Neue Praxis-Leitlinien: Das ABC des Managements bei Vorhofflimmern

Die europäische Kardiologen-Gesellschaft ESC hat ein Update ihrer Leitlinien zum Vorhofflimmern vorgestellt. Neu ist unter anderem ein „ABC“-Schema, das Ärzten einen übersichtlichen „Behandlungspfad“ bei dieser häufigen Arrhythmie an die Hand geben soll.

Von Peter Overbeck

 

01.09.2020

Vier Jahre nach der letzten Aktualisierung hat die ESC gemeinsam mit der European Association of Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) die europäischen Leitlinien zum Management bei Vorhofflimmern auf den neuesten wissenschaftlichen Stand gebracht. Herausgekommen ist dabei ein in seinem Umfang der Vielschichtigkeit und Komplexität des Themas entsprechendes Dokument von 126 Seiten.

Von „CC“ zum „ABC“

Die gewohnte Einteilung von Vorhofflimmern in fünf Klassen (erstmalig diagnostiziert, paroxysmal, persistierend, lang anhaltend persistierend und permanent) ist beibehalten worden. Als veraltet, unscharf oder verwirrend erachtete Begriffe wie „Lone AF“, „chronisches Vorhofflimmern“ oder „valvuläres, bzw. nicht-valvuläres Vorhofflimmern“ sind dagegen aus der Terminologie gestrichen worden.

 

Alles beginnt mit dem Kürzel „CC“: Es steht zum einen für die Sicherung („Confirmation“) der Diagnose Vorhofflimmern. Dafür wird die Dokumentation der Arrhythmie in einem EKG als unabdingbar erachtet (Klasse-1-Empfehlung). Das zweite „C“ verweist auf die empfohlene nähere Charakterisierung („Characterize AF“) des dokumentierten Vorhofflimmerns.

Vorschlag für „strukturierte Charakterisierung“ der Arrhythmie

Die Klassifizierung von Vorhofflimmern, die anhand von Kriterien wie Arrhythmiedauer und spontaner Terminierung vorgenommen wird, ist nicht die Basis für Therapieempfehlungen. Ziel der neuen ESC-Leitlinien ist deshalb, zu einer „strukturierten Charakterisierung“ dieser Arrhythmie zu gelangen, die eine einheitliche Grundlage für Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen bilden und das Management von Patienten optimieren soll.

 

Dafür wird jetzt ein sogenanntes  „4S-AF-Schema” vorgeschlagen (Klasse-IIa-Empfehlung). Es enthält vier „Domänen“, die mit Blick auf Behandlung und Prognose als wichtig erachtet werden. Die vier S-Domänen sind

 

  • Stroke risk, also die mittels Risikoscore  (CHA2DS2-VASc) vorgenommene Bestimmung des Schlaganfallrisikos
  • Symptom severity, also der anhand des EHRA-Scores bestimmbare Schweregrad der Symptome
  • Severity of AF burden, also die anhand von Zeitmuster und Terminierung  (paroxysmal, persistierend, permanent) abschätzbare oder mittels Monitoring dokumentierte “Arrhythmielast” pro Zeit.
  • Substrate severity, also die funktionelle, strukturelle oder anatomische Basis der Arrhythmie, deren Ausprägung unter anderem  anhand von atrialen Veränderungen wie Vorhofvergrößerung oder –fibrosierung beurteilt werden kann.

„ABC pathway“: Die drei Säulen der Therapie

Auf „CC“ folgt „ABC“: Mit dem „ABC pathway“  („Atrial fibrillation Better Care“)  ist ein ganzheitlich ausgerichtetes, integriertes und zugleich einfaches und übersichtlich gestaltetes  Behandlungskonzept in die neuen Leitlinien aufgenommen worden. „ABC“ steht dabei  für die drei Säulen der Behandlung:

 

  • „A” (Anticoagulation/Avoid stroke) steht für die Notwendigkeit einer Antikoagulation zur Prophylaxe von Schlaganfällen - mit Ausnahme von Patienten mit niedrigem Risiko.
  • „B” (Better symptom management) verweist auf die Notwendigkeit, Symptome und Lebensqualität zu bestimmen und, wenn nötig, eine frequenzkontrollierende oder rhythmuserhaltende Therapie mit Medikamenten oder Interventionen wie Katheterablation einzuleiten.
  • „C” (Cardiovascular and Comorbidity optimisation) bezeichnet das über die Antikoagulation und antiarrhythmische Therapie hinaus erforderliche Management  von Risikofaktoren wie Hypertonie, Übergewicht/Fettleibigkeit, Rauchen, ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel.

 

Voraussetzung für die Entscheidung über eine Antikoagulation ist die Bestimmung des Schlaganfallrisikos mittels CHA2DS2-VASc-Score. Auch eine Beurteilung des Blutungsrisikos anhand des HAS-BLED-Scores „sollte in Betracht gezogen werden“ (Klasse-IIa-Empfehlung).

Keine Antikoagulation bei niedrigem Risiko

Zunächst gilt es, Patienten mit niedrigem Schlaganfallrisiko (CHA2DS2-VASc-Score von 0 bei Männern und 1 bei Frauen) identifiziert werden. Sie bedürfen keiner oralen Antikoagulation (OAK), sollten aber nach vier bis sechs Monate erneut daraufhin nachkontrolliert werden, ob ihr Risikostatus gleich geblieben ist oder nicht.

 

Bei Männern mit einem Score-Wert von 1 und Frauen mit einem Score-Wert von 2 sollte eine OAK in Betracht gezogen werden (Klasse IIa-Empfehlung). Bei Werten ≥ 2 (Männer) und  ≥ 3 (Frauen) wird sich mit dem höchsten Empfehlungsgrad (Klasse IA) für die OAK ausgesprochen.

Vorzug für NOAK in der Antikoagulation

NOAK erhalten in den Leitlinien den Vorzug gegenüber Vitamin-K-Antagonisten (Klasse-IA). Im Fall einer Antikoagulation mit einem  VKA sollte eine adäquate Behandlungsqualität (Zeit im therapeutischen Bereich, TTR >70%) gewährleistet sein. Ist das nicht der Fall, wird eine Umstellung auf NOAK (bei Sicherstellung einer guten Therapieadhärenz) oder eine Optimierung der VKA-Therapie bezüglich TTR empfohlen.

Aufwertung der Katheterablation

Die Katheterablation hat in den neuen Leitlinien erneut eine Aufwertung erfahren. Bei Patienten mit paroxysmalem oder persistierendem Vorhofflimmern wird die Methode zur Rhythmuskontrolle nach erfolglosem medikamentösem Therapieversuch oder bei Unverträglichkeit von Klasse-I/III-Antiarrhythmika nun mit einer Klasse-IA-Empfehlung (zuvor IIa) bedacht.

 

Neu ist auch die Empfehlung, dass die Katheterablation als First-Line-Therapie zur Symptomverbesserung  bei ausgewählten Patienten mit symptomatischem paroxysmalem Vorhofflimmern in Betracht gezogen werden sollte (IIa-Empfehlung).

 

Auch bei Patienten mit Vorhofflimmern und linksventrikulärer Dysfunktion bzw. Herzinsuffizienz hat die interventionelle Methode nun den Status einer First-Line-Therapie. Hier wird sie etwa bei Patienten mit linksventrikulärer Dysfunktion und hoher Wahrscheinlichkeit für eine Tachykardie-induzierte Kardiomyopathie empfohlen (Klasse-I-Empfehlung).

 

Bei ausgewählten Patienten mit Herzinsuffizienz und erniedrigter Auswurffraktion (HFrEF) sollte die Ablation zur Reduktion von Mortalität und Klinikaufenthalten wegen Herzinsuffizienz in Betracht gezogen werden (IIa-Empfehlung). In dieser Empfehlung spiegeln sich die Ergebnisse neuerer Studien wie CASTLE-AF und AATAC wider.


Literatur

2020 ESC Guidelines on Atrial Fibrillation, vorgestellt am 29.08.2020 beim ESC Congress 2020 - The Digital Experience  

 

Hindricks G., Potpara T. et al.: 2020 ESC Guidelines for the diagnosis and management of atrial fibrillation developed in collaboration with the European Association of Cardio-Thoracic Surgery (EACTS): The Task Force for the diagnosis and management of atrial fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC) Developed with the special contribution of the European Heart Rhythm Association (EHRA) of the ESC. European Heart Journal, ehaa612, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehaa612

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