Was sich in den neuen Leitlinien zur myokardialen Revaskularisation geändert hat
Die europäischen Leitlinien zur Myokardrevaskularisation sind nach vier Jahren wieder aktualisiert worden. Die Fachgesellschaften der europäischen Kardiologen und Herzchirurgen – European Society of Cardiology (ESC) und European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) – haben sich dabei auf gemeinsame Empfehlungen verständigt.
Die Myokardrevaskularisation – sei es durch perkutane Koronarintervention (PCI) oder koronare Bypass-Chirurgie - ist bei ischämischen Herzerkrankungen von zentraler therapeutischer Bedeutung. Insofern bestehen zwischen den jetzt von einer ESC/EACTS-„Task Force“ auf den neuesten Stand gebrachten Revaskularisations-Leitlinien und anderen ESC-Leitlinien etwas zur stabilen KHK oder zu spezifischen Herzinfarkt-Typen wie NSTEMI und STEMI große Überschneidungen.
Prozedurale Aspekte der PCI
Einen Überblick darüber, was sich bei den Empfehlungen zur Revaskularisation alles geändert hat, gaben Prof. Franz-Josef Neumann aus Bad Krozingen und Dr. Miguel Sousa Uva aus Lissabon in einer Leitlinien-Sitzung beim ESC-Kongress in München. Neumann lenkte den Blick zunächst auf prozedurale Aspekte der PCI. Hier hat man sich mit Klasse-1-Empfehlungsgrad darauf verständigt, dass
- der Gefäßzugang über die Arteria radialis Standard für die Koronarangiografie und PCI ist und
- Drug-eluting Stents (DES) bei allen PCIs zum Einsatz kommen sollten.
Reine Metallstents (Bare Metal Stents), denen bisher noch eingeschränkte Indikationen wie eine dadurch mögliche Verkürzung der dualen Plättchenhemmung zugebilligt wurden, sind damit obsolet geworden. Eine Aufwertung hat die optische Kohärenztomografie (OTC) als bildgebendes Verfahren zur Optimierung der Stent-Implantation erfahren, sie wird nun mit einer Klasse IIa-Empfehlung (statt bisher IIb) bedacht. Abgewertet wurde dagegen die Empfehlung zur Verwendung von distalen Protektionssystemen im Fall einer PCI bei Läsionen in Saphena-Venengrafts (künftig Klasse IIa).
Nach den Ergebnissen der CULPRIT-SHOCK-Studie nicht überraschend wird eine routinemäßige sofortige Revaskularisation sonstiger Koronarläsionen über die Infarktarterie hinaus („Mehrgefäß-PCI“) bei infarktbedingtem kardiogenem Schock nicht empfohlen (Klasse III). Die Nutzung von bioresorbierbaren Stents (Scaffolds) wird nach enttäuschenden Ergebnissen klinischer Studie derzeit außerhalb von Forschungsprojekten als nicht vertretbar angesehen.
Antithrombotische Therapie bei PCI
Ihre Empfehlungen zur antithrombotischen Therapie hat die ESC schon 2017 in einem “Focused Update” aktualisiert. Hier besteht weitgehende Übereinstimmung mit den in den neuen Leitlinien zur Myokardrevaskularisation enthaltenen Empfehlungen.
Danach sollte bei Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern bei indizierter oraler Antikoagulation und plättchenhemmender Therapie bevorzugt ein Nicht-Vitamin K-abhängiges orales Antikoagulans (NOAK) verwendet werden (Klasse IIa). Bei Wahl von Dabigatran sollte bei der Kombination mit nur einem Plättchenhemmer die 150-mg-Dosis den Vorzug vor der 110-mg-Dosis erhalten (Klasse IIb).
Mit einer vorsichtigen, auf Ergebnissen der TROPICAL-ACS-Studie basierenden Klasse- IIb-Empfehlung ist die Möglichkeit einer sogenannten „Deeskalation“ der plättchenhemmenden Therapie mit P2Y12-Hemmern nach akutem Koronarsyndrom (ACS) in Abhängigkeit von einem Plättchenfunktionstest bedacht worden. Das bedeutet, dass etwa zur Minimierung des Blutungsrisikos nach ACS im Rahmen der dualen Antiplättchen-Therapie (DAPT) eine frühe Umstellung von Prasugrel oder Ticagrelor auf das weniger potente Clopidogrel in Betracht gezogen werden kann.
Zudem wird empfohlen, dass bei zuvor nicht mit P2Y12-Hemmern behandelten Patienten Cangrelor im Fall einer PCI und Glykoprotein IIb/IIIa-Hemmer bei ACS-Patienten mit PCI in Betracht gezogen werden können (jeweils Klasse IIb). Die Gabe von Bivalirudin bei Herzinfarkt-Patienten mit PCI wird nur noch in sehr abgeschwächter Form empfohlen (Klasse IIb).
Indikationen zur myokardialen Revaskularisation
Indikation für eine Myokardrevaskularisation bei Patienten mit stabiler Angina oder „stummen” Ischämien ist zum einen die Verbesserung von trotz medikamentöser Therapie persistierenden Symptomen bei Patienten mit hämodynamisch relevanten Koronarstenosen, zum anderen die Verbesserung der Prognose. Eine prognostische Indikation ist etwa bei Stenosen des linken Hauptstamms (> 50%), proximalen Stenosen des Ramus interventricularis anterior (RIVA) und bei koronarer Mehrgefäßerkrankung in Kombination mit einer eingeschränkten linksventrikulären Funktion (LVEF < 35%) gegeben.
Wenn es keine klaren Anzeichen für Ischämien gibt, empfehlen die Leitlinien eine funktionelle Messung der FFR (Fraktionelle Flussreserve) oder der iwFR (Instantaneous wave-free Ratio) zur Abklärung der hämodynamischen Relevanz von Stenosen (Klasse 1). Zwei große Studien (iFR-SWEDEHEART und DEFINE-FLAIR) haben gezeigt, dass sich mit beiden Messmethoden die funktionelle Bedeutung von Koronarverengungen gleich gut ermitteln lässt. Die FFR-Messung wird zudem als Entscheidungsgrundlage für die Revaskularisation bei Patienten mit koronarer Mehrgefäßerkrankung und PCI empfohlen (Klasse IIa).
Die Wahl zwischen PCI und Bypass-OP
Sowohl die koronare Bypass-Operation als auch ein interventionelles Vorgehen mit Implantation von Drug-elutings Stents sind mögliche Strategien zur Behandlung von hämodynamisch relevanten Koronarstenosen . Wann welche Strategie der Revaskularisation bei stabiler KHK zu bevorzugen ist, hängt wesentlich von der anatomischen Komplexität der Koronarerkrankung und von Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus ab..
Die Leitlinien empfehlen, zur Bewertung der Koronaranatomie bei Patienten mit Hauptstamm-Stenose und/oder Mehrgefäßerkrankung den SYNTAX-Score heranzuziehen (Klasse 1). Zur Abschätzung des Mortalitäts- und Morbiditätsrisikos im Fall einer Bypass-OP sollte der STS-Score genutzt werden (Klasse 1).
Koronaranatomie als Kriterium
Grundsätzlich gilt: Je komplexer die Koronaranatomie, desto stärker kommt – ein niedriges Operationsrisiko vorausgesetzt - die Bypass-OP als Option in Betracht. Bei klinisch stabilen Patienten mit koronarer 1- oder 2-Gefäßerkrankung mit und ohne RIVA-Stenose wird der PCI grundsätzliche eine Klasse-1-Empfehlung zugesprochen. Die Bypass-OP erhält bei Patienten mit RIVA-Stenosen ebenfalls eine Klasse-1-Empfehlung, bei Patienten ohne entsprechende Stenosen eine IIa-Empfehlung.
Bei KHK-Patienten mit Hauptstammstenose ist die chirurgische Revaskularisation unabhängig vom SYNTAX-Score ausnahmslos eine Option (Klasse 1). Für die PCI relativiert sich die Empfehlung dagegen am SYNTAX-Score. Bei niedrigem Score (0 – 22) ist die PCI eine bezüglich Empfehlungsstärke gleichwertige Alternative zur Bypass-OP (Klasse 1). Bei mittlerem SYNTAX-Score reicht es noch zu einer IIa-Empfehlung für die PCI, die allerdings bei hohem Score (> 33) der Bypass-OP generell den Vortritt lassen muss. Lehnt allerdings der Patienten nach adäquater Beratung durch ein „Herzteam“ eine Operation ab, kommt in diesem Fall die PCI in Betracht.
Auch bei Patienten mit 3-Gefäß-Erkrankung mit und ohne Diabetes ist die Bypass-OP durchweg eine Option (Klasse 1). Der PCI kann dagegen eine Klasse-1-Empfehlung nur bei Patienten ohne Diabetes im Fall eines niedrigem SYNTAX-Scores beanspruchen.
Revaskularisation bei Herzinsuffizienz
Bei für die Behandlung geeignet erscheinenden KHK-Patienten mit schwerer systolischer Dysfunktion (Auswurffraktion bei 35% oder niedriger) wird eine Myokardrevaskularisation empfohlen (Klasse 1). Als Strategie der Wahl bei Patienten mit Mehrgefäßerkrankung und akzeptablem Operationsrisiko wird die Bypass-OP benannt (Klasse 1). Diese Empfehlung basiert auf den vor kurzem publizierten 10-Jahres-Ergebnissen der STICH-Studie, die der chirurgischen Revaskularisation einen spät sichtbar gewordenen Überlebensvorteil bescheinigt.
Bei Herzinsuffizienz-Patienten mit koronarer 1- oder 2-Gefäß-Erkrankung sollte alternativ eine PCI in Betracht gezogen werden, wenn dadurch eine komplette Revaskularisation gewährleistet werden kann (Klasse IIa).
Literatur
Vorgestellt am 26. August 2018 in der Sitzung „ESC 2018 Guidelines Overview” beim ESC-Kongress 2018, 25. – 29. August 2018, München.
2018 ESC/EACTS Guidelines on Myocardial Revascularization - The Task Force on myocardial revascularization of the European Society of Cardiology (ESC) and European Association for
Cardio-Thoracic Surgery (EACTS), European Heart Journal (2018) 00, 1–96 doi:10.1093/eurheartj/ehy394