Tech-Giganten machen Medizin: Ein Überblick
Große Technologiekonzerne wie Amazon, Microsoft oder Google positionieren sich auf dem deutschen und internationalen Gesundheitsmarkt. Aber was machen sie da eigentlich genau? Ein Experte erklärt aktuelle Entwicklungen.
Tech-Konzerne sind aus der Medizin nicht mehr wegzudenken. Ob ambulante und stationäre Leistungserbringer, Apotheken, Krankenkassen, Forschung und Entwicklung, Industrie für Arzneimittel und Medizinprodukte, digitale Technologien – in all diesen Bereichen haben sie mittlerweile Beteiligungen oder verfolgen eigene Aktivitäten. Welche, verriet Dr. Julius Obergassel vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bei den diesjährigen DGK-Herztagen.
Neue Möglichkeiten durch Cloud Computing
Der größte Aktivitätsbereich der Tech-Giganten ist derzeit die Leistungserbringung. In den USA verlagern aktuell viele große Klinikkonzerne ihre IT-Infrastruktur in öffentliche Clouds, was in Deutschland eher weniger beobachtet wird. Aber auch vereinzelte deutsche Krankenhäuser übertragen zumindest einen Teil ihrer Technologie in deutsche Clouds.
Clouddienstleister bieten den Kliniken neue Möglichkeiten für ihre IT-Infrastruktur: virtuelle Netzwerke, virtuelle Computerleistung, virtuellen Speicherplatz. Die Tech-Konzerne ergänzen dieses Angebot um zusätzliche Analysefunktionen wie Spracherkennung, Machine-Learning-basierte Bild- und Videoerkennung, Textextraktion oder Chatbots. Krankenhäuser können dann ihre IT-Infrastruktur vom in der Klinik betriebenen Datacenter in eine private Cloud umziehen, und flexibel einrichten, was sie benötigen. Die zusätzlichen Analysefunktionen etwa sind nur in der Cloud möglich, was ein Anreiz für einen Wechsel sein kann.
Eigene Gesundheitsdienstleistungen der Konzerne
Gleichzeitig gibt es Konzerne, die Gesundheitsdienstleistungen selbst erbringen. Amazon hat zum Beispiel einen eigenen Telemedizinservice, aktuell noch für Mitarbeitende, plant aber Telemedizinprovider für verschiedene US-Unternehmen zu werden. Zudem hat der Konzern One Medical gekauft, einen der größten US-amerikanischen Primärversorgungsanbieter. Der chinesische Technologiekonzern Tencent, Anbieter von WeChat, hat eine Praxenkette übernommen, betreibt eine eigene Krankenversicherung und ist mittlerweile der größte private Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen in China.
Warum werden neue Technologien wie Cloud Computing in deutschen Kliniken noch wenig genutzt? „Einerseits gibt es das Krankenhauszukunftsgesetz, das viel Geld bereitstellt, um solche Technologien nutzen zu können, andererseits existieren im Gegensatz zu den USA sehr strenge Regularien hinsichtlich personenbezogener, insbesondere medizinischer Daten“, gab Obergassel zu bedenken. Derzeit gebe es noch eine rechtliche Grauzone, die es Krankenhäusern erschwere, in der Cloud zu agieren, weil noch nicht geregelt sei, was erlaubt sei und was nicht.
Forschung: Studien und neue Produkte
Ein zweiter großer Bereich, in dem Technologiekonzerne aktiv sind, ist die Forschung und Entwicklung. Google führt beispielsweise Studien durch, insbesondere unter Einsatz künstlicher Intelligenz. Etwa wurde versucht mithilfe ophtalmologischer Scans Aussagen über das Vorliegen einer diabetischen Nephropathie zu machen oder anhand von Fotografien des Auges Bluthochdruck oder Diabetes zu erkennen. DeepMind, einer Googletochter, ist mit AlphaFold ein Durchbruch gelungen, indem anhand von Aminosäuresequenzen die Proteinstruktur vorhergesagt werden konnte. Google werde aber auch immer wieder kritisiert, etwa wegen Nachlässigkeit beim Datenschutz, wandte Obergassel ein. Auch die Profitinteressen der Konzerne seien nicht zu vergessen.
Apple hat ebenfalls eigene Kliniken und Praxen, führt verschiedene Studien wie die Apple Heart Study oder die Womens Health Study durch und entwickelt Technologien weiter, die verschiedene Kliniksysteme miteinander verknüpfen. Ein Schwerpunkt von Microsoft ist die Cloudplattform Azure, der Konzern entwickelt aber auch Hologrammbrillen, die Ärzte und Ärztinnen unterstützen können. Dabei werden auf realen Daten basierende Hologramme in den Raum projiziert. „Ich denke es ist nur eine Frage der Zeit, bis solche Technologien auch bei uns verfügbar sind“, so der Experte.
„Patientenwünsche und -rechte nicht vergessen“
Tech-Giganten seien mittlerweile in jedem Bereich des Gesundheitswesens aktiv. „Damit sie ihre Produkte entwickeln können, brauchen sie Machine-Learning-Technologien, die haben sie, und Daten, die aktuell vor allem aus den USA und Asien stammen“, erläuterte Obergassel. Forschung sei derzeit das Hauptaktivitätsfeld der Konzerne, aber eine Ausweitung auf andere Bereiche erfolge sicherlich. „Irgendwann wird es Produkte geben, die so gut sind, dass wir sie benutzen müssen, weil klinische Studien dazu vorliegen“, ergänzte er. Deshalb sei es wichtig, die aktuell nicht ausreichend geklärte rechtliche Situation zur Nutzung von Cloud Computing für deutsche Kliniken anzupassen. „Bei all diesen Aspekten sollte man die Patientenwünsche und -rechte sowie ethische Aspekte niemals unberücksichtigt lassen“, schloss er.
Literatur
Obergassel J. Amazon, Google und Co: Global Player machen Medizin. E-Health und Rhythmus. DGK-Herztage 2022, 29. September – 1. Oktober 2022, Bonn