COVID-19: Frühe therapeutische Antikoagulation erhöht Überlebenschancen nicht
Viele schwer erkrankte COVID-19-Patienten entwickeln Thrombosen oder Embolien. Da wäre es denkbar, dass eine frühe therapeutische Antikoagulation die Überlebenschancen dieser Menschen verbessern kann. Laut einer neuen Studie ist das jedoch nicht der Fall.
Hyperkoagulabilität könnte ein Schlüsselmechanismus beim Tod von COVID-19 Patienten sein. Bei vielen von ihnen wurden venöse Thromboembolien oder Thrombosen im extrakorporalen Kreislauf beobachtet. Autopsien zeigen Fibrinthromben in kleinen Gefäßen und Kapillaren. Daraufhin empfahlen einige Experten für kritisch kranke COVID-19-Patienten eine therapeutische Antikoagulation. US-amerikanische Forscher untersuchten jetzt, wie sich diese auf die Überlebenschancen auswirkt.
In einer Studie mit mehr als 3.200 schwer erkrankten COVID-19-Patienten bewerteten sie die Inzidenz venöser Thromboembolien (VTE) und schwerer Blutungen innerhalb von 14 Tagen nach Aufnahme auf der Intensivstation. Die Patienten waren im Schnitt 61 Jahre alt, zu 65% männlich und auf über 67 US-amerikanische Kliniken verteilt. Dr. Hanny Al-Samkari von der Havard Medical School in Boston und sein Team untersuchten den Effekt einer frühen, innerhalb der ersten zwei Tage initiierten therapeutischen Antikoagulation auf der Intensivstation auf die Überlebensrate.
Prädiktoren für VTE entdeckt
6% der Patienten entwickelten VTE und 3% hatten schwere Blutungen, am häufigsten gastrointestinale und intrakranielle. Männliches Geschlecht und ein höherer D-Dimer-Spiegel bei Aufnahme auf der Intensivstation waren unabhängige Prädiktoren für VTE. Mehr als 2.900 Patienten wurden in die Emulation einer Zielstudie einbezogen, ein Verfahren, um einige der für Beobachtungsstudien typischen Verzerrungen zu minimieren. Von diesen Patienten erhielten 12% eine frühe therapeutische Antikoagulation. Sie hatten während einer medianen Nachbeobachtungszeit von 27 Tagen ein ähnliches Sterberisiko wie diejenigen ohne die Behandlung.
Die Assoziation zwischen höheren D-Dimer-Spiegeln und VTE erklären die Forscher damit, dass erhöhte D-Dimer-Werte bei Aufnahme auf die Intensivstation auf eine erhöhte Gerinnungsaktivierung hinweisen und somit auf ein erhöhtes VTE-Risiko oder einen bestehenden Thrombus hindeuten könnten. Es sei verlockend, zu spekulieren, ob eine frühe therapeutische Antikoagulation bei ausgewählten Patienten Vorteile haben könnte, etwa bei Männern mit erhöhten D-Dimer-Werten, es habe sich jedoch auch in Subgruppenanalysen kein Nutzen gezeigt.
Studienlage ist widersprüchlich
Die Ergebnisse unterscheiden sich von denen einer kürzlich veröffentlichten Studie, in der Assoziationen zwischen therapeutischer Antikoagulation und verringerter Mortalität bei beatmeten Patienten mit COVID-19 beobachtet wurden. Einschränkungen dieser Untersuchung waren jedoch, dass Verzerrungen bei der Überlebensdauer und unterschiedlich schwere Erkrankungen nicht berücksichtigt werden konnten und die Daten nur aus einer Klinik stammten.
„Unsere Ergebnisse unterstützen nicht die frühzeitige Anwendung therapeutischer Antikoagulation bei kritisch kranken Patienten mit COVID-19“, resümieren die Forscher der aktuellen Studie. „Sie unterstreichen die Notwendigkeit gut konzipierter, randomisierter Studien zur therapeutischen Antikoagulation bei diesen Patienten“, so Al-Samkari und Kollegen.
Literatur
Al-Samkari H et al. Thrombosis, Bleeding, and the Observational Effect of Early Therapeutic Anticoagulation on Survival in Critically Ill Patients With COVID-19. Annals of Internal Medicine 2021. https://doi.org/10.7326/M20-6739