Nachrichten 19.03.2021

Antikoagulation bei COVID-19: Höhere Dosis als Standard nicht ratsam

Thrombosen sind bei COVID-19 ein Problem. Da erscheint es intuitiv logisch, etwas forscher zu antikoagulieren. Doch das bringt intensivpflichtigen Patienten laut einer neuen randomisierten Studie keine Vorteile – eher im Gegenteil.

COVID-19-Patienten auf Intensivstation sollten standardmäßig keine über eine Prophylaxe hinausgehende Antikoagulation erhalten – so lässt sich die klinische Implikation der jetzt publizierten randomisierten INSPIRATION-Studie auf den Punkt bringen.

Intermediäre Dosis vs. Standardprophylaxe

In der Studie sind Wirksamkeit und Sicherheit von zwei Antikoagulations-Regimen an 600 intensivpflichtigen COVID-19-Patienten aus zehn Universitätskliniken im Iran miteinander verglichen worden. Die eine Hälfte erhielt eine prophylaktische Standarddosis von Enoxaparin (40 mg täglich), die andere Hälfte stattdessen eine mittlere Dosis des Heparins (1 mg/kg Körpergewicht am Tag, ggf. angepasst an Körpergewicht und Kreatinin-Clearance).

Kein Unterschied im Effizienzendpunkt

Die erhoffte Wirkung der höhere Antikoagulations-Dosis blieb aus: Kein Unterschied im primären Effizienzendpunkt. Oder anders ausgedrückt: Venöse oder arterielle Thrombosen, die Notwendigkeit einer ECMO oder Todesfälle nach 30 Tagen kamen in beiden Gruppen ähnlich häufig vor (bei 45,7% mit mittlerer Enoxparain-Dosis vs. 44,1% mit Standarddosis, absoluter Unterschied: 1,5%, Odds Ratio, OR: 1,06; p=0,70).

Somit gebe es kein Signal für einen Benefit der intermediären Heparin-Dosis, schließen die Studienautoren um Dr. Parham Sadeghipou aus Teheran aus diesen Ergebnissen.

Tendenziell mehr Blutungen mit höherer Dosis

Die Kehrseite der forscheren Antikoagulation war eine tendenziell höhere Rate an schweren Blutungen. Obwohl dabei zu berücksichtigen ist, dass solche Ereignisse prinzipiell selten waren. So kam es bei sieben Patienten in der intermediären Dosis-Gruppe (2,5%) und bei vier Patienten in der Standarddosis-Gruppe (1,4%) zu einer Blutung vom BARC-Typ 3 oder 5. Das macht einen absoluten Unterschied von 1,1% mit einer Odds Ratio von 1,83 (p=0,33). Damit seien die Kriterien für eine Nichtunterlegenheit (p für Nichtunterlegenheit > 0,99) nicht erreicht worden, so die Studienautoren.

Zudem kam es in der höheren Dosis-Gruppe in sechs Fällen zu einer schweren Thrombozytopenie (definiert als Plättchenzahl < 20 × 10 ³/μL), in der Prophylaxe-Gruppe gab es keinen solchen Vorfall (p=0,01).

Ergebnisse stehen im Widerspruch zu früheren Beobachtungen

Die aktuellen Ergebnisse stehen damit im Widerspruch zu im letzten Jahr publizierten Beobachtungsstudien, die andeuteten, dass eine therapeutische Antikoagulation COVID-19-Patienten nutzen könnte. Nicht wenige Experten haben sich daraufhin für eine forschere Antikoagulation bei COVID-19-Patienten ausgesprochen, gerade in Anbetracht des erhöhten Thrombose-Risikos bei diesen Patienten. Ein einheitliches Vorgehen hat sich bis heute allerdings nicht etabliert. Und bekanntlich hat eine Antikoagulation immer zwei Seiten einer Medaille.

Doch warum hat die höhere Dosis noch nicht mal gegen thromboembolische Ereignisse geholfen? Venöse Thromboembolien kamen in beiden Gruppen genauso häufig vor (3,3% vs. 3,5%). Womöglich habe die Dosisintensität nicht ausgereicht, spekulieren die Autoren.  

Eine andere Erklärung könnte ihre Ansicht nach sein, dass in der Studie nicht selektiv Patienten mit einem erhöhten Thromboserisiko für eine Dosiseskalation ausgewählt worden sind, also z.B. bei Erhöhung der D-Dimer. Gegen diese These sprechen allerdings die Ergebnisse der Subgruppenanalysen. So hat eine höhere Dosis selbst bei Patienten mit einem D-Dimer-Anstieg nicht mehr gewirkt hat als die prophylaktische Standarddosis. Auch sonst hat sich in keiner der berichteten Subgruppen zumindest eine Tendenz zugunsten der höheren Dosis gezeigt.

„Routinemäßige Verwendung mittlerer Dosen wird nicht befürwortet“

Auch wenn die Befunde dem intuitiven pathologischen Verständnis widersprechen mögen, zeigen sie nach Ansicht der Studienautoren eines recht deutlich: „Die routinemäßige Verwendung einer intermediär-dosierten prophylaktischen Antikoagulation bei unselektierten COVID-19-Patienten auf Intensivstation wird nicht befürwortet.“ Deshalb sei aber nicht auszuschließen, dass ein solches Regime bei hospitalisierten COVID-19-Patienten in einem früheren Stadium der Erkrankung, die nicht auf Intensivstation liegen, wirken könnte.

Die INSPIRATION-Studie wird nicht die einzige randomisierte Studie bleiben, die mehr Kenntnisse zur Frage nach dem optimalen Antikoagulations-Regime bei COVID-19 bringen wird. Zahlreiche weitere Studien sind auf dem Weg. Welche das sind, haben Wissenschaftler um Prof. Azita Talasaz gerade erst in einem Review zusammengetragen.

Literatur

Sadeghipour P et al. Effect of Intermediate-Dose vs Standard-Dose Prophylactic Anticoagulation on Thrombotic Events, Extracorporeal Membrane Oxygenation Treatment, or Mortality Among Patients With COVID-19 Admitted to the Intensive Care Unit. The INSPIRATION Randomized Clinical Trial. JAMA 2021; DOI: 10.1001/jama.2021.4152

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