Nachrichten 16.11.2022

Hilft Achtsamkeitstraining gegen Bluthochdruck?

Viele Menschen schaffen es nicht, ihren hohen Blutdruck durch die üblichen Maßnahmen ausreichend zu senken. In einer randomisierten Studie testeten Wissenschaftler nun eine eher „unkonventionelle“ Methode zur Blutdrucksenkung, und die scheint Potenzial zu haben.

Ein speziell auf Bluthochdruckpatienten zugeschnittenes Achtsamkeitsprogramm hat in einer randomisierten Studie tatsächlich Wirkung gezeigt. Über die Ergebnisse berichtete Studienautor Prof. Eric Loucks beim diesjährigen AHA-Kongress in Chicago.

„Ein achtsamkeitsbasiertes Bluthochdruck-Programm war innerhalb von sechs Monaten mit einer Senkung des systolischen Blutdrucks um 5,9 mmHg assoziiert“, stellte der an der Brown Universität in Rhode Island tätige Experte für Achtsamkeit das Kernergebnis der Studie vor.

Ehe der die Studienergebnisse im Detail vorstellte, vergegenwärtigte Loucks den Zuhörern zunächst die aktuelle Situation in puncto Blutdruckeinstellung. 46% der US-Amerikaner litten an Bluthochdruck, von denen hätten nur 48% diesen unter Kontrolle, machte der Experte deutlich.

Prinzipien von Achtsamkeit

Um die Lage zu verbessern, gingen Loucks und sein Team einen eher unkonventionellen Weg: Sie entwickelten ein Achtsamkeitstrainingsprogramm, das spezifisch auf Bluthochdruckpatienten zugeschnitten ist. Wie Loucks beim Kongress erläuterte, verfolgt Achtsamkeit („mindfulness“) prinzipiell zwei Ziele:

  1. die Bewusstseinsklarheit über Gedanken, Emotionen und körperlicher Empfindungen erlangen, und 
  2. die Qualität von Achtsamkeit, d.h. eine nicht wertende Haltung einnehmen, Bewusstseinsinhalte akzeptieren und ihnen wohlwollend gegenüberstehen.

Diese Prinzipien bilden auch die Basis des achtsamkeitsbasierten Bluthochdruck-Programmes. Die Teilnehmenden sollen über Achtsamkeitsübungen, dazu gehört z.B. Meditation und Atemübungen, Selbsterkenntnis, Aufmerksamkeitskontrolle und Kontrolle über ihre Emotionen erlangen. Das Besondere an dem Programm ist, wie Loucks ausführte, dass das Bewusstsein der Teilnehmer dabei auf Dinge gelenkt wird, die den Blutdruck beeinflussen können wie körperliche Aktivität, Alkoholkonsum, Ernährung, Reaktion auf Stress und Einnahme von Medikamenten. Ziel sei es beispielsweise, dass die Patienten positive Gefühle und körperlichen Reaktionen, die sie nach sportlichen Betätigungen verspüren, wahrnehmen und sich den positiven Effekten bewusstwerden.

Spezielles Programm in randomisierter Studie getestet

Ob dieses Programm die erwünschte Wirkung – nämlich eine Blutdrucksenkung – erzielt, haben Loucks und Kollegen nun im Rahmen der MB-BP-Studie getestet. 201 Patientinnen und Patienten mit einem erhöhten, unbeaufsichtigten Praxisblutdruck (≥ 120/80 mmHg) wurden randomisiert entweder dem speziellen Achtsamkeitsprogramm oder einer Kontrollgruppe mit üblicher Betreuung zugeteilt. Die Intervention ging über 8 Wochen, 2,5 Stunden pro Woche absolvierten die Teilnehmer Achtsamkeitsübungen. Zu Baseline lag der systolische Blutdruck der Teilnehmer bei gut 138 mmHg.

Signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen

Nach dem sechsmonatigen Follow-up war der systolische Blutdruck in der Interventionsgruppe im Schnitt um 5,9 mmHg abgesunken (p ˂ 0,001). In der Kontrollgruppe reduzierte sich der Blutdruck um durchschnittlich 1,4 mmHg. Dadurch ergibt sich ein signifikanter Unterschied von 4,5 mmHg zwischen den Gruppen (p=0,045).

In einer Analyse, in der auf Baselinecharakteristika stratifiziert wurde, bestätigt sich dieses Ergebnis zumindest im Trend: Die Blutdrucksenkung in der Achtsamkeitsgruppe fiel stärker aus (p=0,056). Deutlich niedriger fiel die Effektgröße allerdings aus, wenn auf jene Teilnehmer adjustiert wurde, die im Verlauf der Studie „verloren“ gegangen sind (p=0,26). Wie Loucks beim Kongress erläuterte, ist der Patientenausfall im Wesentlichen auf die COVID-Pandemie zurückzuführen.

Klinisch relevantes Ergebnis?

Trotzdem glaubt der Experte, dass die Blutdrucksenkung, die durch das Achtsamkeitstraining in der Studie erreicht wurde, „klinisch relevant“ sein könnte. Eine Metaanalyse mit über 300.000 Teilnehmer habe gezeigt, dass sich eine Absenkung des Bluthochdrucks von 5 mmHg in einer 10%igen Reduktion schwerer kardiovaskulärer Ereignisse übersetzt, argumentierte er.

Was konkret zur Blutdrucksenkung in der Achtsamkeitsgruppe beigetragen haben könnte, versuchte Loucks durch weitere Analysen zu erklären. So verbrachten die Teilnehmer mit Achtsamkeitstraining deutlich weniger Zeit im Sitzen als die Probanden der Kontrollgruppe. Im Trend befolgte die Achtsamkeitsgruppe auch eher die Prinzipien der DASH-Diät und bewegte sich häufiger in der Woche als die Kontrollgruppe.  

Wichtige Limitationen der Studie sind die kurze Interventionsdauer und das ausgewählte Patientenkollektiv (es handelte sich um hochgebildete Bürger). Zu klären gilt es deshalb, ob die Intervention auch über eine längere Zeit aufrechterhalten werden kann und ob die Ergebnisse auf andere Patientenpopulationen übertragbar sind.

Literatur

Loucks E: The Effect of Adapted Mindfulness Training in Participants With Elevated Office Blood Pressure: The Mindfulness-Based Blood Pressure Reduction (MB-BP) Randomized Clinical Trial. l. Late Breaking Science IV. AHA Kongress 2022, 5. – 7. November 2022, Chicago. 

Neueste Kongressmeldungen

Welcher Faktor determiniert das Herzrisiko unter einer Statintherapie?

Bei Patienten, die bereits Statine zur Lipidsenkung erhalten, sind im CRP-Wert sich widerspiegelnde Entzündungsprozesse ein stärkerer Prädiktor für künftige kardiovaskuläre Ereignisse als das LDL-Cholesterin, zeigt eine umfangreiche Metaanalyse.

Hypertrophe Kardiomyopathie kein Argument gegen Sport

Wer an einer hypertrophen Kardiomyopathie leidet und regelmäßig Sport mit Belastungen über 6 MET betreibt, riskiert damit keine arrhythmischen Komplikationen, so das Ergebnis einer großen prospektiven Studie. Eine Voraussetzung muss jedoch erfüllt sein.

Herzinsuffizienz: Erinnerungstool fördert MRA-Verschreibung

In der BETTER-CARE-HF-Studie wurden zwei Systeme getestet, die Ärzte und Ärztinnen darüber benachrichtigen, welche ihrer Herzinsuffizienzpatienten für eine MRA-Therapie geeignet sind. Eines davon war besonders erfolgreich beim Erhöhen der Verschreibungsrate.

Neueste Kongresse

DGK.Herztage 2022

Vom 29.9.-1.10.2022 finden die DGK.Herztage in Bonn statt.

TCT-Kongress 2022

Hier finden Sie die Highlights der Transcatheter Cardiovascular Therapeutics (TCT) Conference 2022, der weltweit größten Fortbildungsveranstaltung für interventionelle Kardiologie. 

DGK-Jahrestagung 2022

„Neue Räume für kardiovaskuläre Gesundheit“ – so lautet das diesjährige Motto der 88. Jahrestagung. Alle Infos und Berichte im Kongressdossier.

Highlights

Hätten Sie es erkannt?

Linker Hauptstamm in der CT-Angiographie eines 80-jährigen Patienten vor TAVI. Was fällt auf?

Myokarditis – eine tödliche Gefahr

In der vierten Ausgabe mit Prof. Andreas Zeiher geht es um die Myokarditis. Der Kardiologe spricht über Zusammenhänge mit SARS-CoV-2-Infektionen und COVID-19-Impfungen und darüber, welche Faktoren über die Prognose entscheiden.

Aktuelles und Neues aus der Kardiologie

Studie spricht gegen Adipositas-Paradoxon bei Herzinsuffizienz

Überschüssige Pfunde könnten bei Herzinsuffizienz vor einem schweren Krankheitsverlauf schützen, lautet eine verbreitete These. Offenbar ist es genau umgekehrt, fand ein internationales Forscherteam jetzt heraus.

Welcher Faktor determiniert das Herzrisiko unter einer Statintherapie?

Bei Patienten, die bereits Statine zur Lipidsenkung erhalten, sind im CRP-Wert sich widerspiegelnde Entzündungsprozesse ein stärkerer Prädiktor für künftige kardiovaskuläre Ereignisse als das LDL-Cholesterin, zeigt eine umfangreiche Metaanalyse.

Süßstoff Erythrit könnte Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko erhöhen

Mit Süßstoff gesüßte Lebensmittel, sog. Light-Produkte, werden oftmals als gesundheitsfördernd propagiert. Doch offenbar scheinen sie genau das Gegenteil zu bewirken, wie aktuelle Untersuchungen nahelegen.

Aus der Kardiothek

Hätten Sie es erkannt?

Linker Hauptstamm in der CT-Angiographie eines 80-jährigen Patienten vor TAVI. Was fällt auf?

Rhythmus-Battle: Vom EKG zur Therapie 2

Nicht immer sind EGK-Befunde eindeutig zu interpretieren, und nicht immer gibt es eine klare Therapieentscheidung. In diesem zweiten Rhythmus-Battle debattieren Prof. Lars Eckardt, Prof. Christian Meyer und PD Dr. Stefan Perings über ungewöhnliche EKG-Fälle aus der Praxis. Wie würden Sie entscheiden?

Kardiovaskuläre und ANS-Manifestationen von Covid-19 und Long-Covid

In der Akutphase und auch im weiteren Verlauf kann eine SARS-CoV-2-Infektion eine Herzbeteiligung verursachen. Prof. Thomas Klingenheben gibt einen Update über den aktuellen Wissenstand solcher Manifestationen, und erläutert, was hinter dem Syndrom „Long-COVID“ steckt.

DGK.Herztage 2022/© DGK
TCT-Kongress 2022/© mandritoiu / stock.adobe.com
DGK Jahrestagung 2022/© m:con/Ben van Skyhawk
Kardio-Quiz März 2023/© Stephan Achenbach, Medizinische Klinik 2, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Podcast-Logo/© Springer Medizin Verlag GmbH (M)
Rhythmus-Battle 2023/© Portraits: privat
kardiologie @ home/© BNK | Kardiologie.org