 142 Probanden, meistens eine Bypass-OP) oder weil bei ihnen eine unkontrollierte/lebensbedrohliche Blutung aufgetreten war (bei 8 Patienten). Alle erhielten deshalb Bentracimab i.v.
Hemmung der Thrombozytenfunktion hat schnell nachgelassen
Vier Stunden nach der Antikörper-Infusion hat die mittels des VerifyNow-Plättchenfunktionstest gemessene Thrombozytenaktivität deutlich zugenommen. Oder anders ausgedrückt: Die prozedurale Hemmung der Plättchenfunktion (PRU-Werte) – der primäre Studienendpunkt – hat vier Stunden nach der Bentracimab-Gabe deutlich abgenommen (p˂0,001). Das Ausmaß der Ticagrelor-Wirkumkehr sei über 24 Stunden hinweg durchgehend zu allen Zeitpunkten hochsignifikant gewesen, so Bhatt. Dasselbe Bild ergab sich, wenn für die Plättchenfunktionstestung der VASP-Assay eingesetzt wurde.
Es machte auch keinen Unterschied, ob die Patienten wegen einer dringenden Operation oder wegen einer Blutung das Antidot erhalten haben: In beiden Fällen setzte die Wirkung des Medikamentes unmittelbar ein und hielt über 24 Stunden an.
Gute bis exzellente Hämostase
In über 90% der Fälle sei die eingetretene Hämostase als gut oder exzellent eingestuft worden, berichtete Bhatt über einen weiteren Endpunkt der Studie. Von den wenigen Patienten, die wegen einer Blutung das Antidot bekamen, hatten 77,8% eine gute bis exzellente Hämostase erreicht.
Auf Bentracimab zurückführbare, ernsthafte Nebenwirkungen, allergische Reaktionen oder Reaktionen auf die Infusion hat es Bhatt zufolge nicht gegeben. „Bentracimab scheint eine sehr vielversprechende Option für die Aufhebung der Ticagrelor-Wirkung zu sein“, lautete das Fazit des US-Kardiologen.
Doch welche Patienten brauchen das Antidot?
Der anschließende Diskutant beim AHA-Kongress, Prof. Gilles Montalescot, betonte zwar ebenfalls das Alleinstellungsmerkmal von Bentracimab als bisher einzige zufriedenstellende Option zur Aufhebung der Ticagrelor-Wirkung. Doch viele Fragen seien noch offen, monierte der in Paris tätige Kardiologe. So gibt die Studie keine ausreichenden Informationen über das thrombotische Risiko nach der Wirkumkehr von Ticagrelor. Acht entsprechende Ereignisse sind im Zuge der Antidot-Gabe aufgetreten, wobei keines in Verbindung mit Bentracimab gebracht wurde. Fraglich ist laut ihm zudem, ob die geringe Zahl an blutenden Patienten ausreicht, um für sie dieselben Schlüsse ziehen zu können wie für Patienten mit einer anstehenden Operation. Montalescot wies auch auf das Fehlen einer Kontrollgruppe hin, und fragt sich, ob ein entsprechendes Design wirklich unethisch gewesen wäre.
Zu guter Letzt stellte der französische Kardiologe das mögliche Einsatzgebiet des Antidots zur Diskussion. So hat die ebenfalls beim AHA-Kongress präsentierte RAPID-CABG-Studie gezeigt, dass eine frühe Bypass-Operation bereits zwei bis drei Tage nach Absetzen von Ticagrelor sicher ist. Und wie viele Patienten könnten, so Montalescot, nicht drei Tage auf eine Bypass-Operation warten?
Literatur
Bhatt D: Effect of Bentracimab on Platelet Inhibition and Hemostasis in Ticagrelor Patients With Uncontrolled Hemorrhage or Requiring Urgent Surgery in the REVERSE-IT, Late Breaking Science Session 7, AHA Congress, 13.-15. November 2021