Alternativer Radialis-Zugang kann seine vermeintliche Stärke nicht bestätigen
Von einem alternativen Zugangsweg über die distale A. radialis (dTRA) erhofft man sich eine Reduktion von Radialisverschlüssen. In einer großen randomisierten Studie hat sich diese vermeintliche Stärke der dTRA aber nicht bestätigen lassen. Trotzdem, so der Studienautor, gebe es Argumente für die Verwendung des neuen Zugangsweges.
Überraschenderweise hat der dTRA-Zugang eine ihm zugesprochene Stärke in einer großen randomisierten Multicenterstudie nicht bestätigen können. In der jetzt beim EuroPCR-Kongress präsentierten DISCO RADIAL-Studie führte eine Zugangslegung über die distale A. radialis zu keiner signifikanten Reduktion von A. radialis-Verschlüssen (RAO) im Vergleich zum konventionellen transradialen Zugangsweg. Wie Studienautor Dr. Adel Aminian beim Kongress berichtete, war die RAO-Rate im Allgemeinen „sehr sehr gering“, ohne dass sich dabei ein signifikanter Unterschied zugunsten des dTRA nachweisen ließ.
Generell sehr niedrige RAO-Rate
„Die Ergebnisse der großen internationalen, multizentrischen, randomisierten, kontrollierten DISCO RADIAL-Studie zeigen vergleichbar niedrige Raten von Unterarm-RAO mit dem distale A. radialis-Zugang und mit dem konventionellen transradialen Zugang“, fasste der in Brüssel tätige Kardiologe zusammen. So ließ sich bei 0,31% der via dTRA punktierten Patientinnen und Patienten vor Entlassung aus dem Krankenhaus in der Dopplersonografie ein Radialisverschluss im Unterarm nachweisen (primärer Endpunkt). In der Gruppe mit konventionellem Radialiszugang betrug die RAO-Rate in der Intention-to-Treat-Analyse 0,91% (p= 0,29).
dTRA reduzierte RAO-Rate in früheren Studien
Dieses Ergebnis ist insofern überraschend, da sich durch Einsatz der dTRA in bisherigen Studien das Risiko für RAO im Vergleich zum konventionellen transradialen Zugang deutlich reduzieren ließ. In einer Ende 2021 veröffentlichten randomisierten Studie etwa sank das relative Risiko für Radialisverschlüsse nach Anwendung des alternativen Zugangsweges um 53,2%. Auffällig ist, dass die RAO-Rate bei Einsatz des konventionellen Radialiszugangs in der zurückliegenden Studie mit 7,9% deutlich höher war als in der jetzt vorgestellten DISCO RADIAL-Studie.
Auch unter physiologischen/anatomischen Gesichtspunkten wäre mit dem dTRA-Zugangsweg eine geringere RAO-Rate eigentlich zu erwarten. Denn im Falle der dTRA wird – statt wie üblich am Unterarm proximal des Handgelenks – weiter distal an der Handoberfläche im Bereich der sog. Tabatiére (auch Snuffbox genannt) oder im ersten Intermetakarpalraum punktiert. In diesem Bereich wiederum befindet sich ein reichhaltiges Anastomosen-Netzwerk, durch das der anterograde Blutfluss im Falle einer Kompression oder eines Gefäßverschlusses aufrechterhalten werden kann.
RAO-Prophylaxemaßnahmen haben offenbar gewirkt
Dass dieser physiologisch plausibel erscheinende Vorteil der dTRA in der DISCO RADIAL-Studie nicht zum Tragen kam, liegt sicherlich auch an den weitreichenden Maßnahmen, die in der Studie angewendet wurden, um Radialisverschlüsse zu vermeiden.
Für die Untersuchung sind 1.307 Patientinnen und Patienten aus 15 Zentren in Europa und Japan, die eine Indikation für eine diagnostische Koronarangiografie und/oder eine perkutane Koronarintervention aufwiesen (STEMI-Patienten ausgeschlossen), 1:1 randomisiert worden: Entweder erfolgte der Eingriff über die dTRA oder über die proximal gelegenere A. radialis. In beiden Gruppen wurden allgemein anerkannte Maßnahmen zur Vermeidung von RAO implementiert, dazu gehörten eine angemessene Antikoagulation, Einsatz von Spasmolytika, Verwendung einer 6F-Schleuse und therapeutische Maßnahmen zur Blutstillung. Alle Operateure in der Studie verfügten über eine umfassende Expertise mit beiden Zugangswegen.
Angesichts der offenkundigen Wirksamkeit der RAO-Prophylaxemaßnahmen spricht sich der Studienautor beim EuroPCR dafür aus, diese als neue obligatorische Referenz in der Praxis zu etablieren. Weitere Studien seien erforderlich, um zu prüfen, ob eine derart strikte Einhaltung der Maßnahmen bei Verwendung des konventionellen transradialen Zugangs auch unter Real World-Bedingungen umsetzbar sei, so der Kardiologe.
Vor- und Nachteile des dTRA
Aminian zufolge gibt es trotz des verfehlten primären Studienendpunktes aber weiterhin Argumente, die für die Verwendung des dTRA sprechen. Fest machte er diese an Ergebnissen sekundärer Endpunkte. Die Hämostase sei einfacher und in kürzerer Zeit erreicht worden, erläuterte der Kardiologe. So vergingen in der dTRA-Gruppe im Schnitt 153 Minuten bis zur Blutstillung, in der Gruppe mit klassischen transradialen Zugang dauerte dies mit 180 Minuten deutlich länger (p ˂ 0,001). Bei den via dTRA punktierten Patienten mussten zudem seltener spezielle Kompressions-Devices angewendet werden (88,0% vs. 99,2%; p ˂ 0,001).
Die Kehrseite des neuen Zugangsweges war – wie schon in früheren Studie – eine relativ hohe Crossover-Rate: Bei 7,4% der ursprünglich zur dTRA randomisierten Patienten entschieden sich die Operateure am Ende doch für den klassischen Radialiszugang. Andersherum lag die Crossover-Rate nur bei 3,5% (p=0,002). Zudem kamen Spasmen der A. radialis bei Punktion der dTRA signifikant häufiger vor (5,4% vs. 2,7%; p˂ 0,015).
Alles in allem sei der Zugang über die distale A. radialis herausfordernder als über die proximal gelegenere A. radialis, der Hämostase-Prozess nach der Prozedur sei bei Einsatz der dTRA aber einfacher, fasste Aminian die Vor- und Nachteile des neuen Zugangswegs zusammen. „Wenn man nicht in der Lage ist, die Best Practice-Maßnahmen zur Vermeidung von Radialisverschlüssen zu implementieren, ist der dTRA eine gute Alternative“, konkretisierte der Kardiologe eine mögliche Indikation.
Literatur
Aminian A: DIStal vs. COnventional RADIAL access for coronary angiography and intervention, EuroPCR 2022, 17. – 20. Mai, Paris