Frühe ASS-Prophylaxe: Viel effektiver als gedacht!

Ergebnisse einer Re-Analyse publizierter Studien werfen ein neues Licht auf die Schlaganfallprophylaxe mit ASS. Danach ist deren vorbeugender Effekt gerade in den ersten Tagen und Wochen nach transitorischen Ischämischen Attacken (TIA) oder leichten Schlaganfällen beträchtlich. Das sei von Relevanz für die Praxis, so die Autoren.

Von Peter Overbeck

 

06.06.2016

Eine nach TIA oder leichtem Schlaganfall sofort begonnene Sekundärprävention mit Acetylsalicylsäure (ASS) scheint klinisch besonders effektiv sein. Dafür sprechen Ergebnisse einer aktuellen Re-Analyse von Daten aus bereits vorliegenden randomisierten kontrollierten Studien.

 

Demnach lässt sich durch die frühe Einnahme von ASS das Risiko für Schlaganfallrezidive in den ersten Wochen nach dem Ereignis mehr als halbieren. Zudem war der Schweregrad neurologischer Schädigungen im Fall wiederholt auftretender ischämischer Insulte deutlich niedriger. Offenbar ist der Nutzen der ASS-Prophylaxe in der Frühphase nach zerebrovaskulären Ereignissen bislang erheblich unterschätzt worden, konstatieren die Autoren der neuen Analyse.

Nutzen bisher als nur moderat eingeschätzt

ASS ist etablierter Bestandteil der antithrombotischen Sekundärprävention nach TIA und ischämischem Schlaganfall. Nach Ergebnissen randomisierter Studien zur ASS-Langzeitprophylaxe ist deren klinischer Nutzen eher moderat, mit einer relativen Abnahme der Risiko für Rezidivereignisse um rund 15% im Vergleich zu Placebo.

 

In Studien bei hospitalisierten Patienten mit akutem Schlaganfall zeigte eine kurzfristige ASS-Prophylaxe Effekte in der gleichen Größenordnung. Eine Arbeitsgruppe um Professor Peter Rothwell aus Oxford wollte diesem Ergebnis aber nicht recht trauen. Immerhin gab es auch Ergebnisse aus Beobachtungsstudien, die für einen deutlich höheren Nutzen von ASS in der Frühphase nach TIA oder Schlaganfall sprachen.

 

Die Gruppe um  Rothwell hat selbst vor Jahren in einer solchen Studie (EXPRESS) zeigen können, dass eine frühzeitige Sekundärprävention mit Plättchenhemmern, Blutdrucksenkern und Statinen das vor allem in den ersten Wochen stark erhöhte Risiko für Schlaganfallrezidive erheblich senken kann. Die Forscher gingen schon damals davon aus, dass die Plättchenhemmung mit ASS den entscheidenden Anteil an der frühen präventiven Wirkung dieses medikamentösen „Cocktails“ hatte.

 

Das galt es aber zu beweisen. Dazu hat Rothwell gemeinsam mit internationalen Kollegen, darunter auch der Neurologe Professor Hans-Christoph vom Klinikum Essen, aktuell die individuellen Patientendaten aus diversen randomisierten klinischen Studien re-analysiert.

 

Die Gruppe wertete dabei Datensätze aus zwölf randomisierten Studien mit insgesamt knapp 16.000 Teilnehmern zur längerfristigen Sekundärprävention mit ASS aus. Zudem wurden Daten von mehr als 40.000 Teilnehmern an drei klinischen Studien zur Therapie bei akutem Schlaganfall analysiert.

Frühe Risikoreduktion um bis zu 70%

Ergebnis: In den ersten sechs Wochen reduzierte ASS das relative Risiko für einen erneuten ischämischen Schlaganfall signifikant um 58% im Vergleich zu Placebo oder Kontrollen (84 Ereignisse bei 8.452 Patienten vs. 175 Ereignisse bei 7.326 Patienten). Die Inzidenz von schweren oder tödlichen Hirninsulten wurde in dieser Zeit um 71% verringert (36 vs. 110 Ereignisse). Am größten war der Benefit in den ersten zwei Wochen. Auch zwischen der 6. und 12. Woche war ein – wenngleich nicht mehr so starker – Effekt von ASS auf ischämische Schlaganfälle zu verzeichnen (48 vs. 72 Ereignisse, relative Risikoreduktion: 40%).

 

Die frühe prophylaktische Wirkung von ASS differierte in Abhängigkeit von der Schwere der zerebrovaskulären Ereignisse (gemessen an der modifizierten Rankin-Skala): Den relativ größten Nutzen hatten Patienten mit TIA oder leichten Schlaganfällen: Nur bei 2 von 6.691 Patienten, die sofort mit ASS behandelt wurden, trat innerhalb der nächsten zwei Wochen ein schwerer oder tödlicher ischämischer Schlaganfall auf, in der Kontrollgruppe waren es 23 Ereignisse bei 5.726 Patienten. Der Unterschied entspricht einer hochsignifikanten relativen Risikoreduktion um 93 %. Bereits am 2. Tag nach Therapiebeginn wurde eine signifikante relative Risikoreduktion um 63% beobachtet. Im Übrigen nahm auch die Zahl der akuten Herzinfarkte signifikant ab (6 vs. 26 Ereignisse).

Auch Schweregrad erneuter Schlaganfälle vermindert

Die frühe ASS-Prophylaxe trug zudem wesentlich zur Verminderung des Schweregrades von zerebrovaskulären Rezidivereignissen bei. Eine zusätzliche Gabe von Dipyridamol hatte dagegen in den ersten zwölf keinen zusätzlichen prophylaktischen Nutzen, erst danach war diese Behandlung mit einer Reduktion vor allem von schweren und tödlichen Schlaganfall-Rezidiven assoziiert.

 

Nach Ansicht der Gruppe um Rothwell haben diese Ergebnisse Implikationen für die Praxis. Sie stützten die generelle Empfehlung, bei Verdacht auf Schlaganfall sofort um medizinische Hilfe nachzusuchen. Dies gelte auch für die TIA, deren Risiken wegen der sich wieder zurückbildenden Symptome von den Patienten häufig unterschätzt würden.

Sofortige ASS-Einnahme empfohlen

Schon bei Verdacht auf TIA oder leichten Schlaganfall sollte sofort eine Behandlung mit ASS eingeleitet werden. Werde damit bis zur Abklärung durch einen Spezialisten gewartet, verstreiche wertvolle Zeit. Nach Auffassung von Rothwell und seinen Kollegen sollten auch die Patienten in Aufklärungskampagnen direkt dazu ermutigt werden, bei Verspüren ungewöhnlicher neurologischer Symptome selbst sofort zu ASS zu greifen.


Literatur

Rothwell P. M. et al.: Effects of aspirin on risk and severity of early recurrent stroke after transient ischaemic attack and ischaemic stroke: time-course analysis of randomised trials,
The Lancet 2016, online 18. Mai 2016 

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