Nachrichten 08.09.2021

Bestimmte COVID-19-Patienten profitieren von verlängerter Thromboseprophylaxe

Eine noch ungeklärte Frage im Management von COVID-19-Patienten: Sollte man eine Thromboseprophylaxe über den Krankenhausaufenthalt hinaus verordnen? Eine randomisierte Studie spricht dafür – zumindest unter gewissen Voraussetzungen.

Schwer erkrankte COVID-19-Patienten mit einem hohen Thromboserisiko profitieren offenbar von einer verlängerten Thromboseprophylaxe. In der beim ESC-Kongress präsentierten, randomisierten MICHELLE-Studie jedenfalls hatten solche Patienten, die über den Krankenhausaufenthalt hinaus mit Rivaroxaban 10 mg/Tag behandelt wurden, einen deutlich günstigeren Krankheitsverlauf als Patienten ohne verlängerte Thrombosepropyhlaxe.

„Wir glauben, dass die Schutzwirkung echt ist“

Studienautor Prof. Eduardo Ramacciotti zeigte sich beim ESC überzeugt von der Aussagekraft dieses Ergebnisses: „Wir glauben, dass der protektive Effekt der Antikoagulation nach der Hospitalisierung echt ist, trotz der Tatsache, dass die Stichprobengröße so klein gewesen war“, sagte der in São Paulo tätige Mediziner.

„Klein“ heißt in diesem Falle eine Patientenzahl von 320, die im Rahmen der brasilianischen MICHELLE-Studie randomisiert worden ist: Entweder erhielten die COVID-19-Patienten nach der Klinikentlassung eine verlängerte Prophylaxe mit Rivaroxaban 10 mg/Tag oder keine Antikoagulation. 35 Tage nach Entlassung plus/minus 4 Tage wurde bei allen Patienten eine venöse Duplexsonografie und eine CT-Angiografie der Pulmonalarterien vorgenommen.

Kriterien für hohes VTE-Risiko

Voraussetzung für den Einschluss in die Studie war nicht nur ein mind. dreitägiger Krankenhausaufenthalt wegen einer SARS-CoV-2-Infektion, sondern auch ein hohes Thromboserisiko. Zur Beurteilung des Risikos setzen die brasilianischen Studienautoren einen speziellen Score ein: IMPROVE, der sich aus folgenden Faktoren zusammensetzt:

  • zurückliegende venöse Thromboembolie (VTE) (3 Punkte),
  • bekannte Thrombophilie (2 Punkte),
  • Paralyse in den unteren Gliedmaßen (2 Punkte),
  • positive Tumoranamnese (2 Punkte),
  • Immobilisierung ≥ 1 Tag (1 Punkt),
  • ICU/CCU-Aufenthalt (1 Punkt),
  • Alter > 60 Jahre (1 Punkt),
  • D-Dimer ≥ 2× oberen Grenzwert (2 Punkte).

≥ 4 Punkte oder 2 bis 3 Punkte im Score plus ein D-Dimer-Spiegel > 500 ng/ml während des Krankenhausaufenthaltes mussten die Patienten vorweisen. Etwa die Hälfte der letztlich berücksichtigten Studienpatienten waren auf Intensivstation (ICU) oder einer „Critical Care Unit (CCU) gelegen. Sie seien also sehr krank gewesen, berichtete Ramacciotti. Kürzlich zurückliegende oder aktive Blutungsrisiken mussten ausgeschlossen sein.

Risiko für primären Endpunkt deutlich reduziert

Unter diesen Voraussetzungen wirkte sich die verlängerte Rivaroxaban-Behandlung tatsächlich positiv auf die Prognose der Patienten aus. So traten Ereignisse des kombinierten primären Endpunktes bei den damit behandelten Patienten während der kommenden 35 Tage nach Klinikentlassung signifikant seltener auf als bei Patienten ohne Antikoagulation. Unter dem primären Endpunkt waren symptomatische VTE, VTE-verursachte Todesfälle, VTE-Nachweise in der venösen Duplexsonografie oder in der CT-Angiografie der Pulmonalarterien, symptomatische arterielle Thromboembolien, Herzinfarkte, nicht hämorrhagische Schlaganfälle, schwerwiegende Extremitätenereignisse sowie kardiovaskuläre Todesfälle zusammengefasst; dazu kam es bei 9,43% in der Kontroll- vs. 3,14% in der Rivaroxaban-Gruppe. Das entspricht einer relativen Risikoreduktion von 67% (RR: 0,33; p=0,03) und einer Number Needed to Treat von 16.

Schwerwiegende Blutungen gab es in keiner der beiden Studienarme. Die Ergebnisse waren konsistent in allen Subgruppen.

Aber: Wie relevant waren die Ereignisse?

Im Anschluss an die Studienpräsentation sprach der Vorsitzende der ESC-Session, Dr. Jean-Claude Tardif, den sehr weit gefassten primären Endpunkt der Studie an. Darin seien klinische Ereignisse wie Bildgebungsmarker enthalten, registrierte der Kardiologe aus Montreal etwas verwundert, und richtete an Ramacciotti die Frage, wie viele der aufgetretenen Ereignisse tatsächlich klinisch relevant gewesen waren. „Zwei Drittel der Ereignisse in der Kontrollgruppe waren symptomatische“, machte Ramacciotti deutlich. In der aktiven Rivaroxaban-Gruppe seien es ein Drittel gewesen, fügte er zum Vergleich hinzu. Wie der brasilianische Wissenschaftler ausführte, ist der Unterschied im primären Endpunkt vor allem durch Lungenembolien hervorgerufen worden. In der Kontrollgruppe habe es drei Todesfälle wegen Lungenembolien gegeben, berichtete er.

Literatur

Ramacciotti E: The Michelle trial: Medically Ill hospitalized Patients for COVID-19 THrombosis Extended ProphyLaxis with rivaroxaban ThErapy, Late Breaking Trials - COVID-19, ESC Congress 2021 – The Digital Experience, 27. bis 30. August 2021

Neueste Kongressmeldungen

Welcher Faktor determiniert das Herzrisiko unter einer Statintherapie?

Bei Patienten, die bereits Statine zur Lipidsenkung erhalten, sind im CRP-Wert sich widerspiegelnde Entzündungsprozesse ein stärkerer Prädiktor für künftige kardiovaskuläre Ereignisse als das LDL-Cholesterin, zeigt eine umfangreiche Metaanalyse.

Hypertrophe Kardiomyopathie kein Argument gegen Sport

Wer an einer hypertrophen Kardiomyopathie leidet und regelmäßig Sport mit Belastungen über 6 MET betreibt, riskiert damit keine arrhythmischen Komplikationen, so das Ergebnis einer großen prospektiven Studie. Eine Voraussetzung muss jedoch erfüllt sein.

Herzinsuffizienz: Erinnerungstool fördert MRA-Verschreibung

In der BETTER-CARE-HF-Studie wurden zwei Systeme getestet, die Ärzte und Ärztinnen darüber benachrichtigen, welche ihrer Herzinsuffizienzpatienten für eine MRA-Therapie geeignet sind. Eines davon war besonders erfolgreich beim Erhöhen der Verschreibungsrate.

Neueste Kongresse

ACC-Kongress 2023

Der diesjährige Kongress der American College of Cardiology (ACC) fand vom 4.-6. März 2023 in New Orleans statt. In diesem Dossier finden Sie die wichtigsten Studien und Themen vom Kongress.

DGK.Herztage 2022

Vom 29.9.-1.10.2022 finden die DGK.Herztage in Bonn statt.

TCT-Kongress 2022

Hier finden Sie die Highlights der Transcatheter Cardiovascular Therapeutics (TCT) Conference 2022, der weltweit größten Fortbildungsveranstaltung für interventionelle Kardiologie. 

Highlights

Hätten Sie es erkannt?

Linker Hauptstamm in der CT-Angiographie eines 80-jährigen Patienten vor TAVI. Was fällt auf?

Myokarditis – eine tödliche Gefahr

In der vierten Ausgabe mit Prof. Andreas Zeiher geht es um die Myokarditis. Der Kardiologe spricht über Zusammenhänge mit SARS-CoV-2-Infektionen und COVID-19-Impfungen und darüber, welche Faktoren über die Prognose entscheiden.

Aktuelles und Neues aus der Kardiologie

Subklinische Atherosklerose steigert Infarkt-Risiko enorm

Selbst wenn Menschen noch keine Beschwerden haben, geht der Nachweis einer subklinischen Atherosklerose in der CT-Angiografie mit einem erhöhten Infarkt-Risiko einher. Dabei spielen nicht nur nachweisbare Stenosen, sondern auch bestimmte Plaquecharakteristika eine Rolle.

Sind renoprotektive Therapien bei Herzinsuffizienz ohne protektiven Nutzen?

Vier bei Herzinsuffizienz empfohlene Wirkstoffklassen haben bei Patienten mit Typ-2-Diabetes renoprotektive Wirkung bewiesen. In Studien bei Herzinsuffizienz ist von günstigen renalen Effekten dieser Wirkstoffe dagegen nicht viel zu sehen. Ein Erklärungsversuch.

Stark erhöhtes Herzrisiko nach Infektionen

Schwere Infektionen erhöhen das kardiovaskuläre Risiko kurzfristig sehr deutlich, legen aktuelle Daten nahe. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil an kardialen Komplikationen könnte demnach auf Infektionen zurückzuführen sein.

Aus der Kardiothek

Hätten Sie es erkannt?

Linker Hauptstamm in der CT-Angiographie eines 80-jährigen Patienten vor TAVI. Was fällt auf?

Rhythmus-Battle: Vom EKG zur Therapie 2

Nicht immer sind EGK-Befunde eindeutig zu interpretieren, und nicht immer gibt es eine klare Therapieentscheidung. In diesem zweiten Rhythmus-Battle debattieren Prof. Lars Eckardt, Prof. Christian Meyer und PD Dr. Stefan Perings über ungewöhnliche EKG-Fälle aus der Praxis. Wie würden Sie entscheiden?

Kardiovaskuläre und ANS-Manifestationen von Covid-19 und Long-Covid

In der Akutphase und auch im weiteren Verlauf kann eine SARS-CoV-2-Infektion eine Herzbeteiligung verursachen. Prof. Thomas Klingenheben gibt einen Update über den aktuellen Wissenstand solcher Manifestationen, und erläutert, was hinter dem Syndrom „Long-COVID“ steckt.

ACC-Kongress 2023 in New Orleans/© pawel.gaul / Getty Images / iStock
DGK.Herztage 2022/© DGK
TCT-Kongress 2022/© mandritoiu / stock.adobe.com
Kardio-Quiz März 2023/© Stephan Achenbach, Medizinische Klinik 2, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Podcast-Logo/© Springer Medizin Verlag GmbH (M)
Rhythmus-Battle 2023/© Portraits: privat
kardiologie @ home/© BNK | Kardiologie.org