Antihypertensiva nützen sogar bei normalem Blutdruck…und jetzt?
Eine blutdrucksenkende Therapie schützt selbst normotensive Patienten vor Herzinfarkt und Schlaganfall, und zwar sowohl in Primär- als auch in Sekundärprävention – mit diesem Fazit einer sehr großen Metaanalyse dürfte die Diskussion um Blutdruckziel- und Ausgangswerte neu befeuert werden.
In einer Hotline-Session des europäischen Herzkongress ESC 2020 wurde eine bemerkenswerte Metaanalyse zur antihypertensiven Therapie vorgestellt.
Nach Aussage der Autoren handelte es sich um die größte und detaillierteste Studie bis dato zu zwei wichtigen und praxisrelevanten Fragestellungen:
- Unterscheidet sich der Nutzen einer antihypertensiven Therapie in Abhängigkeit vom Ausgangsblutdruck?
- Gibt es bezüglich der Schutzwirkung Unterschiede zwischen Patienten mit Schlaganfall oder Herzinfarkt im Vergleich zu Patienten ohne manifeste kardiovaskuläre Erkrankungen?
Fast 350.000 Daten auf Patientenebene ausgewertet
Die Autoren um Prof. Kazem Rahimi von der Universität Oxford werteten dazu 48 randomisierte klinische Studien aus, die wenigstens 1.000 Patientenjahre Follow-up aufweisen konnten und Antihypertensiva verglichen – untereinander, gegen Placebo oder eine intensivere gegen weniger intensive Behandlung.
Dabei nahmen sie die individuellen Daten auf Patientenebene von 348.854 Patienten unter die Lupe und teilten diese zunächst in zwei Gruppen ein: Solche mit und solche ohne kardiovaskuläre bzw. zerebrovaskuläre Vorerkrankung. In beiden Gruppen bildete man anschließend sieben Subgruppen in Abhängigkeit des Ausgangsblutdruckes, beginnend bei <120 mmHg, 120–129 mmHg, 130-139 mmHg, usw.
Überraschend hohe Risikosenkungen in allen Gruppen
Ziel war es, den Nutzen einer blutdrucksenkenden Therapie in diesen Gruppen zu vergleichen. Die Ergebnisse überraschten:
- Bei vierjähriger Behandlung reduzierte jede Senkung des systolischen Blutdrucks um 5 mmHg das Risiko für schwere kardiovaskuläre Komplikationen um 10%. Im Einzelnen: Das Schlaganfallrisiko sank um 13%, das KHK-Risiko um 7%, das Risiko für Herzinsuffizienz um 14% und die kardiovaskuläre Mortalität um 5%.
- Ob bereits eine kardiovaskuläre Vorerkrankung bestand oder nicht, spielte für diese Risikosenkung keine Rolle.
- Auch das Niveau des Ausgangsblutdruckes hatte keinen Einfluss. Mit anderen Worten: Von einer Blutdrucksenkung um 5 mmHg profitierten Patienten mit einem Ausgangswert von 120 mmHg ebenso deutlich wie Patienten mit einem Ausgangswert von 170 mmHg.
Blutdrucksenker sind eigentlich Risiko-modifizierende Medikamente
„Eine größere medikamentöse Blutdrucksenkung hat einen größeren Schutz vor Schlaganfall und Herzinfarkt zur Folge, unabhängig von Vorerkrankungen und Ausgangsblutdruck“, erklärte Rahimi. Das heißt aber nicht, dass man alle Menschen mit Blutdrucksenkern behandeln sollte, so der Experte. Die Indikation dafür hänge weiterhin vom individuellen Risiko des Patienten für künftige kardiovaskuläre Ereignisse ab. Für eine solche Risikostratifizierung können verschiedene Scores herangezogen werden, z.B. jener der ESC.
Fazit für die Praxis
Was bedeuten diese Ergebnisse nun für die Praxis? Nach Ansicht von Rahimi hat sich zum einen gezeigt, dass der Nutzen einer Blutdrucksenkung offenbar noch größer ist als gedacht. Zum anderen: Der Ausgangsblutdruck ist irrelevant. Wenn das kardiovaskuläre Risiko des Patienten hoch sei und er die Therapie vertrage, sei der Zweck der Einnahme von Antihypertensiva nicht die Blutdrucksenkung, sondern die Herzinfarkt- und Schlaganfallprävention, erläuterte der Kardiologe die praktischen Konsequenzen. Aus diesem Grunde ist es seiner Ansicht nach für entsprechende Risikopatienten auch wichtig, Antihypertensiva weiterhin einzunehmen, auch wenn der Blutdruck durch die Therapie normalisiert oder fast normalisiert wurde.
Literatur
Rahimi K: BPLTTC - Blood Pressure Lowering for Prevention of Cardiovascular Events across Different Levels of Blood Pressure, vorgestellt bei der HOTLINE III-Session am 31.08.2020 beim ESC Congress 2020 - The Digital Experience