Herz-OP bei Säuglingen: Was nützen Steroide?
Seit Jahrzehnten werden Steroide bei Kleinkindern, die am Herzen mit kardiopulmonalem Bypass operiert werden, eingesetzt, obwohl deren Nutzen umstritten ist. Nun liegen die Ergebnisse einer randomisierten Studie vor – die sind zwar neutral, der Studienautor wird von seinem Vorgehen trotzdem nicht abrücken.
Eine perioperative Steroid-Gabe kann das Auftreten von Komplikationen bei Säuglingen, die eine on-pump-Herzoperation erhalten haben, statistisch betrachtet nicht signifikant reduzieren. So lässt sich das Ergebnis des primären Endpunktes der jetzt beim AHA-Kongress und zeitgleich im The New England Journal of Medicine vorgestellten randomisierten placebokontrollierten STRESS-Studie zusammenfassen. Studienautor Dr. Kevin Hill zieht aus der Studie – trotz ihres auf den ersten Blick neutralen Ausganges – trotzdem etwas Positives: „Steroide bieten einen geringfügigen Nutzen“, gab der Kinderkardiologe von der Duke Universität in Durham den allgemeinen Konsens der STRESS-Studienleiter beim AHA-Kongress wieder.
Jahrzehntelanger Einsatz trotz unsicherer Datenlage
Doch zunächst zu den Hintergründen. Die STRESS-Studie wurde initiiert, weil Kortikosteroide prophylaktisch schon seit Jahrzehnten bei on-pump-Herzoperationen eingesetzt werden, um die systemische inflammatorische Reaktion auf den kardiopulmonalen Bypass (CBP) abzumildern, der Nutzen einer solchen Strategie aber bis heute nicht eindeutig belegt ist. In der DECS- und SIRS-Studie hatte eine Steroid-Gabe die Prognose von erwachsenen Patientinnen und Patienten nach Herzoperationen mit CBP nicht verbessern können. Jedoch bewirkte die Therapie eine Abnahme von Infektionen und Lungenversagen und verkürzte den Krankenhausaufenthalt bzw. die Liegedauer auf Intensivstation.
Bei Kindern ist die Studienlage ebenfalls durchwachsen: In einer 2014 publizierten Metaanalyse brachten Steroide einen Überlebensvorteil, in zwei jüngeren Metaanalysen war das aber nicht der Fall. Insgesamt betrachtet gibt es für Kinder und Säuglinge, wie Hill beim Kongress betonte, „keine guten Daten“, unter anderem auch deshalb, weil Kinder mit angeborenen Herzerkrankungen eine seltene, heterogene und schwer zu rekrutierende Patientengruppe darstellen.
Registerbasierte, randomisierte, placebokontrollierte Studie
Deshalb entschieden sich die Initiatoren der STRESS-Studie für einen pragmatischen Weg: Sie nutzten die seit 1998 vorhandene Infrastruktur des STS-CHSD-Registers („Society of Thoracic Surgeons Congenital Heart Surgery Database“). Aus dieser Datenbank wurden aus 24 Zentren 1.263 Kleinkinder (˂ 1 Jahr alt), bei denen eine on-pump-Herzoperation geplant war, rekrutiert. 1.200 dieser Kinder wurden letztlich randomisiert: zu einer prophylaktischen Therapie mit Methylprednisolon (30 mg/kg Körpergewicht) oder zu Placebo, in beiden Fällen wurde die Substanz in die Pumpenflüssigkeit gegeben. Zu den häufigsten vorgenommenen Operationen zählten Reparaturen von Ventrikelseptumdefekten und atrioventrikulären Septumdefekten sowie Korrekturen einer Fallot'sche Tetralogie.
Kein signifikanter Einfluss auf primären Endpunkt
Der primäre Studienendpunkt stellte ein hierarchisch geordneter Komposit aus operativen Tod, notwendiger Herztransplantation oder schwerwiegende Komplikationen (dazu zählten 13 Vorfälle wie Nierenversagen mit Dialyse, postoperativer Einsatz einer mechanischen Kreislaufunterstützung, verlängerte Beatmung, ungeplante kardiale Reoperationen, Reoperationen wegen Blutungen usw.).
Wenn kein Ereignis solcher Art aufgetreten war, erfolgte das Ranking auf Grundlage des postoperativen Klinikaufenthaltes. Die STRESS-Autoren entschieden sich zudem dafür, die Ergebnisse für den primären Endpunkt auf Kovariaten zu adjustieren, trotz des randomisierten Designs, weil die Studienpopulation heterogen gewesen sei und eine solche Adjustierung die statistische Power erhöhe, begründen sie in der Publikation dieses Vorgehen.
Dieser adjustierten Analyse zufolge kann Methylprednisolon die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten des primären Endpunktes im Vergleich zu Placebo nicht reduzieren (Odds Ratio, OR: 0,86; p=0,14). Wie Hill beim Kongress ausführte, hatte das Steroid bei den einzelnen Endpunkten aber meistens die Nase vorn. So kamen Reoperationen wegen Blutungen numerisch betrachtet im Steroid-Arm deutlich seltener vor (1,2% vs. 3,5%), ebenso wie ungeplante interventionelle Kathetereingriffe (3,7% vs. 5,5%).
Es scheint aber einen Trend zu geben
Bei Betrachtung der sekundären Endpunkte lässt sich Hill zufolge ebenfalls ein Trend zugunsten von Methylprednisolon ausmachen. So ergab die nicht adjustierte Analyse einen grenzwertig signifikanten Effekt der prophylaktischen Steroid-Gabe auf das Auftreten des primären Endpunktes (Odds Ratio, OR: 0,82, p=0,047). Eine entsprechende Wirkung zeigte sich ebenfalls bei der Auswertung der sog. Win Ratio. Für diese statistische Methode werden Patientenpaare aus beiden Studienarme gebildet. Diese werden mit Blick auf die Endpunkte hierarchisch miteinander verglichen, beginnend mit dem Tod. Das Verhältnis aus „Gewinnern“ zu „Verlierern“ bildet die Win Ratio (OR: 1,15; p = 0,046).
Aus einer Subgruppenanalyse lässt sich zudem ableiten, dass vor allem Patienten mit wenig komplexen Operationen (STAT-Mortalitäts-Kategorie 1–3; OR: 0,75), solche, bei denen der Bypass lange angeschlossen war (180 Minuten, OR: 0,77), und Kinder, die keine Frühgeburt waren (OR: 0,80), von der Steroid-Therapie profitieren könnten.
Studienautor wird Steroide weiterhin empfehlen
Die anschließende Diskutantin der Studienpräsentation, Dr. Stephanie Fuller vom Children's Hospital of Philadelphia, geht deshalb von einem moderaten Effekt der Steroid-Behandlung bei Niedrigrisikopatienten aus. Die Herzchirurgin fragt sich aber, inwiefern sich diese Erkenntnisse auf die Praxis auswirken werden. Studienautor Hill wird nach eigenen Angaben von seinem bisherigen Vorgehen nicht abrücken. „Wir alle werden Steroide weiterhin empfehlen“, berichtete er über die Reaktionen aus dem Studienleiter-Board. Die Ergebnisse seien aber durchwachsen ausgefallen, gab er zu. Deshalb müsse jedes Zentrum seine eigenen Schlüsse daraus ziehen.
Dabei gilt es auch die Sicherheitsaspekte einer Steroid-Behandlung zu berücksichtigen. In der STRESS-Studie traten als einziges unerwünschtes Ereignis unter der Therapie vermehrt Hyperglykämien auf, die eine Insulin-Gabe erforderten. Positiv zu vermerken ist wiederum, dass Patientinnen/Patienten, die Methylprednisolon erhalten haben, seltener im Anschluss an die Operation Hydrokortison benötigten. Hydrokortison wird in diesem Kontext zur Behandlung eines Low-cardiac-output-Syndroms (LCOS) eingesetzt.
Literatur
Hill K: Steroids to Reduce Systemic Inflammation After Infant Heart Surgery: The STRESS Trial; Late Breaking Science III. AHA Kongress 2022, 5. – 7. November 2022, Chicago
Hill K et al. Methylprednisolone for Heart Surgery in Infants — A Randomized, Controlled Trial; New Engl J of Medicne 2022; DOI: 10.1056/NEJMoa2212667