Warum war Prasugrel in der ISAR-REACT-5-Studie besser als Ticagrelor?
Warum war Prasugrel beim Thrombozytenhemmer-Vergleich in der ISAR-REACT-5-Studie klinisch besser wirksam als Ticagrelor? Mainzer Forscher liefern nun eine mögliche „mechanistische“ Erklärung für diesen Vorteil.
Vieles deutet darauf hin, dass bei akutem Koronarsyndrom (ACS) ein Zusammenhang zwischen Entzündungsreaktion, Plättchenaktivierung und endothelialer Dysfunktion besteht. Prasugrel scheint diese pathophysiologische Kaskade im Fall einer Stent-Implantation wegen ACS neuen Studienergebnissen zufolge stärker zu beeinflussen als andere Thrombozytenhemmer. Dies könnte plausibel machen, warum Prasugrel in der ISAR-REACT-5-Studie wider Erwarten von Vorteil gegenüber Ticagrelor war.
In der aktuellen randomisierten Studie hat eine Gruppe von Forschern der Universität Mainz um Prof. Tommaso Gori die Plättchenhemmer Clopidogrel, Prasugrel und Ticagrelor bei 90 Patienten mit ACS ohne ST-Streckenhebung (davon 49 mit NSTEMI und 41 mit instabiler Angina) bezüglich ihrer Wirkung auf Endothelfunktion, Plättchenaktivierung und Entzündungsparameter verglichen. Primärer Endpunkt war die flussvermittelte Vasodilatation (flow mediated dilation, FMD) als Maß für die Funktion des Gefäßendothels nach erfolgter Stent-Implantation.
Nach Gabe der Aufsättigungsdosis konnten die Mainzer Forscher um Erstautor Dr. Boris Schnorbus für alle drei Plättchenhemmer unmittelbar vor der perkutanen Koronarintervention (PCI) eine akute Verbesserung der endothelialen Funktion nachweisen. Nach erfolgter PCI änderte sich das Bild: In den mit Clopidogrel und Ticagrelor behandelten Gruppen war nun eine deutliche Einschränkung der Endothelfunktion feststellbar, die jedoch in der mit Prasugrel behandelten Gruppe nicht zu beobachten war.
Protektiver Effekt von Prasugrel auf Endothelfunktion
Einzig Prasugrel schien somit einer PCI-induzierten endothelialen Dysfunktion vorgebeugt zu haben. Dieser protektive Effekt verschwand allerdings, wenn Prasugrel – wie bei 34 der 90 Studienteilnehmer der Fall – erst direkt nach der PCI verabreicht worden war. Gori und sein Team stellten im Übrigen fest, dass durch Prasugrel vor allem bei NSTEMI-Patienten auch die durch ADP stimulierte aggregatorische Plättchenreaktivität sowie der Anstieg des Entzündungsparameter Interleukin-6 jeweils stärker gehemmt worden war als durch Clopidogrel und Ticagrelor.
Diese Ergebnisse können nach Ansicht der Studienautoren möglicherweise dazu beitragen, die in der ISAR-REACT-5-Studie überraschenderweise gezeigte Überlegenheit von Prasugrel gegenüber Ticagrelor besser zu erklären.
Dieser Einschätzung schließen sich auch Prof. Stefanie Schüpke und Prof. Adnan Kastrati vom Deutschen Herzzentrum München in einem Begleitkommentar im „European Heart Journal“ an. Schüpke und Kastrati sind bekanntlich Hauptinitiatoren der ISAR-REACT-5-Studie, deren beim europäischen Kardiologenkongress (ESC-Kongress) 2019 in Paris vorgestellte Ergebnisse auf große Resonanz gestoßen waren.
Warnung vor einem Fehlschluss
Prasugrel und Ticagrelor haben als Plättchenhemmer der 3. Generation bei Patienten mit ACS in randomisierten Vergleichsstudien beide ihre Überlegenheit gegenüber Clopidogrel unter Beweis gestellt. Daraus könne allerdings nicht geschlossen werden, dass die beiden potenteren Plättchenhemmer völlig äquivalente Wirksubstanzen seien, warnen Schüpke und Kastrati.
Zuverlässige Ergebnisse zur relativen Wirksamkeit von Prasugrel und Ticagrelor sind nur von direkten Vergleichen in randomisierten Studien zu erwarten. Allerdings hält sich das Interesse der Hersteller an solchen Studien bekanntlich in Grenzen, weshalb Eigeninitiative akademischer Forschergruppen gefordert ist.
Überraschung in der ISAR-REACT-5-Studie
Der ISAR-Studiengruppe des Deutschen Herzzentrums München ist es gelungen, mit ISAR-REACT-5 eine multizentrische, randomisierte, offene Studie zum Head-to-Head-Vergleich von Ticagrelor und Prasugrel additiv zu ASS bei mehr als 4.000 Patienten mit ACS zu Abschluss zu bringen. Der primäre Studienendpunkt setzte sich aus den Ereigniskomponenten Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall ein Jahr nach Randomisierung zusammen.
Als Sieger des Direktvergleichs hatte die ISAR-Studiengruppe anfänglich Ticagrelor antizipiert. Doch es kam anders: Mit 9,3 vs. 6,9 % war die Rate für den primären Studienendpunkt (eine Kombination der Ereignisse Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall) nach einem Jahr in der Ticagrelor-Gruppe signifikant um relative 36% höher als in der Prasugrel-Gruppe (Hazard Ratio 1,36; 95%-Konfidenzintervall 1,09–1,70; p = 0,006).
Schüpke und Kastrati erinnern in ihrem Begleitkommentar daran, dass Treiber dieses Unterschieds die geringere Inzidenz von Myokardinfarkten in der Prasugrel-Gruppe war. So seien definitive Stentthrombosen bei 12 (Prasugrel) versus 22 Patienten (Ticagrelor) beobachtet worden. Dies spreche für eine stärkere antithrombotische Wirksamkeit von Prasugrel.
Kardiologen warten mit der Transformation von Ergebnissen großer randomisierter Studien in die klinische Praxis gewöhnlich nicht so lange, bis die zugrundeliegenden Mechanismen einer nachweislich wirksamen Therapie in allen Einzelheiten aufgeklärt sind, schreiben Schüpke und Kastrati. Gleichwohl halten beide es für möglich, dass die „mechanistische“ Studie der Mainzer Forscher dabei helfen könnte, durch ISAR-REACT-5 nahegelegte Praxisveränderungen auch tatsächlich umzusetzen.
Literatur
Schnorbus B. et al.: Effects of clopidogrel vs. prasugrel vs. ticagrelor on endothelial function, inflammatory parameters, and platelet function in patients with acute coronary syndrome undergoing coronary artery stenting: a randomized, blinded, parallel study. European Heart Journal 2020, ehz917, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehz917
Schüpke S., Kastrati A.: Mechanistic insights into the superior clinical efficacy of prasugrel over ticagrelor. European Heart Journal 2020, ehz938, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehz938