Vorhofflimmern: Vorhofohr-Verschluss statt Antikoagulation für alle?
Sollte das interventionelle Verfahren des Vorhofohr-Verschlusses die orale Antikoagulation als Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern ersetzen? Das war Thema einer Pro- & Contra-Debatte bei den DGK-Herztagen. Welche Seite hatte da die besseren Argumente?
Als „Great Debate“ haben Pro- & Contra-Diskussionen zu aktuellen kardiologischen Themen bei den DGK-Herztagen Tradition. In diesem Jahr haben die Veranstalter unter anderen zwei Kontrahenten antreten lassen, die das Auditorium beim Kongress in Bonn von der aus ihrer Sicht besten Methode zur Prävention von Schlaganfällen bei Vorhofflimmern überzeugen sollten.
Aufgabe von PD Dr. Boris Schmidt vom Cardioangiologischen Zentrum Bethanien (CCB) in Frankfurt war es, die Vorzüge des katheterbasierten Verschlusses des linken Vorhofohrs (left atrial appendage, LAA) als gegenüber der Antikoagulation vorteilhaftere Option herauszustreichen. Als Vertreter der Contra-Position oblag es Prof. Christoph Bode aus Freiburg, Schmidts These, dass der LAA-Verschluss die orale Antikoagulation heute ersetzen sollte, nach Kräften anzufechten.
Was spricht für den Vorhofohr-Verschluss?
Dass implantierbare Medizinprodukte sehr erfolgreich sein können, steht für Schmidt außer Frage. Er verwies zu Beginn exemplarisch auf die Methode der Transkatheter-Aortenklappen-Implantation (TAVI), die einen grundlegenden Wandel in der Behandlung bei schwerer Aortenklappenstenose herbeigeführt habe.
Mit solchen Erfolgen kann der interventionelle LAA-Verschluss, bei dem das linke Vorhofohr als potenzielle Quelle von kardialen Embolien mittels Schirmchen verschlossen wird, derzeit zwar noch nicht glänzen. Schmidt sieht die Methode aber auf einen guten Weg. Er präsentierte Daten, denen zufolge die Erfolgsrate bei der Implantation von Okkluder-Systemen in den Studien kontinuierlich verbessert werden konnte. Parallel dazu sei die Rate an Komplikationen nach ersten Studien wie PROTECT mittlerweile stetig verringert worden.
Natürlich ließ Schmidt es sich nicht nehmen, die Limitierungen der oralen Antikoagulation in den Blickpunkt zu rücken. Das seien zum einen Blutungen, die auch im Zeitalter der NOAKs speziell in „Real Life“-Studien noch immer relativ häufig auftraten.
„Achillesferse“ oraler Antikoagulanzien sei die häufig mangelhafte Therapieadhärenz der Patienten. Schmidt verwies auf eine Studie aus den Niederlanden, der zufolge mindestens ein Viertel aller Patientinnen und Patienten die Vorschriften bezüglich der Einnahme von Antikoagulanzien nach vier Jahren nicht mehr befolgen – ein Verhalten, das mit einer Zunahme des Schlaganfallrisikos assoziiert war.
Im Vergleich dazu sei der LAA-Verschluss „Therapieadhärenz in Perfektion“: Das Schirmchen einmal eingesetzt, sei ein permanenter Schutz unabhängig von der Mitwirkung der Patienten gewährleistet. Dafür, dass LAA-Verschluss-Systeme auch tatsächlich schützen, sprechen nach Ansicht Schmidts unter anderem Ergebnisse von Vergleichen „gematchter“ Patientengruppen.
Eine solche „Matched-Pair“-Analyse hat eine Gruppe dänischer Untersucher um Dr. Jens Erik Nielsen-Kudsk vom Universitätshospital in Aarhus jüngst veröffentlicht. Nach ihren Ergebnissen war ein LAA-Verschluss nicht nur mit einem deutlich niedrigeren Blutungsrisiko, sondern auch mit einer um nahezu 50% niedrigeren Sterblichkeit assoziiert. Aufgrund der fehlenden Randomisierung sind diese Ergebnisse allerdings mit großer Vorsicht zu interpretieren. Das räumte auch Schmidt ein.
Zumindest eine randomisierte Studie zum Vergleich von LAA-Verschluss und Antikoagulation gibt es bereits. In der PRAGUE-17 benannten Studie war der perkutane Vorhofohrverschluss bezüglich kardiovaskulärer Ereignisse und Blutungen einer Antikoagulation mit einem NOAK auch auf längere Sicht „nicht unterlegen”.
Abschließend lenkte Schmidt die Aufmerksamkeit noch auf ein Teilergebnis einer Metaanalyse gepoolter 5-Jahresdaten der beiden Studien PROTECT und PREVAIL (beide mit dem Watchman-Device der ersten Generation). Danach war der perkutane LAA-Verschluss auch mit einer signifikanten Abnahme der Gesamtmortalität assoziiert.
Was spricht für die orale Antikoagulation?
Kontrahent Bode holte nach Schmidts Pro-Ausführungen zum argumentativen Gegenschlag aus. Als starkes Geschütz brachte er gleich die europäischen Leitlinien zum Management bei Vorhofflimmern in Stellung. Darin wird die orale Antikoagulation mit einer nachdrücklichen Klasse-I-Empfehlung bedacht. Für den perkutanen LAA-Verschluss als bei Kontraindikationen gegen eine Antikoagulation potenziell „in Erwägung zu ziehende Behandlung“ reicht es derzeit nur für eine zurückhaltende Klasse-IIb-Empfehlung.
Für diese sehr unterschiedliche Bewertung beider Behandlungen lägen gute Gründe vor, so Bode. Dafür, dass orale Antikoagulanzien das Schlaganfallrisiko bei Vorhofflimmern deutlich reduzieren, gebe es inzwischen eine solide wissenschaftliche Evidenzbasis. Im Fall des LAA-Verschlusses sei die diesbezügliche Datenlage dagegen sehr limitiert.
Auch Bode griff in diesem Zusammenhang auf die schon von Schmidt bemühte Metaanalyse der PROTECT/PREVAIL-Daten zum Watchman-System zurück – allerdings mit Blickrichtung auf ischämische Schlaganfälle als dem Endpunkt, auf den es primär ankommt. Denn hier hätte sich ein Vorteil zugunsten der oralen Antikoagulation im Vergleich zum LAA-Verschluss ergeben, betonte Bode. Beim hämorrhagischen Schlaganfall sah es dagegen im Vergleich besser für den Vorhofohr-Verschluss aus.
Überzeugende klinische Vorteile von technisch weiterentwickelten Okkluder-Systemen wie dem Amulet-Device bezüglich der Prävention von Schlaganfällen und systemischen Embolien seien nicht zu erkennen, so Bode mit Hinweis auf Ergebnisse der AMULET-IDE-Studie.
PRAGUE-17 ist in seinen Augen nur eine kleine und „unterpowerte“ Studie, aus der sich mit aller Vorsicht bestenfalls eine „Nichtunterlegenheit“ des LAA-Verschlusses herauslesen lasse.
Ein Problem sei auch noch in neuerer Zeit, dass LAA-Verschluss-Devices das linke Vorhofohr nicht immer komplett abdichten, konstatierte Bode, der in diesem Zusammenhang die jüngst publizierte SWISS-APERO-Studie erwähnte. Die klinische Relevanz von bestehenden Undichtigkeiten sei noch unklar. Zudem sei es auch in der SWISS-APERO-Studie, an der sehr erfahrene Zentren in der Schweiz beteiligt waren, bei der Device-Implantation noch immer zu schwerwiegenden Komplikationen wie Herztamponaden gekommen.
Im Übrigen werde mit dem LAA-Verschluss nur eine einzelne Emboliequelle angegangen, alle anderen blieben dagegen erhalten. Das sei im Fall der oralen Antikoagulation anders, so Bode.
Sein Fazit: Die ESC-Leitlinien von 2020 zur Prävention des Schlaganfalls bei Vorhofflimmern haben auch 2022 bestand. Für den interventionellen LAA-Verschluss bleibe derzeit nur eine vorsichtige IIb-Empfehlung für eine Nischenindikation.
Wie war die Reaktion des Publikums?
Hat die Debatte Einfluss auf das Meinungsbild der Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer im Auditorium gehabt? Um das zu eruieren, wurde jeweils vor und nach der Debatte eine TED-Umfrage vorgenommen.
Vor der Debatte war die Frage, ob der interventionelle LAA-Verschluss bei Vorhofflimmern die Antikoagulation ersetzen sollte, von 79% mit Nein und von 21% mit Ja beantwortet worden. Nach Präsentation der Pro-Contra-Standpunkte zeigte sich die bereits initial die Mehrheit stellende Contra-Fraktion weiter gestärkt: 87% waren jetzt dagegen, den LAA-Verschluss gegenüber der Antikoagulation zu favorisieren, nur noch 13% waren dafür.
Einig waren sich die Kontrahenten Schmidt und Bode im Übrigen darin, dass es dringend weiterer Studien zur Klärung des relativen klinischen Nutzens von Antikoagulanzien und LAA-Verschluss bei Vorhofflimmern bedarf. Schmidt berichtete, dass dazu mit CATALYST und CHAMPION-AF derzeit zwei große randomisierte Vergleichsstudien unterwegs seien.
Literatur
Great Debate 1: Der interventionelle Vorhofohrverschluss sollte die orale Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern ersetzen! DGK-Herztage 2022, 29. September – 1. Oktober 2022, Bonn