Wie der Lockdown die kardiovaskuläre Versorgung beeinflusst
Weltweit scheinen während des COVID-19-bedingten Lockdowns weniger Herzinfarktpatienten Kliniken aufzusuchen und viele kommen erst in letzter Minute. Neue Daten aus Deutschland bestätigen diese Tendenz und liefern Hinweise auf mögliche Ursachen.
Wie wirkt sich die Lockdownpolitik auf Inzidenz, Charakteristika und Versorgungsqualität des akuten Koronarsyndroms (ACS) aus? Das fragten sich Forscher um Dr. Sylvia Otto vom Universitätsklinikum Jena. In einer Studie verglichen sie deshalb die Zeit des ersten Lockdowns im März und April 2020 mit der anschließenden Aufhebung im Mai und Juni 2020 und denselben Monaten des Jahres 2019. Die Ergebnisse stellte die Kardiologin aktuell bei der DGK-Jahrestagung vor.
Bezüglich klinischer Merkmale unterschieden sich die 418 Patienten, die während des Beobachtungszeitraums wegen eines Akuten Koronarsyndroms ins Universitätsklinikum Jena eingeliefert wurden, nicht: Es waren überwiegend ältere Männer mit einem hohen Anteil an kardiovaskulären Komorbiditäten.
Nur halb so viele STEMI-Patienten wie vor dem Lockdown
Was das Patientenvolumen anging, zeigte sich – ähnlich wie international berichtet – während des Lockdowns ein signifikanter Rückgang von Patienten mit ACS. Besonders stark war dieser unter den STEMI-Patienten: Von ihnen stellten sich während der Einschränkungen nur halb so viele vor wie normalerweise. In den Folgemonaten relativierte sich die Abnahme jedoch wieder.
Insgesamt wurden 2020 10% weniger Patienten mit ACS im Klinikum Jena behandelt als 2019. Zudem beobachtete das Forscherteam, dass die Anzahl von Patienten mit schwerem STEMI, definiert als STEMI mit kardiogenem Schock, 2020 zugenommen hatte. Eine Verzerrung aufgrund der kleinen Kohorte sei hier jedoch nicht ausgeschlossen, ergänzte Otto.
Keine Veränderung bei diagnostischen Maßnahmen
Der Anteil der Patienten, die sich selbst mit ACS in der Notaufnahme vorstellten, gegenüber denjenigen, die von Rettungsdienst eingeliefert oder von einem kleineren Krankenhaus transferiert wurden, nahm während des Lockdowns signifikant ab. Ähnlich war es mit denjenigen, die zunächst den Hausarzt kontaktiert hatten. „Patienten vermieden den medizinischen Kontakt, das wirkte auch während der nachfolgenden Lockerungen noch nach“, resümierte Otto.
Bezüglich des Einsatzes von Invasivdiagnostik stellten die Forscher keinen Unterschied zwischen der Zeit vor, während und nach dem Lockdown fest. Die Anzahl der CTs verdoppelte sich jedoch während der Einschränkungen. Diese seien oft durchgeführt worden, um eine COVID-19-Pneumonie differenzialdiagnostisch auszuschließen, erläuterte Otto. Aktuell werden die Ergebnisse mit Daten aus der zweiten und dritten Welle abgeglichen.
Patienten hörten auf die medialen Botschaften
Auch in einer neuen Studie des Universitätsklinikums Ulm wurde beobachtet, dass Patienten mit ACS während des Lockdowns zurückhaltend waren, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen, und als Folge erst in der Klinik eintrafen, wenn es gar nicht mehr anders ging. Eine zugehörige Umfrage ergab, dass die meisten Patienten als Grund dafür Informationen aus den Medien angaben, die zum Zuhausebleiben rieten. Andere Gründe, wie Angst vor Ansteckung oder davor, die Klinik zu überlasten, schienen dagegen eine untergeordnete Rolle zu spielen.
Literatur
“Kardiovaskuläre Versorgung bei COVID-19“, 87. DGK-Jahrestagung, 9. April 2021