So kann die LDL-C-Zielwerterreichung im Praxisalltag gelingen
Nur selten erreichen Hochrisikopatienten die von den Leitlinien empfohlenen LDL-Cholesterin-Zielwerte. Eine bundesweite Kampagne hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, die Zielwerterreichung in Deutschland zu verbessern. Erste Ergebnisse stimmen hoffnungsvoll.
Die in den Leitlinien vorgegebenen Zielwerte für die LDL-Cholesterin-Senkung werden in Deutschland nur selten erreicht. So zeigen neueste Daten des GULLIVE-R-Projekts, die Prof. Uwe Zeymer bei der DGK-Jahrestagung vorstellte, dass nur 16% der in deutschen Zentren behandelten Infarktpatienten den empfohlenen LDL-C-Zielwert von ˂ 55 mg/dl erreichen.
Bundesweite Kampagne „Auf Ziel“
Auf diese unbefriedigende Situation hat die Lipidliga (DGFF) vor zwei Jahren bereits reagiert. Die Gesellschaft initiierte eine bundesweite Kampagne („Auf Ziel“) mit dem Ziel, die Zielwerterreichung bei kardiovaskulären Risikopatienten zu verbessern. Gelingen soll das durch Kooperationen mit Ärztinnen und Ärzten aus Kliniken und Praxen sowie Institutionen und Patientenorganisationen. Als erster Kampagnenort wurde Jena ausgewählt. Unter dem Motto „Jena auf Ziel“ startete dort Ende 2020 in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Jena ein Programm zur Zielwerterreichung bei STEMI-Patienten.
Über die Ergebnisse dieser prospektiven Kohortenstudie berichtete Dr. Umidakhon Makhmudova jetzt bei der DGK-Jahrestagung. Insgesamt 85 Patientinnen und Patienten mit einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) sind unmittelbar nach dem Ereignis in das Programm aufgenommen worden. Für diese Hochrisikopatienten wurde der von den 2019 aktualisierten ESC/EAS-Leitlinien empfohlene LDL-C-Zielwert herangezogen: ˂ 55 mg/dl (1,4 mmol/L) sowie eine mindestens 50%ige LDL-C-Senkung des Ausgangswertes (Klasse I A).
Hochintensive Kombi-Therapie direkt im Krankenhaus
Als therapeutische Strategie zur Erreichung dieser Zielwerte wurde bei allen Patienten bereits im Krankenhaus eine hochintensive lipidsenkende Kombinationstherapie mit Atorvastatin 80 mg und Ezetimib 10 mg begonnen. In dieser Hinsicht weicht die Strategie von den aktuellen Leitlinien ab, da darin die Hinzunahme von Ezetimib erst empfohlen wird, wenn die Zielwerte unter einer maximal tolerierbaren Statindosis nicht erreicht wurden.
100% Zielwerterreichung nach 12 Monaten
Die frühe intensive Lipidsenkung hat sich in der „Jena auf Ziel“-Kampagne allerdings als überaus effektiv herausgestellt. So befand sich der LDL-C-Zielwert bei Klinikaufnahme gerade mal bei knapp 6% der STEMI-Patienten im Zielbereich. Zum Zeitpunkt der Entlassung wiesen schon knapp 39% ein LDL-C von ˂ 55 mg/dl auf. Nach sechs Wochen waren es 80%. Und das habe man allein mit einer generischen Therapie aus Atorvastatin plus Ezetimib erreicht, verdeutlichte die Studienautorin. Bei Patienten, die nach sechs Wochen ihren Zielwert nicht erreicht hatten, wurde die Therapie im Anschluss eskaliert: entweder durch Hinzunahme von Bempedoinsäure (10,6%) oder durch zusätzliche Gabe eines PCSK9-Inhibitors (9,4%). Dadurch erreichten 98,8% der Patientinnen und Patienten innerhalb von 6 Monaten ihren Zielwert, nach 12 Monaten waren es 100%. „Sprich, nur 20 Prozent der Patienten benötigten eine weitergehende Therapieeskalation über eine generische Therapie aus einem Statin und Ezetimib hinaus“, resümierte Makhmudova. „Wir würden deshalb empfehlen, die Strategie einer frühen kombinierten lipidsenkenden Therapie in der kommenden Dyslipidämie-Leitlinie zu übernehmen“, schloss die am Uniklinikum Jena tätige Ärztin aus den aktuellen Daten.
Erfreulich ist auch, dass Nebenwirkungen unter der intensivierten Therapie eher selten waren. Bei jeweils 4,5% der Teilnehmenden traten Muskelschmerzen und abdominale Probleme auf. Bei 1,1% kam es zu einer Erhöhung der Leberenzyme, 2,3% beklagten sich über Schwindel. Eine lipidsenkende Kombi-Therapie sei somit gut verträglich, so Makhmudova.
Patient Empowerment als Konzept
Die intensivierte Behandlung war aber nicht das einzige, was in „Jena auf Ziel“ zur erfolgreichen Zielwerterreichung beitrug. Wie Makhmudova ausführte, spielte das „Patient Empowerment“ eine zentrale Rolle für den Erfolg der Behandlung. Bestandteil dieses Konzeptes war u.a., die Patienten über die Bedeutung des LDL-Cholesterins aufzuklären und zu schulen. Ihnen wurde zudem ein Cholesterin-Pass ausgehändigt, um die Eigenverantwortung der Patientinnen und Patienten zu stärken.
Bei 90% der Patienten war die LDL-C-Senkung nachhaltig
Doch wie sieht es mit der langfristigen Effektivität der Kampagne aus? Immerhin konnten gut 90% der Patientinnen und Patienten im weiteren Follow-up ihre Zielwerte halten. Bei den restlichen knapp 10% stiegen die LDL-C-Werte wieder an, wofür Nebenwirkungen (25%), fehlende Compliance (62,5%) und in 12,5% der Fälle tatsächlich eine Dosisreduktion durch den Hausarzt/die Hausärztin verantwortlich gemacht wurden.
Maximaldosis direkt zu Beginn für alle sinnvoll?
Die anschließende Diskutantin der Studie, Prof. Andrea Bäßler vom Universitären Herzzentrum Regensburg, äußerte sich zwar prinzipiell sehr positiv zu der „Auf Ziel“-Kampagne, die inzwischen auf weitere Standorte ausgeweitet wurde. „Wie Lipidsenker-Studien über die Zeit eindrucksvoll gezeigt haben, übersetzt sich eine LDL-Senkung in einer klaren und sehr gut belegten Senkung des kardiovaskulären Risikos“, erinnerte die Kardiologin. Etwas kritisch sieht sie allerdings die sofortige Auftitrierung einer Statintherapie auf die Maximaldosis. Die Häufigkeit von Nebenwirkungen steige mit einer Dosisverdopplung exponentiell an, begründete sie ihre Zurückhaltung. „Man muss sich deshalb schon fragen, ob ein Therapiebeginn mit Atorvastatin in maximaler Dosis für alle Patienten erforderlich und sinnvoll ist“, so die Kardiologin. Womöglich gehe man damit ein unnötig hohes Risiko ein, dass die Patienten die Medikamente nicht vertragen und die Behandlung am Ende ganz abbrechen, führte sie ihre Bedenken weiter aus.
Literatur
Makhmudova U: “Jena auf Ziel – JaZ” - a prospective cohort study aiming to get all patients with ST-elevation myocardial infarction on EAS/ESC-LDL-C targets Late Breaking Clinical Trials I, DGK-Jahrestagung 2022, 20. – 23. April, Mannheim