Herzinsuffizienz: Ob das Medikament wirkt oder nicht, sagt uns bald die KI?
Ein neuer Maschinenlernalgorithmus hat sich die großen Betablocker-Studien die Herzinsuffizienz vorgenommen – und einige Teilpopulationen identifiziert, die besonders gut oder schlecht ansprechen. Ein zweiter Algorithmus gibt auf Basis des EKG-Prognosen für die Pumpe.
Nicht alle Herzinsuffizienzpatienten sprechen auf Betablocker gleich gut an, das ist kein Geheimnis. Patienten mit erhaltener Ejektionsfraktion (EF) sind ohnehin ein eigenes Kapitel. Aber auch innerhalb der großen Gruppe der Patienten mit Herzinsuffizienz mit reduzierter EF (HFrEF) gibt es Unterschiede. Die Mortalitätseffekte der Betablocker bei der HFrEF beispielsweise gingen in den großen randomisierten Studien in erster Linie auf Patienten zurück, die noch im Sinusrhythmus waren. Wer zu Studienbeginn Vorhofflimmern hatte, profitierte eher nicht.
Aber geht das auch noch etwas genauer? Bei der digitalen ESC-Tagung berichtete Andreas Karwath von der Universität Birmingham über seine Arbeiten im Bereich Maschinenlernen im Rahmen der in Birmingham angesiedelten Forschungsgruppe cardAIc. Konkret ging es um ein Projekt, bei dem Maschinenlernen genutzt wurde, um vorherzusagen, welche HFrEF-Patienten von Betablockern einen Mortalitätsnutzen haben und welche nicht. Die Ergebnisse wurden zeitgleich im Fachmagazin Lancet publiziert.
11 randomisierte Betablockerstudien bildeten Datenbasis
Die Datengrundlage für die Modellentwicklung bildeten elf große doppelblinde, randomisierte Studien zu Betablockern bei der Herzinsuffizienz, in denen die Gesamtmortalität ein wichtiger Endpunkt war. Die gepoolten, patientenindividuellen Daten dieser Studien liegen schon länger im Rahmen der internationalen Betablocker in Heart Failure Collaboration Group vor. Mit diesem Datensatz, der über 18.000 Patienten umfasst, haben die Engländer gearbeitet. Aussortiert wurden Patienten mit HFpEF und mit Schrittmacherarrhythmien sowie mit unvollständigen Datensätzen, sodass am Ende 15.659 Patienten übrigblieben. 82% waren zu Studienbeginn im Sinusrhythmus, 18% hatten Vorhofflimmern. Die Mortalität der Patienten über einen medianen Zeitraum von 1,3 Jahren betrug bei Sinusrhythmus 15,8% und bei Vorhofflimmern 20,4%. So weit, so bekannt.
Die Softwareexperten um Karwath haben die gesammelten Daten dann für eine Modellentwicklung genutzt. Dazu wurden sie zunächst komprimiert und dann mithilfe eines neuronalen Netzwerks geclustert. Ziel war es, mehrere möglichst gut voneinander separierbare Untergruppen zu erhalten, auf Basis diverser klinischer Parameter wie Blutdruck, Herzfrequenz, Alter, Geschlecht, BMI, LVEF, Herzinfarktanamnese und einigen anderen.
Junge Patienten profitieren vielleicht trotz Vorhofflimmern
Diese Clusterung erfolgt getrennt nach Patienten mit Sinusrhythmus und Patienten mit Vorhofflimmern. Insgesamt gab es jeweils sechs Cluster. Am Ende konnten die Wissenschaftler in der Sinusrhythmus-Kohorte ein Cluster identifizieren, das im Mittel keine Absenkung der Mortalität durch Betablocker erreichte. Dabei handelte es sich um eine relativ große Gruppe von Patienten, die älter waren als der Durchschnitt, eine bessere EF hatten und häufiger eine ischämische Kardiomyopathie bzw. einen Herzinfarkt in der Anamnese aufwiesen.
Umgekehrt gab es in der Gruppe der Herzinsuffizienzpatienten mit Vorhofflimmern wiederum eines von sechs Clustern, bei dem die Betablocker signifikant mit einer geringeren Gesamtmortalität korrelierten. Dieses Cluster umfasste junge, oft eher übergewichtige Patienten ohne Myokardinfarktanamnese. Was die klinische Relevanz angeht, gab sich Karwath, selbst kein Arzt, betont vorsichtig. Die Studie, die erste ihrer Art in der Kardiologie, zeige, dass mithilfe von Maschinenlernen Patientenpopulationen identifiziert werden können, die auf Therapien unterschiedlich gut ansprechen. Das könnte irgendwann in der Zukunft klinisch relevant werden, sei es für die Differenzialtherapie, sei es für die Patientenauswahl in klinischen Studien.
Prof. John Cleland vom Imperial College London, einer der europäischen Vordenker im Bereich digitale Kardiologie, betonte, dass aus Korrelationen nicht voreilig kausale Schlüsse gezogen werden dürften. So könnten sich unterschiedliche Cluster beispielsweise in der Compliance unterscheiden, ein Faktor, der nicht separat untersucht wurde. Die Realität sei häufig komplexer als es die simple Auflistung von Einzelfaktoren suggeriere, so Cleland.
Herzinsuffizienz-Prädiktion per 12-Kanal-EKG
Dass Maschinenlernalgorithmen künftig enger mit klinisch tätigen Ärzten kooperieren könnten. Dafür sprechen auch die Ergebnisse eines zweiten Projekts der Birminghamer KI-Forscher, das ebenfalls beim ESC-Kongress vorgestellt wurde. Victor Roth Cardoso berichtete über einen prädiktiven Algorithmus, der anhand routinemäßig erstellter 12-Kanal-EKGs die Wahrscheinlichkeit angibt, dass der Betreffende in unterschiedlichen Zeitfenstern eine Herzinsuffizienzdiagnose erhält. Es ist nicht der erste Algorithmus dieser Art, an der US-Universität Stanford wurde ein ähnliches Tool entwickelt. Die Arbeiten aus Birmingham wie auch Stanford deuten darauf hin, dass EKG-basierte Algorithmen ein Herzinsuffizienzrisiko zuverlässiger beschreiben als gängige klinische Parameter.
Die Engländer konnten in ihrem Projekt jetzt zusätzlich zeigen, dass die Kombination aus einem EKG-basierten KI-Algorithmus und aus bekannten klinischen Risikoparametern hinsichtlich der Risikoprädiktion besser abschneidet als das eine oder das andere allein. Und sie nutzten eine externe Validierungskohorte, bei der EKGs eines anderen Herstellers und einer anderen EKG-Frequenz – 1 kHZ statt 500 Hz – zum Einsatz kamen. Auch hier waren die Ergebnisse reproduzierbar, was darauf hindeutet, dass zumindest dieser Algorithmus auf andere klinische Kontexte übertragbar sein könnte. Ein Problem vieler Prädiktionsalgorithmen bisher ist, dass sie deutlich unzuverlässiger werden, wenn sie in anderen Einrichtungen als jenen eingesetzt werden, in denen sie trainiert wurden.
Literatur
Karwath A et al. Redefining β-blocker response in heart failure patients with sinus rhythm and atrial fibrillation: a machine learning cluster analysis. The Lancet 2021. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)01638-X
Late Breaking Science in Artificial Intelligence and Digital Health. ESC Congress 2021 – The Digital Experience, 27. bis 30. August 2021