Neue Screeningprogramme für die kardiovaskuläre Prävention
In puncto kardiovaskuläre Prävention gibt es in Deutschland zum Teil erheblichen Nachholbedarf. Um die Situation zu verbessern, wurden zwei neue Screening-Projekte auf dem Weg gebracht. Prof. Baldus zeigt sich optimistisch, dass die es in die Regelversorgung schaffen könnten.
Im Rahmen einer nationalen Herz-Kreislauf-Strategie wurden in Deutschland zwei neue kardiovaskuläre Präventionsprogramme auf den Weg gebracht. Die Hintergründe dieser Projekte stellte Prof. Stephan Baldus, amtierender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), auf einer Pressekonferenz anlässlich der DGK Herztage in Bonn vor. Die DGK habe einen siebenstelligen Betrag zur Verfügung gestellt, damit diese Projekte umgesetzt werden können, berichtete der Kardiologe. Darüber hinaus werden die Projekte vom Bundesgesundheitsministerium unterstützt, das die Schirmherrschaft der nationalen Herz-Kreislauf-Strategie übernommen hat.
„Ein Armutszeugnis“ für Deutschland
Das erste Projekt zielt auf die Früherkennung der familiären Hypercholesterinämie. Die Prävalenz dieser Lipidstoffwechselstörung liegt zwischen 1/250 bis 1/500. Davon Betroffene haben bekanntlich ein stark erhöhtes Risiko, eine koronare Herzerkrankung zu entwickeln. Häufig erlitten sie bereits im frühen Erwachsenenalter ihr erstes ischämisches Ereignis, berichtet Baldus. Dabei wären solche Komplikationen vermeidbar, wenn die Lipidstoffwechselerkrankung früh erkannt – am besten bereits im Kindesalter – und mit Cholesterinsenkern behandelt würde.
Und was die Früherkennung betrifft, gibt es in Deutschland einen erheblichen Nachholbedarf. Baldus verdeutlicht diesen durch eine im European Heart Journal (2013) veröffentlichte Tabelle. Darin gelistet sind die geschätzten Prozentsätze diagnostizierter familiärer Hypercholesterinämien in verschiedenen Ländern, also wie viele der tatsächlichen Fälle letztlich diagnostiziert werden. Die Niederlande ist Spitzenreiter mit einem Anteil von 71%. Deutschland sei in dieser Liste noch nicht mal aufgeführt, betonte Baldus. Das ist nach Ansicht des Kardiologen ein echtes „Armutszeugnis“, „dass wir in Deutschland nicht in der Lage sind, ein Register anzulegen, um flächendeckende Daten zu generieren“.
Flächendeckendes Screening auf familiäre Hypercholesterinämie
Um die Situation zu verbessern, wurde in Bayern ein flächendeckendes Hypercholesterinämie-Screening in Kindesalter etabliert (Vroni), unter der Leitung von Prof. Heribert Schunkert vom Deutschen Herzzentrum in München. Hauptbestandteil des Screenings ist es, das Blut von Kindern auf erhöhte Cholesterinwerte zu untersuchen. Diese Messung wird in der Regel im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung U9 gemacht. Werden dabei erhöhte Werte nachgewiesen, erfolgt im zweiten Schritt eine molekulargenetische Diagnostik. Die vorgenommenen Untersuchungen sind kostenlos. Wie Baldus bei den DGK Herztagen ausführte, soll das Pilotprojekt nun auf zwei weitere Bundesländer und womöglich auf einen weiteren Stadtstaat ausgeweitet werden. Er sei optimistisch, dass die Politik sich im Anschluss entscheide, ein solches Screening in die Regelversorgung aufzunehmen, hofft der Kardiologe.
Asymptomatische Herzinsuffizienz erkennen
Das zweite Projekt, das Baldus beim Kongress vorstellte, hat das Ziel, die Früherkennung einer bisher unerkannten asymptomatischen Herzinsuffizienz zu verbessern. Dafür soll ein flächendeckendes Screening auf den Biomarker NT-proBNP implementiert werden, und zwar bei allen über 60-Jährigen bzw. bei allen über 50-Jährigen, sobald ein zusätzlicher Risikofaktor vorliegt. Bisher werden entsprechende Messungen bei beschwerdefreien Personen aus Kostengründen meist nicht gemacht. „Wenn sie aktuell bei einem asymptomatischen Patienten das BNP bestimmen, bekommen sie das nicht erstattet“, erläuterte Baldus das Problem. Dabei gebe es eine relativ hohe Chance, durch eine solche Messung auf erhöhte Werte zu stoßen, denn, wie Baldus ausführte, schätzungsweise 5–10% der so untersuchten Erwachsenen würden erhöhte NT-proBNP-Spiegel aufweisen.
Screening auf NT-proBNP
Im Rahmen des Projektes können Hausärzte den Marker nun kostenlos bei einer ohnehin geplanten Blutuntersuchung bestimmen. Werden hierbei Auffälligkeiten festgestellt, sollte die betroffene Person von einem Kardiologen/einer Kardiologin weiteruntersucht werden (Echo, EKG). Das Projekt startet im kommenden Jahr in Baden-Württemberg, dem Saarland und Nordrhein-Westfalen. Die dadurch generierten Daten werden zentral gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet. Stellt sich das Vorgehen als effektiv heraus, erhofft sich Baldus auch hier eine Implementierung in die Regelversorgung: „Wir sind sehr optimistisch, dass dieses Projekt funktioniert“, prognostiziert der Kardiologe, „und wir eine kleine Gruppe von asymptomatischen Patienten identifizieren, bei denen wir dadurch den chronischen Verlauf einer Herzinsuffizienz signifikant abmildern können“, erläuterte er den potenziellen Nutzen eines solchen Screenings.
Literatur
Baldus S: Neue Pilotprojekte in der Früherkennung: Rechtzeitige Behandlung kann Leben retten, Pressekonferenz bei den DGK Herztagen, 29. September bis 1. Oktober 2022 in Bonn