Latente rheumatische Herzerkrankung: Helfen Antibiotika?
Weltweit betrachtet sind rheumatische Herzerkrankungen ein großes Problem. Eine Lösung könnten Screeningprogramme sein, inklusive einer Antibiotikaprophylaxe, falls die Diagnose gestellt wird. In einer randomisierten Studie ist das Konzept jedenfalls aufgegangen.
Wenn bei Kindern eine latente rheumatische Herzerkrankung entdeckt wird, sollte über den Beginn einer Antibiotikaprophylaxe nachgedacht werden. In der beim AHA-Kongress vorgestellten, randomisierten GOAL-Studie hat sich eine solche Behandlung als prognostisch günstig herausgestellt.
„Wir beobachteten eine signifikante Risikoreduktion für eine Krankheitsprogression in der Gruppe mit einer Prophylaxe“, berichten die Studienautoren um Prof. Andrea Beaton vom Children’s Hospital Medical Center in Cincinnati in der parallel im „New England Journal of Medicine“ veröffentlichten Publikation.
Weltweit verursacht die Erkrankung viele Todesfälle
Obwohl die Prävalenz des rheumatischen Fiebers und damit auch der rheumatischen Herzerkrankung in den Industrieländern deutlich abgenommen hat, leben Schätzungen zufolge weltweit 40,5 Millionen Menschen mit einer rheumatischen Herzerkrankung. Die Erkrankung würde jährlich etwa 306.000 Todesfälle verursachen, so die Kinderkardiologen. Vor allem in Entwicklungsländern ist die jährliche Sterblichkeitsrate mit fast 10% sehr hoch. Verursacht wird die rheumatische Herzerkrankung durch eine unbehandelte Streptococcus pyogenes-Infektion. Sie tritt nach Angaben der WHO am häufigsten im Kindesalter auf.
Unsicherheit über Behandlung latenter Erkrankungsformen
Es steht zwar außer Frage, dass im Falle einer manifesten Erkrankungsform Antibiotika zur Sekundärprophylaxe verabreicht werden sollten; bewährt hat sich hierfür Benzylpenicillin-Benzathin als intramuskuläre Injektion. Doch ob eine solche Behandlung auch bei Kindern und Jugendlichen mit einer sog. latenten rheumatischen Herzerkrankung eine Prognoseverbesserung verspricht, dafür gibt es bisher keine Evidenz. Eine latente Form liegt vor, wenn geringfügige Veränderungen der Herzklappen vorliegen, diese aber keine Beschwerden verursachen. Solche latenten Formen sind oftmals klinisch kaum zu erkennen.
Eine Lösung für eine bessere Früherkennung der Erkrankung könnte ein Screeningprogramm sein, im Rahmen derer Kinder und Jugendliche mittels einer Echokardiografie untersucht werden. Über die Einführung entsprechender bevölkerungsweiter Programme wird in Fachkreisen schon länger diskutiert. Doch deren Implementierung ist Beaton und Kollegen zufolge nur zu rechtfertigen, wenn sich daraus therapeutische Konsequenzen ergeben, also z.B., wenn eine anschließend initiierte Antibiotikaprophylaxe den betroffenen Patienten etwas nützt. Die anhaltende Diskussion darum war der Grund für die Initiierung der GOAL-Studie.
Im Rahmen der Studie wurden im Norden Ugandas 102.200 Kinder und Jugendliche in einem Alter von 5 bis 17 Jahren auf das Vorliegen einer latenten rheumatischen Herzerkrankung gescreent. Bei 926 Kindern konnte mithilfe des Echos die definitive Diagnose gestellt werden, 916 wurden letztlich randomisiert. Die eine Hälfte erhielt über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg alle vier Wochen eine Benzylpenicillin-Benzathin-Injektion. Die anderen Patienten blieben ohne eine solche Prophylaxe.
Risiko für Progression deutlich reduziert
Nach zwei Jahren ließ sich nur bei drei Kindern und Jugendlichen aus der Prophylaxe-Gruppe eine Progression der Herzkrankheit in der Echokardiografie nachweisen (0,8%). In der Kontrollgruppe waren 33 Patienten (8,2%) betroffen. Die prophylaktische Antibiotika-Gabe reduzierte das Risiko für eine Progression damit hochsignifikant (relatives Risiko, RR: 0,09; p ˂ 0,001). Keinen signifikanten Einfluss hatte die Antibiotika-Therapie dagegen auf die Wahrscheinlichkeit für eine Regression der Erkrankung, die immerhin bei fast der Hälfte aller Studienpatienten aus beiden Gruppen eingetreten war.
Auf die Antibiotika-Gabe zurückführbare, ernsthafte Nebenwirkungen gab es nur in zwei Fällen; in einem Fall handelte es sich um eine milde anaphylaktische Reaktion auf das Medikament (womit solche Reaktionen in weniger als 0,1% aller Injektionen aufgetreten sind).
„Neue Evidenz zugunsten eines Screenings“
Nach Ansicht der Studienautoren liefern ihre Ergebnisse damit „neue Evidenz zugunsten eines Screenings“. Sie schätzen auf Basis ihrer Daten, dass 13 Kinder oder Jugendliche mit einer latenten rheumatischen Erkrankung mit einem Antibiotikum behandelt werden müssten, um bei einem Kind/Jugendlichen eine Progression innerhalb von zwei Jahren zu verhindern.
Trotz allem, zu einer endgültigen Entscheidung können sich Beaton und Kollegen zum jetzigen Zeitpunkt nicht durchringen. Diese Studie allein reiche nicht aus für die Implementierung eines echokardiografischen Screeningprogramms, betonen sie. Zum einen existierten im Alltag zahlreiche Hürden, die die Umsetzung erschweren. Zum anderen könnten angesichts der hohen Rate an Krankheitsregressionen in ihre Studie Bedenken lautwerden, dass ein gewisser Anteil der Patienten womöglich nicht von einer solchen Behandlung profitiert.
Die Kinderkardiologen fordern deshalb weitere Studien, welche die Implementierung eines solchen Programmes in der „Real World“ prüfen sollten. Nichtsdestotrotz könnte es ihrer Ansicht nach jetzt schon an der Zeit sein, die Aufnahme eines bevölkerungsweiten Screenings inklusive der Initiierung einer Prophylaxe in den von der WHO initiierten nationalen Aktionsplan zur Resolution rheumatischer Herzerkrankungen zu prüfen.
Literatur
Beaton A: A Randomized Controlled Trial of Secondary Antibiotic Prophylaxis for Latent Rheumatic Heart Disease, AHA Congress, 13.-15. November 2021
Beaton A et al. Secondary Antibiotic Prophylaxis for Latent Rheumatic Heart Disease; N Engl J of Med 2021; DOI: 10.1056/NEJMoa2102074