Plättchenhemmer-Vorbehandlung nützt bei NSTEMI-Patienten nichts
Die Leitlinien raten von einer routinemäßigen P2Y12-Inhibitoren-Vorbehandlung bei Patienten mit einem Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) ab. Die Evidenz für Ticagrelor ist allerdings dürftig. Neue Erkenntnisse bringt nun eine randomisierte Studie.
Wann sollte man einen Plättchenhemmer bei NSTEMI-Patienten verabreichen, direkt nach der Diagnose oder erst nach Kenntnis der Koronaranatomie? Tatsächlich herrscht bei dieser Frage mangels Daten immer noch Unsicherheit. Für Ticagrelor gab es bis dato gar keine randomisierte Studie zu dieser Fragestellung. Eine Vorbehandlung von Prasugrel hat sich in der randomisierten ACCOAST-Studie nicht als vorteilhaft herausgestellt: Das ischämische Risiko war dasselbe, bei einer Zunahme von Blutungskomplikationen.
Leitlinien raten von routinemäßigem „Pretreatment“ ab
In der erst kürzlich aktualisierten NSTEMI-Leitlinie wird deshalb von einem routinemäßigen „Pretreatment“ mit P2Y12-Inhibitoren abgeraten, wenn die Koronaranatomie der Patienten nicht bekannt ist und ein frühes invasives Management angestrebt wird (Klasse IIIA-Empfehlung).
Dass auch eine Vorbehandlung mit Ticagrelor keinen Nutzen verspricht, hat sich jetzt erstmals in einer randomisierten Studie gezeigt. Die DUBIUS-Studie wurde vorzeitig abgebrochen, da ein sich herauskristallisierender Vorteil für eine der beiden untersuchten Strategien für unwahrscheinlich erachtet wurde.
Insgesamt 1.449 NSTEMI-Patienten wurden randomisiert: Entweder erhielten sie Ticagrelor vor Kenntnis der Koronaranatomie, also bereits vor der Koronarangiografie (Upstream-Gruppe) oder die P2Y12-Inhibitor-Therapie wurde erst nach Kenntnis der Koronaranatomie im Zuge der PCI begonnen (Downstream), letztere Gruppe wurde nochmals randomisiert zu Ticagrelor oder Prasugrel.
Vorbehandlung machte keinerlei Unterschied
Eine zweite Interims-Analyse ergab nach 30 Tagen keinerlei signifikante Unterschied zwischen beiden Strategien. Die Ergebnisse wurden von Studienleiter Prof. Giuseppe Tarantini beim ESC-Kongress vorgestellt und jetzt im „Journal of the American College of Cardiology“ (JACC) publiziert.
Insgesamt kam es bei 2,9% der Upstream-Patienten zu einem Todesfall aufgrund einer vaskulären Ursache, einem nicht-tödlichen Herzinfarkt, nicht-tödlichen Schlaganfall oder einer relevanten Blutung, in der Downstream-Gruppe trat dieser kombinierte primäre Endpunkt in 3,3% der Fälle auf. Die häufigste Komplikation stellten schwere oder tödliche Blutungen dar – auch hier gab es keinen Unterschied zwischen den Gruppen (1,6% vs. 1,9%).
Viel weniger Ereignisse als erwartet
Derartige Komplikationen waren prinzipiell selten. „Die Diskrepanz zwischen den initial vorhergesagten und den beobachteten Ereignisraten war erheblich“, weisen Tarantini und sein Team in der Publikation hin. Dazu beigetragen hätten vermutlich die frühe Patientenstratifizierung und Behandlung, die hohe Radialis-Rate und die weitreichende Implementierung von Sekundärpräventionsmaßnahmen, erläutern die Kardiologen von der Universitätsklinik Padova in Padua die Gründe für das seltene Auftreten unerwünschter Ereignisse.
Pretreatment evtl. sinnvoll, wenn keine frühe Intervention möglich ist
Im Schnitt sind in der DUBIUS-Studie gerade mal 23,3 Stunden zwischen Randomisierung und Beginn der Koronarangiografie verstrichen. Eine frühe invasive Strategie (innerhalb von 72 Stunden) war ein Einschlusskriterium der Studie. Ob sich eine Vorbehandlung mit P2Y12-Inhibitoren im Falle einer abwartenden Strategie auszahlen könnte, darüber kann diese Studie somit keine Aussage treffen. Wenn keine frühe Intervention möglich ist, kann im Übrigen laut der aktualisierten Leitlinie ab sofort ein Pretreatment mit einem P2Y12-Inhibitor in Betracht gezogen werden, wenn kein hohes Blutungsrisiko vorliegt (IIb C).
Literatur
Tarantini G et al. Timing of Oral P2Y12 Inhibitor Administration in Non-ST Elevation Acute Coronary Syndrome; J Am Coll Cardiol 2020; DOI: 10.1016/j.jacc.2020.08.053