Poststationäre Versorgung: Weniger Rehospitalisierungen durch Cardiolotsen
Cardiolotsen sollen die poststationäre Versorgung von Herzpatienten verbessern. In einem Modellprojekt wurde das Konzept erfolgreich umgesetzt. Die Ergebnisse der begleitenden Studie könnten den Weg in die Regelversorgung ebnen.
Wenn kardiologisch erkrankte Patienten aus dem Krankenhaus in die ambulante Versorgung übergeben werden, gehen wichtige Informationen nicht selten verloren. Das kann dramatische Folgen haben. In vielen Fällen werden die Patienten innerhalb kürzester Zeit erneut in die Klinik aufgenommen, nicht wenige Patienten versterben. Um die poststationäre Versorgung von Herzpatienten zu verbessern, haben die AOK Nordost und das Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH zusammen mit der Technischen Universität München ein sektorenübergreifendes Versorgungsmodell ins Leben gerufen: der Cardiolotse.
Bei der DGK-Jahrestagung stellte Projektleiter Prof. Harald Darius vom Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin die Details des Modells sowie vorläufige Ergebnisse der projektbegleitenden Studie vor.
Cardiolotsen fungieren als Bindeglied zwischen stationärer und ambulanter Versorgung
Wie Darius ausführte, verfolgt das Projekt den Ansatz der „sprechenden Medizin“. Dafür werde aber keine App eingesetzt, so der Kardiologe, sondern eine gezielte 1:1-Betreuung mithilfe sog. Cardiolotsen. Ein Cardiolotse ist eine medizinische Gesundheitsfachkraft mit einer entsprechenden Zusatzqualifikation, die den Weg von herzkranken Patientinnen und Patienten aus der stationären Versorgung heraus in die ambulante Versorgung begleitet. Der Lotse unterstützt die Patienten beispielsweise bei der Vergabe von Arztterminen, nimmt Kontakt zu den involvierten Ärzten auf, beteiligt sich bei den Medikamentenabsprachen usw. Mit den Patienten selbst halten die Lotsen regelmäßig Rücksprache über telefonische Kontaktaufnahme.
Im Rahmen des Projektes wurden in insgesamt acht Berliner Vivantes Kliniken entsprechend geschulte Cardiolotsen eingesetzt. Bereits auf Station sprachen sie geeignete Patientinnen und Patienten, die als Haupt- oder Nebendiagnose eine chronische Herzerkrankung wie Myokardinfarkt, Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz usw. aufwiesen, auf ihre Bereitschaft zur Studienteilnahme an. Insgesamt 2.818 Personen konnten rekrutiert werden, 1.379 wurden der Interventionsgruppe mit Lotsenbetreuung zugeteilt, 1.439 gehörten der Kontrollgruppe an, die auf die übliche Art und Weise versorgt wurde. Die Mehrzahl der Teilnehmenden waren Rentner (> 70%) und gehörten bildungsfernen Bevölkerungsschichten an. Dies stelle genau das Kollektiv dar, das einer besseren Versorgung bedarf, so Darius.
Rehospitalisierungsrate um 11% gesenkt
Primärer Endpunkt der Studie war die Rehospitalisierungsrate nach zwölf Monaten. Wie Darius berichtete, kam es bereits innerhalb der ersten 30 Tage zu 700 erneuten Klinikaufnahmen, zwischen dem 30. und 90. Tag waren es bereits fast 900. „Die Rate ist höher, als wir befürchtet hatten“, kommentierte der Kardiologe.
Die gute Nachricht: Indexdiagnose bedingte Rehospitalisierungen waren in der Interventionsgruppe seltener als in der Kontrollgruppe (1,21 vs. 1,32). Der Unterschied von 11% war signifikant, wenn als Signifikanzlevel ein p˂0,1 herangezogen wird. Besonders profitiert von der Intervention haben einer Subgruppenanalyse zufolge Personen ohne Volks- oder Hauptschulabschluss. Jede siebte Hospitalisierung habe man bei ihnen durch die Lotsenbetreuung verhindern können, so Darius.
Keine signifikanten Unterschiede gab es bei der Mortalität, einem sekundären Endpunkt, wenngleich sich eine positive Tendenz zeigte. So verstarben in der Interventionsgruppe 18,9% der Patienten, in der Kontrollgruppe waren es 20,7%. Am ausgeprägtesten war der Unterschied zwischen beiden Gruppen im 1. Quartal nach der Krankenhausentlassung.
Zudem war die durchschnittliche Krankenhausverweildauer, wenn die Patienten wegen ihrer Indexdiagnose erneut in die Klinik eingewiesen wurden, signifikant geringer in der Interventionsgruppe als in der Kontrollgruppe (um ca. 13%). Darius zufolge deuten diese Ergebnisse auf eine geringere Krankheitsausprägung bei den von Lotsen betreuten Patientinnen und Patienten hin.
Werden Lotsen zur Regelversorgung?
Doch trotz der positiven Tendenzen stellt sich die Frage, ob das Lotsen-Modell eine Chance hat, in die Regelversorgung aufgenommen zu werden. Wie Darius berichtete, wird der GB-A darüber wahrscheinlich im nächsten Jahr entscheiden. Für die Entscheidung sollen die prozess- und gesundheitsökonomischen Ergebnisse des Modellprojektes abgewartet werden. Der offizielle Diskutant der Studie, Prof. Wilhelm Haverkamp von der Charité Berlin, hofft auf einen positiven Entscheid. Es stehe außer Frage, dass die intersektorale Versorgung verbessert werden müsse, argumentiert der Kardiologe. Das Cardiolotsen-Modell bezeichnet er in diesem Kontext als „ganz wichtige Initiative“. Dabei geht es ihm nicht um eine 1:1-Umsetzung des Studienprotokolls. Vielmehr sei es wichtig, solche Konzepte in bestehende Leistungsstrukturen optimal einzubinden. Angesichts der bereits 146 in Deutschland verwirklichten Lotsen-Projekte sieht Haverkamp es an der Zeit, „endlich damit anzufangen, eine Lösung für die Regelversorgung zu finden“.
Literatur
Darius H: Cardiolotse: Ein innovatives sektorenübergreifendes Versorgungskonzept für kardiologische Patienten, Late Breaking Clinical Trials II, DGK-Jahrestagung, 20. – 23. April 2022 in Mannheim