iPhone 12 kann wohl tatsächlich ICD- und Schrittmacher-Funktion stören
Erst kürzlich gab es einen Fallbericht, der zeigte, dass das neue iPhone 12 die Tachykardiefunktion eines ICDs vorübergehend deaktivieren kann. Dies hat sich in einer kleinen Fallserie nun bestätigt. Nach Ansicht der Autoren könnte das Störpotenzial klinisch relevant sein.
Bei Verwendung des neuen iPhone 12 sollten ICD- und Schrittmacher-Träger sich eines Interferenzrisikos bewusst sein. Darauf machten Kardiologen von der Brown Universität auf Rhode Island aufmerksam.
Dr. Fahd Nadeem und Kollegen haben das neuen Mobilfunkgerät sowohl in vivo als auch ex vivo getestet und dabei Interferenzen mit den Funktionen von implantierbaren Kardioverter-Defibrillatoren (ICD) und Schrittmachern festgestellt.
Magnet-Schalter wird aktiviert
„Unsere Studie zeigt, dass der Magnetmodus ausgelöst werden kann, wenn das iPhone 12 Pro Max direkt über der Haut im Bereich des implantierten kardialen Devices platziert wird, und es dadurch das Potenzial hat, lebenserhaltende Therapien zu inhibieren“, bringen die Kardiologen ihre Ergebnisse auf dem Punkt.
Es ist nicht das erste Mal, dass das iPhone 12 in dieser Hinsicht für Aufsehen gesorgt hat. Erst im Februar haben Dr. Joshua Greenberg und Kollegen einen Fallbericht publiziert, in welchem genau dasselbe passiert war (wir berichteten).
In der aktuellen Untersuchung hat sich das Störpotenzial des iPhone 12 bei drei Implantat-Trägern replizieren lassen. Alle drei Patienten waren im Rahmen einer geplanten Geräteuntersuchung für den Versuch rekrutiert worden, einer hatte einen ICD von Abbott implantiert, der zweite einen CRT-D von Medtronic, und der dritte einen Schrittmacher von Boston Scientific. Im Rahmen des Testlaufes wurde das iPhone 12 auf die Haut der Patienten direkt über den implantierten Gerät platziert.
Tachykardie-Funktion bei ICD deaktiviert
In allen drei Fällen kam es im Zuge dessen zu Interferenzen mit der Gerätefunktion, wenngleich mit unterschiedlichen Konsequenzen in Abhängigkeit des Device-Modells. Der Boston-Schrittmacher hat in einen asynchronen Stimulationsmodus gewechselt, was aber nur eine vorübergehende Reaktion war. Im Falle des ICDs und CRT-D hat sich während des Handyauflegens die Tachykardiefunktion deaktiviert.
Verantwortlich für diese Interferenzen machen die US-Kardiologen eine neue Technik, die im iPhone 12 verbaut ist, MagSafe genannt. Verwendet wird diese, um das induktive Laden mittels Wireless zu optimieren. Darin enthalten sind Kleinmagnete im Ringform. Diese erzeugen ein starkes Magnetfeld, welches in der Lage ist, den Hall-Sensor im ICD oder anderen magnetsensitive Sensoren in kardialen Devices zu aktivieren bzw. deren Funktion zu stören.
Größeres Störpotenzial als bei Vorgängermodell
Der Hersteller Apple hat bereits einen entsprechenden Warnhinweis herausgegeben, wobei darin vermerkt ist, dass bei dem neuen iPhone 12 kein höheres Interferenzrisiko erwartet werde als bei den Vorgängermodellen. Nadeem und Kollegen gehen aufgrund ihrer neuesten Beobachtungen nun vom Gegenteil aus. In ihrer Studie sei es in drei von drei Fällen zu Interferenzen gekommen, während in einer früheren Studie mit dem iPhone 6 bei 148 Patienten kein Fall einer magnetischen Reaktion aufgetreten sei, begründen sie ihre Vermutung.
Neben dem in vivo-Versuch haben die Kardiologen das Störpotenzial des neues Mobilfunkgerätes an elf weiteren, noch nicht implantierten Schrittmacher- und ICD-Geräten ex vivo getestet. Bei acht Geräten (72,7%) stellten sie elektromagnetische Interferenzen fest. Bei drei von fünf getesteten ICDs kam es zur Deaktivierung der Tachykardiefunktion, bei vier von sechs Schrittmachern stellte sich ein asynchrones Pacing ein, in einem Falle nur temporär.
Klinische Implikationen
Nach Ansicht der US-Kardiologen könnten diese Beobachtungen durchaus klinisch relevant sein. „Menschen legen ihre Smartphones häufig in die Brusttasche über dem Device, womit sich das Gerät in unmittelbarer Nähe zum kardialen Implantat befindet“, erläutern sie eine gängige Alltagssituation. Dies könne zu einer asynchronen Stimulation oder deaktivierten Antitachykardie-Therapie führen.
Das jeweilige Interferenzpotenzial scheint jedoch von dem Modell des Smartphones und dem implantierten Device abhängig zu sein. Spezifische Empfehlungen geben Nadeem und Kollegen deshalb nicht. Stattdessen raten sie Implantat-Trägern dazu, einen Spezialisten aufzusuchen, um ausgehend von ihrem Mobilfunkgerät und implantierten Device mögliche Maßnahmen abzuklären.
Literatur
Nadeem F et al. Magnetic Interference on Cardiac Implantable Electronic Devices From Apple iPhone MagSafe Technology; J Am Heart Assoc. 2021;10:e020818. DOI: 10.1161/JAHA.121.020818