Checkliste für Lungenembolie: Welche Patienten man nach Hause schicken kann
Nicht wenige Patienten mit akuter Lungenembolie kann man bedenkenlos vorzeitig entlassen und ambulant versorgen. Mit einer einfachen Checkliste lassen sich solche Patienten sicher identifizieren.
Eine akute Lungenembolie ist nicht immer lebensbedrohlich: Nicht wenige Patienten können aufgrund ihres niedrigen Komplikationsrisiko vorzeitig entlassen und ambulant versorgt werden. Doch wie kann man diese Patienten erkennen, ohne ein Risiko einzugehen?
Zwei Strategien im Vergleich
Erstmals wurden zwei Strategien für eine solche Triage in einer randomisierten Studie miteinander verglichen: der simplifizierte „Pulmonary-Embolism-Severity-Index“ (sPESI) und die HESTIA-Kriterien. Der sPESI ist ein klinischer Risikoscore (s. Kasten), bei 0 Punkten ist das Komplikationsrisiko des Patienten als gering einzuschätzen.
sPESI-Score: 1 Punkt bei |
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Bei den HESTIA-Kriterien (s. Kasten) handelt es sich um Ausschlusskriterien, die entwickelt worden sind, um genau jene Patienten ausfindig zu machen, die bedenkenlos entlassen werden können. Nur wenn alle elf Fragen dieser Checkliste mit Nein beantwortet werden können, ist eine sichere Entlassung des Patienten gewährleistet.
HESTIA-Kriterien für Ausschluss einer ambulanten Therapie |
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Ein Drittel konnte vorzeitig entlassen werden
In der HOME-PE-Studie wurde das Risiko von 984 Patienten mit akuter Lungenembolie in der Notaufnahme via HESTIA und von 986 Patienten via sPESI beurteilt. Durch diese Triage konnten mehr als ein Drittel der Patienten innerhalb von 24 Stunden aus der Klinik entlassen werden (38% in der HESTI- und 37% in der sPESI-Gruppe).
Triage mit einfacher Checkliste war genauso sicher
Die Checkliste mit den HESTI-Kriterien sei in Bezug auf die Sicherheit einer Risikostratifizierung mittels sPESI-Score nicht unterlegen gewesen, fasste Studienleiter Dr. Pierre-Marie Roy aus Angers in Frankreich das Hauptergebnis der Studie bei einer ESC-Hotline-Session zusammen.
Sprich, wurden die Patienten für entlassungsfähig eingeschätzt, war ihr Komplikationsrisiko tatsächlich gering: In der Intention-To-Treat-Analyse kam es bei 3,57% der Patienten mit einem sPESI-Score von 0 im weiteren Verlauf zu einer venösen Thromboembolie, schweren Blutung oder einem Todesfall (kombinierter Sicherheitsendpunkt); im Falle eines Ausschlusses durch die HESTIA-Kriterien betraf das 3,82% der Patienten. Todesfälle waren mit jeweils einem Ereignis sehr selten, in beiden Fallen verstarben die Patienten an den Folgen einer Krebserkrankung.
Eine ambulante Versorgung von normotensiven Patienten mit akuter Lungenembolie sei also in mehr als einem Drittel der Fälle sicher möglich, wenn die Krankenhausstrukturen vorhanden seien, egal ob die HESTIA-Kriterien oder der sPESI-Score eingesetzt werde, lautete das Fazit Roys, unter der Voraussetzung, dass ein Arzt die Entscheidung federführend trifft.
Doch manchmal hatten die Ärzte Einwände
Wie wichtig die ärztliche Einschätzung am Ende ist, zeigt die Veto-Rate in der aktuellen Studie. So entschieden sich die Ärzte bei 3% der durch die HESTIA-Kriterien eigentlich als sofort entlassungsfähig kategorisierten Patienten doch dafür, diese zunächst im Krankenhaus zu behalten. Im Falle einer Triage via sPESI-Score hatten die Ärzte bei deutlich mehr Patienten – nämlich 29% – Einwände gegen eine vorzeitige Entlassung. Die am häufigsten vorgebrachten Gegenargumente waren Begleiterkrankungen, gefolgt von Einwände des Patienten, die Notwendigkeit spezifischer Behandlungen, soziale Gründe und Kontraindikationen gegen NOAKs.
Konsequenzen für die Praxis
Was bedeutet das jetzt für die Praxis? Nach Ansicht von Prof. Stavros Konstantinides bestätigt diese Studie, dass zur Identifikation von Lungenembolie-Patienten, die für eine ambulante Behandlung infrage kommen, beides herangezogen werden kann: sPESI und HESTIA. Das würden auch die Leitlinien empfehlen, berichtete der Kardiologe aus Mainz, der die Ergebnisse im Anschluss diskutiert hat.
Ein sPESI von 0 allein reiche allerdings nicht aus, um die Patienten nach Hause zu schicken, betonte Konstantinides. Hier müssten die sozialen Umstände des Patienten berücksichtigt werden. Vorteil der HESTIA-Kriterien ist wiederum, dass darin sowohl medizinische als auch soziale Faktoren integriert sind. In der HOME-PE-Studie seien diese Kriterien nun extern validiert worden, ordnete Konstantinides die Bedeutung der Studienergebnisse ein. Die Kriterien könnten somit sicher eingesetzt werden.
Trotz allem sollte die Entscheidung nicht uneingeschränkt auf Basis dieser Triage-Tools getroffen werden. Dies hänge immer von der jeweiligen familiären Situation des Patienten und den regionalen Gegebenheiten des Gesundheitssystems ab, gab Konstantinides zu bedenken. In der HOME-PE-Studie nahmen beispielsweise nur Kliniken teil, die spezifische Strukturen für eine ambulante Versorgung gewährleisten konnten.
Literatur
Roy PM: HOME-PE - Hospitalisation or Outpatient Management of PE Patients - HESTIA vs. Simplified PESI; vorgestellt bei der HOTLINE III-Session am 31.08.2020 beim ESC Congress 2020 - The Digital Experience
Pressekonferenz HOTLINE III, am 30.08.2020 beim ESC Congress 2020 - The Digital Experience