Sichere Bypass-OP relativ früh nach Ticagrelor-Stop möglich
Bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom und Ticagrelor-Therapie, die eine Bypass-Operation benötigen, ist eine zwei bis drei Tage nach Absetzen des Plättchenhemmers vorgenommene Operation bezüglich Blutungen ebenso sicher wie ein Eingriff, bei dem fünf Tage gewartet wird.
In der Frage, wie lange bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS) eine zuvor erfolgte Ticagrelor-Therapie abgesetzt sein muss, bevor eine geplante Bypass-Operation sicher in Angriff genommen werden kann, besteht eine transatlantische Divergenz der Leitlinien. Während die US-Leitlinien empfehlen, mindestens fünf Tag abzuwarten, hält man in Europa eine Wartefrist von nur drei Tagen für ausreichend.
Erster randomisierter Vergleich zweier Operationsstrategien
Wer hat da recht? Das ist jetzt erstmals in einer randomisierten Vergleichsstudie systematisch untersucht worden. Ihren Ergebnissen zufolge ist eine zwei bis drei Tage nach Ticagrelor-Stop durchgeführte Bypass-OP im Hinblick auf schwere oder massive perioperative Blutungen ebenso sicher wie eine nach fünf bis sieben Tagen vorgenommene Operation. Mehr noch: Eine frühere Operation ging auch mit einer Abnahme von ischämischen Ereignissen einher.
Dr. Derek So vom University of Ottawa Heart Institute in Ottawa, Kanada, hat die RAPID-CABG benannte Studie als „Late-breaking Trial“ beim AHA-Kongress 2021 vorgestellt.
An der Studie waren 143 Patienten mit ACS (zumeist ohne ST-Streckenhebung; mittleres Alter: 64 Jahre) und koronarer Mehrgefäßerkrankung (in 93% der Fälle) beteiligt, bei denen eine koronare Bypass-OP geplant war. Patienten mit Stenting der Infarktläsion oder dringlich (innerhalb von 24 Stunden) erforderlicher Bypass-OP waren von einer teilnahme ausgeschlossen.
Per Zufallszuteilung wurden die Teilnehmer zwei Gruppen zugeordnet, in denen der operative Eingriff entweder innerhalb von 2 bis 3 Tagen oder binnen 5 bis 7 Tagen erfolgen sollte. Im Median wurde nach 3 Tagen (frühe OP) und nach 6 Tagen (verzögerte OP) operiert.
Nichtunterlegenheit der frühen Bypass-OP bestätigt
Primärer Endpunkt war das Auftreten von schweren oder massiven perioperativen Blutungen, entsprechend den Klassen 3 oder 4 gemäß UDPB-Klassifikation (Universal Definition of Perioperative Bleeding). Mit 4,6% (frühe OP) versus 5,2% (verzögerte OP) unterschieden sich die entsprechenden Blutungsraten in beiden Gruppen nur gering (p = 0,0253 für Nichtunterlegenheit). Es wurden nur schwere (= Klasse 3), aber keinen massiven (= Klasse 4) Blutungen beobachtet. In der Gruppe mit früher OP, nicht aber in der Gruppe mit späterer OP, wurden darüber hinaus noch zwei Blutungen des TIMI-CABG-Typs und zwei des BARC-4-Typs registriert.
Einen Unterschied gab es bezüglich des Auftretens von ischämischen Ereignisse vor der Operation: Während in der Gruppe mit früher OP keine entsprechenden Komplikationen zu verzeichnen waren, wurden in der Gruppe mit später vorgenommener OP bereits präoperativ sechs Ereignisse (8,7%) beobachtet, und zwar ein Myokardinfarkt, vier Fälle von instabiler Angina pectoris und eine Kammertachykardie. Die mediane Dauer des Klinikaufenthalts war in der Gruppe mit rascher vorgenommener Bypass-OP kürzer als in der Vergleichsgruppe (9 vs. 12 Tage).
Weniger kardiovaskuläre Ereignisse bei früher OP
Nach sechs Monaten war die Rate für den MACE-Endpunkt (major adverse cardiovascular events: Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, Angina-pectoris-Rezidive, Revaskularisation) mit 5,6% vs. 13,0% nach früher Bypass-OP niedriger als nach verzögert vorgenommenen Eingriffen. Die Studie sei aber nicht groß genug, um auf Basis ihrer Daten zuverlässige Aussagen zur Wirkung der verglichenen Operationsstrategien auf klinische Ereignisse machen zu können, räumte Studienleiter Derek So ein.
Sein Fazit: RAPID-CABG sei die erste und einzige randomisierte Studie zu Evaluierung der Sicherheit einer frühen Bypass-OP nach vorheriger Ticagrelor-Behandlung. Sie zeige, dass die Strategie einer 2 bis 3 Tage nach Absetzen von Ticagrelor vorgenommenen OP in Bezug auf das Auftreten von schweren oder massiven Blutungen einer um 5 bis 7 Tage verzögerten Operation nicht unterlegen sei.
Literatur
Vorgestellt in der Sitzung „Late Breaking Science Session 01: Valves, Veins and New Viewpoints in Cardiothoracic Surgery” beim Kongress der American Heart Association (AHA 2021), 13. – 15. November 2021