Postoperatives Herzrisiko: Warum „Vorhofflimmern“ in Risikoscores enthalten sein sollte
Vor einer geplanten Operation wird das kardiale Risiko üblicherweise mithilfe von Risikoscores abgeschätzt. Kardiologen plädieren nun angesichts neuester Daten dafür, präoperativ bestehendes Vorhofflimmern in die Risikobewertung mit einzubeziehen.
Patientinnen und Patienten, die vor einer geplanten Operation an Vorhofflimmern leiden, haben offenbar ein beträchtlich erhöhtes Risiko für postoperativ auftretende kardiale Komplikationen. Ein entsprechender Zusammenhang zeigte sich in einer großen US-amerikanischen Kohortenstudie.
Für diese Studie werteten Kardiologen um Dr. Sameer Prasada von der Cleveland Clinic über 8,5 Millionen Versichertendaten von Personen aus, die an anderen Organen abseits des Herzens operiert worden sind. Bei 16,4% der Versicherten war im Vorfeld des Eingriffes eine Vorhofflimmern-Diagnose bekannt. Mithilfe eines Propensity-Score-Matchings wurden hinsichtlich der Baselinecharakteristika und des präoperativen Risikos vergleichbare Paare aus Patienten mit und ohne bestehendes Vorhofflimmern gebildet. Gut drei Millionen Patientinnen und Patienten gingen in die finale Analyse in.
Deutlich erhöhtes Risiko für Herzinsuffizienz und Schlaganfall
Jene mit bereits existenten Vorhofflimmern hatten laut dieser Analyse ein um 31% erhöhtes 30-Tages-Sterberisiko im Vergleich zu denjenigen, die keine solche Rhythmusstörung hatten (Odds Ratio, OR: 1,31). Das Risiko, in den kommenden 30 Tagen nach der OP eine Herzinsuffizienz oder einen Schlaganfall zu entwickeln, war ebenfalls deutlich höher für Patienten mit Vorhofflimmern (OR: 1,31 bzw. 1,40). Paradoxerweise ging eine Vorhofflimmern-Diagnose aber mit einem geringeren Herzinfarktrisiko einher (OR: 0,81),
Letzteren Umstand können sich die Autoren durch ihre Daten nicht wirklich plausibel erklären. Sie vermuten aber, dass es mit der Einnahme von Antikoagulanzien zusammenhängen könnte. Eine solche Therapie habe die Patienten womöglich vor perioperativen Infarkten geschützt, erläutern sie ihre Theorie. Dafür spricht auch, dass der Zusammenhang nur bei Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score von ≥ 2, also mit einer Indikation für eine Antikoagulation, beobachtet wurde und nicht bei solchen mit niedrigeren Scores.
Scores sollten angepasst werden
Doch welche Bedeutung könnten diese Informationen für den klinischen Alltag haben? Der mitunter am häufigste verwendete Risikoscore zur Abschätzung des kardialen Risikos im Vorfeld von nicht-kardialen Operationen ist der „Revised Cardiac Risk Index“ (RCRI). Dieser besteht aus fünf Risikofaktoren: Herzinsuffizienz, KHK, zerebrovaskuläre Erkrankungen, insulinpflichtiger Diabetes und Niereninsuffizienz (Kreatinin > 2 mg/dL). Bereits präoperativ bestehendes Vorhofflimmern ist darin nicht aufgeführt.
Angesicht ihrer Ergebnisse plädieren Prasada und Kollegen für eine Erweiterung des Scores: „Unsere Ergebnisse sprechen dafür, Vorhofflimmern als Risikofaktor in perioperative Risikoscores zur Abschätzung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität einzubeziehen.“
Was eine solche Anpassung bringen würde, haben die Kardiologen im Rahmen ihrer Studie direkt überprüft. Tatsächlich hat sich die Vorhersagekraft des RCRI durch Hinzunahme des Risikofaktors „Vorhofflimmern“ signifikant verbessert, wie sie in der Publikation berichten.
Doch die Studie hat Limitationen. An erster Stelle zu nennen ist das retrospektive Design. Störfaktoren sind deshalb selbst nach einem Propensity-Score-Matching nicht vollends ausschließen. So könnte es sein, dass andere Bedingungen, die mit einer Vorhofflimmern-Diagnose vergesellschaftet sind, z.B. ein schlechter Allgemeinzustand, zur Risikoerhöhung beigetragen haben. Die Ergebnisse lassen somit keine Rückschlüsse auf eine Kausalität zu, sie zeigen ausschließlich Assoziationen auf.
Literatur
Prasada S et al. Preoperative Atrial Fibrillation and Cardiovascular Outcomes After Noncardiac Surgery; J Am Coll Cardiol 2022;79:2471–85; https://doi.org/10.1016/j.jacc.2022.04.021