Myokarditis-Fälle nach COVID-19-Impfung – sollten Kardiologen beunruhigt sein?
In Israel und anderen Staaten wurden Myokarditis-Fälle bei jungen Menschen gemeldet, die mit einer COVID-19-mRNA-Vakzine geimpft worden sind. Ein Kardiologe aus Deutschland ist deshalb nicht besonders beunruhigt – wenngleich er rät, wachsam zu sein.
Myokarditiden bei jungen Menschen sind für Kardiologen erstmals nichts Ungewöhnliches. Vor wenigen Wochen meldete Israel allerdings auffällig viele solcher Fälle im zeitlichen Zusammenhang von Impfungen mit der COVID-19-Vakzine von BioNTech. Aufgetreten waren diese Fälle vor allem bei jungen Männern, einige Tage nach der zweiten Impfung.
Seither steht der Verdacht im Raum, dass die Impfung in seltenen Fällen eine Myokarditis hervorrufen kann. In mehreren Ländern, auch in Deutschland, wird dem Verdacht nun nachgegangen. Sollten Kardiologen nun besonders wachsam sein?
„Nicht besonders beunruhigend“
Prof. Dirk Westermann bereiten diese Berichte keine großen Sorgen: „Als Kardiologe würde mich das erstmal nicht wesentlich beunruhigen“, äußert er sich gegenüber kardiologie.org dazu. Zum einen seien solche Fälle sehr selten. Zum anderen sehe man, dass die überwiegende Zahl dieser Fälle einen günstigen Verlauf zeigt, begründet der Kardiologe vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf seine Einstellung. Seiner Ansicht nach überwiegt deshalb auch bei jüngeren Menschen der Nutzen der Impfung. Auch wenn Jüngere ein geringes Risiko hätten, an COVID-19 zu sterben, die Wahrscheinlichkeit, länger anhaltende Beschwerden durch ein Long-COVID zu entwickeln, sei höher, als an einer Myokarditis zu erkranken.
Kausalität noch nicht 100% geklärt
Darüber hinaus ist bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht 100 Prozent geklärt, ob die zu beobachtende Zusammenhänge tatsächlich kausal sind. Wie Westermann ausführt, liegt die Inzidenz von nicht-viralen Myokarditiden bei circa 10 bis 20 Fällen pro 100.000 Einwohnern. Die exakte Inzidenz wisse man allerdings gar nicht, weil die Dunkelziffer relativ hoch sei, erörterte der Kardiologe die Datenlage.
Israel hat 148 Myokarditis-Fälle gemeldet bei bis dahin gut 5 Millionen Zweitimpfungen. Israelische Wissenschaftler halten einen kausalen Zusammenhang für möglich, da die Fälle im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung standen.
In Deutschland wurden dem Paul-Ehrlich-Institut bis Ende Mai insgesamt 92 Myokarditis-Fälle gemeldet, die im zeitlichen Kontext mit einer Impfung gegen COVID-19 gestellt wurden, bei knapp 13 Millionen Zweitimpfungen mit der BionTech-Vakzine und über 1 Millionen Impfungen mit dem Moderna-Impfstoff.
In Deutschland gab es bisher vergleichsweise wenig Fälle, warum?
In Deutschland sind demnach bezogen auf die Gesamtzahl der Impfungen deutlich weniger Myokarditis-Fälle aufgetreten als in Israel. Es gebe deshalb die Theorie, dass der Abstand zwischen den zwei Impfungen Einfluss auf die Entwicklung von Myokarditiden haben könnte, so Westermann. In Deutschland sind die Abstände flexibler gehandhabt worden, zum Teil sind bis zu sechs Wochen oder mehr vergangen. Der größere Impfabstand könnte laut Westermann die Immunreaktion und dadurch womöglich auch das Auftreten von Nebenwirkungen beeinflusst haben.
Myokarditiden nach Pocken-Impfungen
Mechanistisch hält der Kardiologe einen kausalen Zusammenhang durchaus für plausibel. Es sei vorstellbar, dass sich die Immunreaktion auf die Impfung auf das Herz niederschlage. Eine Kausalität hält Westermann auch deshalb nicht für abwegig, weil Myokarditis-Fälle vermehrt schon nach anderen Impfungen beobachtet wurden. So kam es Anfang der 2000er nach Pocken-Impfungen von US-amerikanischen Soldaten in ca. 7% der Fälle zu einer kardialen Mitreaktion im Sinne einer Myokarditis. „Wahrscheinlich gab es das schon immer“, schließt Westermann daraus. Bisher seien solche Fälle nur untergangen, weil man bis jetzt noch nie zig Millionen Menschen innerhalb eines Zeitraumes geimpft hat.
Allermeisten Fälle verliefen milde
Westermann glaubt allerdings nicht daran, dass sich solche, nach Impfungen zu beobachtende Herzbeteiligungen wie eine virale Myokarditis manifestieren. Das sei bei mRNA-Impfstoffen nicht plausibel, argumentiert er. Eine virale Myokarditis kann in circa 10% der Fälle zu einem bleibenden Herzschaden führen. Die bisherigen Myokarditis-Fälle im Zusammenhang mit einer COVID-19-Impfung sind dagegen überwiegend milde verlaufen. Bis auf zwei Fälle, bei denen die Ursache aber noch nicht geklärt sei, berichtet Westermann.
Beschwerden ernst nehmen
Trotzdem rät der Kardiologe zur Wachsamkeit. „Jedem, der wenige Tage nach der Zweitimpfung Symptome wie Luftnot und Brustschmerzen entwickelt, würde ich empfehlen, einen Arzt aufzusuchen“, so Westermann. „Dazu würde ich aber allen Patienten mit entsprechenden Beschwerden raten, unabhängig davon, ob sie geimpft worden sind oder nicht“, fügt er hinzu.
Und als Kardiologe sollte man solche Beschwerden ernst nehmen, so Westermann. „Dadurch, dass wir darüber Kenntnis haben, sind wir jetzt besser darauf vorbereitet.“ Das diagnostische Prozedere ist dasselbe wie bei anderen Myokarditis-Verdachtsfällen: also im ersten Schritt ein EKG und Blutbild, ggf. gefolgt von einem Echo. Erhärtet sich der Verdacht ist laut Westermann in den meisten Fällen die finale Diagnose mittels Kardio-MRT zu stellen.
Spezifische Behandlung selten notwendig
Wird eine Myokarditis nachgewiesen, reicht meist eine supportive Therapie aus. Eine spezifische Behandlung mit antiinflammatorischen Medikamenten sei bei einer Myokarditis meist nicht vonnöten, erläutert Westermann das gängige Management. Und das gilt offenbar auch für Myokarditiden, die im Zusammenhang mit einer COVID-Impfung aufgetreten sind. Wie der Kardiologe ausführt, sind die meisten dieser Fälle konservativ behandelt worden, einige mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAID) und nur wenige mit Kortison. Für besonders wichtig hält Westermann das Aussprechen eines Sportverbotes: Betroffene Patienten sollten drei bis sechs Monate lang keinen intensiven Sport betreiben.
Literatur
Paul-Ehrlich-Institut. Sicherheitsbericht: Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach Impfung zum Schutz vor COVID-19, Berichtszeitraum: 27.12.2020 bis 31.05.2021
Pressemitteilung des israelischen Gesundheitsministeriums: "Surveillance of Myocarditis (Inflammation of the Heart Muscle) Cases Between December 2020 and May 2021 (Including)", veröffentlicht am 02.06.2021