COVID-19-Patientin mit Herzinfarkt-Symptomatik…doch die „wahre“ Ursache liegt woanders
Eine 64-jährige Patientin kommt mit Brustschmerz in die Klinik. An Fieber oder Luftnot leidet sie nicht. Vieles deutet auf ein akutes Koronarsyndrom hin. Doch die Symptomatik täuscht über die eigentliche Ursache hinweg.
Eine SARS-CoV-2-Infektion kann das Herz auf sehr diverse Art und Weise beeinträchtigen.
Dass sich Ärzte vom Fehler vermeintlich typischer COVID-19-Beschwerden nicht täuschen lassen sollten, macht nun ein Fallbericht deutlich, über den Kardiologen um Dr. Justin Fried von der Columbia University in New York in der Zeitschrift „Circulation“ berichten.
64-jährige Frau mit Brustschmerz und diffuser ST-Streckenhebung
Die 64-jährige Patientin stellt sich mit seit zwei Tagen anhaltenden Brustschmerzen in der Klinik vor. Anamnestisch fallen eine Hypertonie und Hyperlipidämie in der Vorgeschichte auf.
Die Frau verneint, an Dyspnoe, Fieber, Husten, Erkältungssymptomen oder Durchfall zu leiden. Reisen oder Kontakte zu COVID-19-Erkrankten hat es nicht gegeben.
Erstdiagnostik lässt ein ACS vermuten
Die Diagnostik nach Klinikaufnahme ergibt folgendes Bild:
- Die Körpertemperatur liegt bei 37,1°C,
- der Blutdruck bei 130/80 mmHg und
- die Herzfrequenz bei 98 Schlägen pro Minute,
- die Sauerstoffsättigung beträgt 100% unter Sauerstoff-Gabe (2 Liter).
- Im initialen EKG fallen diffuse ST-Streckenhebungen in den Ableitungen I, II, aVL, V2–V6 und eine PR-Erhöhung sowie ST-Senkung in aVR auf. Daneben zeigt sich eine Sinustachykardie mit 102 Schlägen/Minute und eine Niedervoltage in den Extremitätenableitungen.
- Troponin I ist mit 7,9 ng/ml deutlich erhöht.
Die behandelten Ärzte haben die Vermutung, dass ein akutes Koronarsyndrom hinter den Beschwerden der Frau stecken könnte und überführen die Patientin in das Katheterlabor. In der Koronarangiografie stellen Fried und sein Team allerdings nur geringgradige Stenosen fest, sodass sie von einer nichtobstruktiven koronaren Herzerkrankung ausgehen.
Plötzlich verschlechtert sich der Zustand dramatisch
Plötzlich verschlechtert sich der Zustand der Patientin während der Prozedur dramatisch: Ihr Blutdruck fällt auf 72/43 mmHg, in der Rechtherzkatheter-Untersuchung wird ein erhöhter rechtsatrialer Druck von 10 mmHg gemessen, ebenso ein Anstieg des Pulmonalarteriendrucks (PAP) mit 30/20 mmHg und des pulmonalkapillärer Wedge-Drucks mit 21 mmHg; der Herzindex (nach Fick) ist mit 1,0 L/min/m² deutlich erniedrigt.
Die Ärzte sind überzeugt, dass die Frau sich im kardiogenen Schock befindet, und entscheiden sich für den Einsatz einer intraaortalen Ballonpumpe (IABP) und für eine Dobutamin-Infusion. Rasch normalisiert sich der Blutdruck der Patientin unter diesen Maßnahmen wieder.
Diese Anzeichen bringen die Ursache ans Licht
Im anschließenden Röntgen-Thorax lassen sich keine Veränderungen im Herzen und der Lunge erkennen.
In der transthorakalen Echokardiografie (TTE) fällt den Ärzten allerdings auf, dass der linke Ventrikel verschmälert ist mit einem enddiastolischen Durchmesser (LVEDD) von 2,9 cm. Zudem stellen sie eine stark ausgeprägte konzentrische linksventrikuläre Hypertrophie und eine stark reduzierte linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) mit 30% fest, der rechte Ventrikel ist dilatiert und schwer hypokinetisch.
Bei den Laborwerten sind ebenfalls deutliche Abweichungen zu erkennen: Laktat arteriell (5 mmol/L), Ferritin (967 µg/L) und C-reaktives Protein (54 ng/mL) sind erhöht. Die D-Dimere liegen dagegen mit 166 ng/mL im Normbereich.
Diese Befundkonstellation bringt die US-Kardiologen dazu, differenzialdiagnostisch eine Myoperikarditis und kardiale Amyloidose in Betracht zu ziehen. Sie testen auf SARS-CoV-2 und das Ergebnis fällt positiv aus.
Therapieversuch mit Hydroxychloroquin
Die Ärzte entscheiden sich daraufhin für einen Therapieversuch mit Hydroxychloroquin, ein Tag lang mit einer 600 mg-Dosis alle 12 Stunden, und für weitere vier Tage mit 400 mg täglich.
Der Off-Label-Einsatz von Hydroxychloroquin bei COVID-19-Patienten hat in letzter Zeit stark zugenommen. Doch dies wird zunehmend kritisch gesehen. So hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte aus Sorge vor Versorgungsengpässen für chronisch kranke Patienten, für die das Medikament eigentlich zugelassen ist, mit einer Anordnung reagiert: Darin fordert die Behörde Ärzte auf, Hydroxychloroquin außerhalb klinischer Prüfungen „nur im Rahmen eines individuellen Heilversuchs bei stationär überwachten Verläufen von mit SARS-CoV-2 infizierten Patienten“ einzusetzen.
Der hämodynamische Zustand der 64-jährigen Patientin bleibt nach diesen Maßnahmen stabil, auch als nach sieben Tagen die IABP entfernt wird. Laktat und Troponin-I normalisieren sich. In der Echokardiografie an Tag 10 bestätigt sich, dass sich die Pumpfunktion mit einer LVEF von 50% erholt hat, die Wanddicke hat ebenfalls abgenommen.
Fazit für die Praxis Aus diesem Fall ziehen die Ärzte um Dr. Fried folgende Schlüsse für die Praxis: |
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Literatur
Fried JA et al. The Variety of Cardiovascular Presentations of COVID-19. Circulation 2020; DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.120.047164