Nachrichten 19.03.2021

Kardiale Biomarker und Bildgebung bei Älteren – diese 10 Punkte sind zu beachten

Bei älteren Menschen sind Testergebnisse oft schwer zu interpretieren, weil die Grenzen zwischen „normal“ und „pathologisch“ verschwimmen. Dies ist auch bei kardialer Biomarker-Diagnostik und Bildgebung zu beachten. Experten haben wichtige Aspekte dazu in einem Review zusammengefasst.  

Im Alter verschieben sich die Grenzen des „Normalen“: Was in jüngeren Jahren bereits pathologisch ist, kann bei älteren Menschen noch normal sein. Altersbedingte Besonderheiten gilt es auch in der kardialen Biomarker- und Bildgebungs-Diagnostik zu beachten, da sonst womöglich die falschen Schlüsse gezogen werden.

Wichtige Aspekte zur kardialen Diagnostik bei Älteren haben US-amerikanischen Fachgesellschaften (The American College of Cardiology, the National Institutes on Aging und die American Geriatrics Society) in einem Review zusammengetragen. Hier ein Auszug der zehn wichtigsten Punkte:

1. Im Alter steigen die Troponin-Werte

Ältere Menschen weisen häufig erhöhte Konzentrationen von hochsensitiven kardialen Troponin (hs-cTn) auf. Dahinter muss nicht zwangsläufig ein Herzinfarkt stecken. Typischer altersbedingte Gründe für eine Troponin-Erhöhung sind ein Abfall der Nierenfunktion, subklinische kardiale Veränderungen und Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes.

„Die Verwendung einer einheitlichen Definition für den ‚Normbereich‘ kann daher bei älteren Erwachsenen potenziell falsch-positive Herzinfarktdiagnosen zur Folge haben“, weisen die Autoren des Reviews um Dr. Daniel Forman hin. Auf der anderen Seite steige die Prätestwahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer KHK mit dem Alter, erörtern die US-Mediziner die diagnostische Herausforderung.

Eine Lösung für dieses Problem könnten ihrer Ansicht nach altersadjustierte Grenzwerte für die 99. Perzentile sein. Bisher wird der Einsatz spezieller, vom Alter abhängiger Grenzwerte in der „Universellen Definition des Myokardinfarktes“ allerdings nicht empfohlen, weil der Nutzen derzeit noch unklar ist. Dabei müsse man auch berücksichtigen, dass über der 99. Perzentil liegende Troponin-Werte kurz- wie längerfristig mit einem erhöhte Aufkommen kardialer Ereignisse assoziiert sind, selbst wenn kein Myokardinfarkt vorliege, geben die Experten zu bedenken.

2. BNP und NT-proBNP sind bei Älteren tendenziell höher

Auch die Spiegel natriuetischer Peptide sind bei älteren Menschen tendenziell höher als bei jüngeren, u.a. bedingt durch die Begleiterkrankungen. Im Gegensatz zum Troponin sind davon vor allem Frauen betroffen. Die Fähigkeit von BNP und NT-pro-BNP zum Rule-in oder Rule-Out einer Herzinsuffizienz sei bei älteren Patienten deshalb vermindert, machen die Experten aufmerksam.

Ihrer Ansicht nach könnte es deshalb Sinn machen, die Rule-in-Grenze in Abhängigkeit des Alters höher zu setzen, um den positiven prädiktiven Wert (PPV) zu erhöhen; dazwischen gebe es dann eine recht große vage Grauzone. In Studien sei der PPV durch entsprechende Schwellenwert-Anpassungen (450 pg/ml für Alter < 50, 900 pg/ml für 50–75 und 1,800 pg/ml für > 75 Jahre) bei älteren tatsächlich mind. genauso gut gewesen wie bei jüngeren Patienten, berichten sie.

Das Problem dabei: Viele Ältere befänden sich dann in dem Graubereich, weil viele intermediäre Werte aufweisen. Diese seien dann entsprechend schwierig zu interpretieren, geben die Experten zu bedenken.

Hilfreich könnte es ihrer Ansicht nach sein, auf die Kinetik zu achten. Liegen die Werte im Vergleich zu einer früheren Messung deutlich höher, kann dies ein Zeichen für eine klinisch relevante Veränderung sein. 

3. Risikostratifizierung im Alter mit gängigen Methoden limitiert

Alter ist einer der wichtigsten kardiovaskulären Risikofaktoren. Und klassische Risikofaktoren büßen im Alter üblicherweise an Aussagekraft ein. „Derzeitige Risikomodelle, die auf ein Zeitfenster von zehn Jahren schauen, sind oft irrelevant für ältere Menschen, die aufgrund einer eingeschränkten Lebenserwartung und persönlichen Vorstellungen von ihrem Lebensende womöglich mehr interessiert sind an ihrem kurzeitigen Risiko (3 bis 5 Jahre)“, fügen die Review-Autoren die Problematik weiter aus.

Wie also sieht bei einem herzgesunden alten Menschen eine geeignete Risikostratifizierung aus? Anstatt nur auf die klassischen Risikofaktoren zu schauen, könnte es laut der Experten Sinn machen, auf Veränderungen bestimmter Biomarker zu achten. So könnten ungewöhnlich starke Anstiege von NT-proBNP und hs-cTn Ausdruck eines „ungesunden Alterns“ sein und mehr über das kurzzeitige KHK-Risiko aussagen. Ein weiterer Ansatz ist z.B. die Kalkbestimmung mittels Koronar-CT. 

Die US-Experten weisen allerdings darauf hin, dass solche neueren Strategien bisher nicht offiziell empfohlen werden. Weitere Studien seien nötig, um herauszufinden, ob diese wirklich zu einer personalisierten Risikobeurteilung bei Älteren beitragen können.

4. Bildgebung kann bei Älteren erschwert sein

Mit dem Alter einhergehende Veränderungen der Körperstatur können die Durchführung kardialer Bildgebungsmethoden erschweren. Patienten mit einer Arthritis, mit Parkinson oder Kyphoskoliose beispielsweise lassen sich womöglich nicht so positionieren, wie es für eine geeignete Bildqualität vonnöten wäre. Kognitive Einschränkungen könnten Kommunikationsschwierigkeiten mit sich bringen.

Darüber hinaus können gerade bei älteren Patienten Situationen vorliegen, aufgrund derer bestimmte Testmodalitäten nicht anwendbar sind. Eine chronische Niereninsuffizienz beispielsweise kann den Einsatz von Kontrastmittel unmöglich machen. Erkrankungen der Speiseröhre könnten die Durchführung einer transösophageale Echokardiografie erschweren. Beim Einsatz von Dobutamin im Zuge eines Stressechos ist das Risiko für Arrhythmien zu beachten. Dipyridamol und Regadenoson bergen vor allem bei älteren Menschen ein Risiko für Hypotensionen oder Bradykardien. Nicht zu vergessen die Strahlenbelastung bei einem CT.

5. Veränderte Echo-Parameter sind im Alter oft physiologisch

Im Alter passt sich das Herz an. Bei hochbetagten Menschen sind gewisse Veränderungen in der transthorakalen Echokardiografie somit aufgrund des hohen Alters normal. Die Herausforderung dabei sei, zwischen für das Alter normalen Anpassungen und abnormaler Auffälligkeiten zu unterscheiden, so die Experten. Typische Veränderungen des Alters sind eine Abnahme der linksventrikulären Volumina und eine Zunahme der linksventrikulären Masse und Dicke. Dadurch resultiere ein altersbedingtes konzentrisches Remodeling, erläutern die Experten.

Ebenfalls charakteristisch im Alter ist eine Abnahme der E/A-Ratio als Ausdruck einer sich verändernden diastolischen Funktion. Im Alter ist eine eingeschränkte Relaxationsfähigkeit des Myokards in gewissen Maßen also normal. Darüber hinaus weisen ältere Patienten häufig eine Verkalkung des Mitralanulus auf, was die Beurteilung der diastolischen Funktion erschweren kann.

Eine häufiger im Alter vorkommende, aber oft übersehende pathologische Ursache für eine diastolische Dysfunktion sind kardiale Amyloidosen.

6. Nuklearmedizinische Techniken können gerade im Alter sinnvoll sein

Der Einsatz einer Single-Photonen-Emissions-Tomografie (SPECT) oder Positronen-Emissions-Tomografie (PET) könnte gerade bei älteren Patienten zur Beurteilung der Myokardfunktion Sinn machen, wenn andere gängige Methoden ein Risiko darstellen. Beispielsweise wird bei Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion (Grad 4/5) eine MRT mit Gadolinum nicht empfohlen, bei Patienten mit Rhythmusstörungen könnte ein Dobutamin-Stressecho – wie bereits erwähnt–  ein Risiko darstellen.

Bei Verdacht auf eine altersbedingte Transthyretin-Amyloidose (Altersamyloidose) kommt der Myokardszintigrafie eine besondere Rolle zuteil. Mit dieser Technik lasse sich die Erkrankung noch vor einem erkennbaren Anstieg der Wanddicke oder diagnoseweisenden EKG-Veränderungen erkennen, erörtern Forman und Kollegen die Vorteile dieser Technik.

7. MRT inzwischen nur noch für wenige Patienten kontraindiziert

Früher stellte eine MRT für Device-Träger meist eine Kontraindikation dar. Mit den neueren Techniken hat sich das geändert, sodass diese Untersuchung in vielen Fällen unter gewissen Vorkehrungen möglich ist. Nicht empfohlen wird eine MRT mit Gadolinum bei Patienten mit einer Niereninsuffizienz von Grad 4 bis 5. Ansonsten gibt es wenige altersbedingte Einschränkungen im Einsatz dieser Bildgebungsmethode.

8. Nutzen einer Koronar-CT als Screeningtool bei Älteren fraglich

Liegen Beschwerden vor, die auf eine KHK hindeuten, lassen sich diese recht schnell und kostengünstig mithilfe eines Koronar-CT abklären. Es gebe bisher aber keine Evidenz aus klinischen Studien, die einen klaren Vorteil der Koronar-CT gegenüber einer Stresstestung (für gewöhnlich mit nuklearer Bildgebung) bei ambulant betreuten, älteren Pateinten mit Brustschmerzen zeigen, erläutern die Experten die derzeitige Studienlage. Gerade bei Älteren könnte ihrer Ansicht nach eine funktionelle Diagnostik Vorteile mit sich bringen, wenn die Patienten beispielsweise im Alltag ihre körperlichen Tätigkeiten zur Vermeidung von Beschwerden eingeschränkt haben.

Für fragwürdig halten die Experten dagegen den Mehrwert einer Koronar-CT bei älteren Patienten als Screeningtool in der Primärprävention. „Der Nutzen bei über 80-Jährigen ist nicht belegt und es ist wahrscheinlich nicht zweckdienlich in Anbetracht der hohen CAC-Prävalenz in dieser Altersgruppe“, erläutern sie ihre Bedenken.

9. Stresstest bei Älteren erfordert oft spezielles Vorgehen

Gerade bei älteren Patienten kann ein Stresstest, wie oben erwähnt, hilfreich sein, um verborgene Beschwerden aufzudecken. Die Interpretation der Ergebnisse ist allerdings oft nicht einfach, weil sie durch atypische Beschwerden, eingeschränkte Belastbarkeit, schon zu Beginn abnormalen EKG-Befunden und Wandbewegungsstörungen und/oder einer reduzierten Bildqualität verfälscht sein können.

Aufgrund der eingeschränkten Belastbarkeit vieler Hochbetagter wichen viele Ärzte oft reflexartig auf eine pharmakologische Stresstestung aus, berichten die Experten. Nichtsdestotrotz hat auch der Belastungstest ihrer Ansicht nach seine Berechtigung. Dieser liefere wahrscheinlich umfassendere klinische Erkenntnisse, erörtern die Mediziner die Vorteile dieser Stresstestmethode. Bei Älteren erfordert dies jedoch oft ein spezielles Vorgehen. So sollte das Belastungsprotokoll idealerweise mit jedem Patienten vorab individuell abgestimmt werden: beginnend mit einem niedrigen metabolischen Äquivalent, und danach, falls erforderlich, langsamen Steigerungsschritten.

10. Nicht nur Alter, sondern auch Patientenwünsche berücksichtigen

Wichtig in allen Belangen ist nicht nur das Alter und die Komorbiditäten der Patienten, sondern auch ihre individuellen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Das Expertengremium plädiert deshalb dafür, Entscheidungen mit dem Patienten gemeinsam zu besprechen und zu treffen – nicht nur bei therapeutischen, sondern auch bei diagnostischen Schritten. Beispielsweise gilt es abzuklären, ob eine Eskalation der Diagnostik mit weiterer Test sinnvoll und erwünscht ist.  

Literatur

Forman D et al. Cardiovascular Biomarkers and Imaging in Older Adults. JACC Council Perspectives; J Am Coll Cardiol 2020;76:1577–94

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