Antidiabetika mit Herzschutzeffekt: Neue Ära der Diabetes-Therapie?
Neue Antidiabetika, die das Herztodrisiko deutlich senken – ist die Bezeichnung Antidiabetikum da noch angebracht? Oder handelt es sich nicht eher um kardiovaskuläre Therapeutika mit Blutzuckersenkung als erfreulichem Begleiteffekt?
Hoffnungen, bei Patienten mit Typ-2-Diabetes durch eine Behandlung mit blutzuckersenkenden Antidiabetika innerhalb überschaubarer Zeiträume kardiovaskuläre Ereignisse substanziell reduzieren zu können, waren lange Zeit äußerst gedämpft. Eher schon machte sich, getrieben nicht zuletzt durch die Kontroverse um den Wirkstoff Rosiglitazon, die Sorge breit, dass diese Therapie in kardiovaskulärer Hinsicht bedenklich sein könnte. Die US-Arzneimittelbehörde FDA verknüpfte deshalb 2008 die Zulassung neuer Antidiabetika mit der Auflage, dass deren kardiovaskuläre Unbedenklichkeit zuvor in Studien nachgewiesen sein müsse.
Es folgte Studie auf Studie, in denen regelmäßig eine „Nicht-Unterlegenheit“ neuer Antidiabetika wie DPP-4-Hemmer und GLP-1-Analoga hinsichtlich ihrer Sicherheit in Relation zur antidiabetischen Standardtherapie zum Ausdruck kam. Schon wurden erste Stimmen laut, die Zweifel an der Sinnhaftigkeit solcher fortgesetzten Sicherheitsprüfungen anmeldeten.
Eine dramatische Wende
Eine dramatische Wende nahm das Geschehen dann im September 2015 mit der Präsentation der EMPA-REG-OUTCOME-Studie, in der der SGLT2-Hemmer Empagliflozin bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko die kardiovaskuläre Mortalität signifikant verringerte. In der jüngst im Detail vorgestellten LEADER-Studie tat es der GLP-1-Agonist Liraglutid dem SGLT2-Hemmer gleich. Und auch der GLP-1-Agonist Semaglutid soll laut Vorankündigung in der SUSTAIN-6-Studie in puncto kardiovaskuläre Ereignisreduktion erfolgreich gewesen sein.
Damit eröffnen sich neue Therapiemöglichkeiten zur Prognoseverbesserung bei Patienten mit Diabetes. Darauf mussten Diabetologen lange warten. Erleichterung und Freude über diese Entwicklung waren etwa bei der Präsentation der LEADER-Ergebnisse, die beim amerikanischen Diabetes-Kongress immer wieder Applaus-Stürme im Auditorium hervorriefen, deutlich zu spüren.
Klar ist, dass die neuen Studienergebnisse nur für jene Patienten von Bedeutung sind, die außer Diabetes auch noch kardiovaskuläre Erkrankungen vorzuweisen haben. Solche Hochrisiko-Patienten bildeten ausschließlich oder ganz überwiegend die Studienkollektive von EMPA-REG-OUTCOME und LEADER.
Blutzuckersenker in neuem Licht
Mit den Ergebnissen beider Studien erscheinen Empagliflozin und Liraglutid in einem neuen Licht: Nicht mehr nur als Blutzuckersenker, sondern als herzwirksame Medikamente ähnlich den Statinen, ACE-Hemmern oder AT1-Rezeptorblockern. In puncto Effektstärke bei der Mortalitätssenkung steht insbesondere Empagliflozin den Statinen kaum nach.
Somit haben wir es mit in der kardiovaskulären Sekundärprävention bei Hochrisiko-Patienten wirksamen Arzneimitteln zu tun, deren Wirkprofil quasi als günstige Begleiteffekte außer einer leichten Blutdruck- und Gewichtreduktion auch die Blutzuckersenkung einschließt. Das macht beide Substanzen außer für Diabetologen auch für andere ärztliche Fachgruppen wie Kardiologen interessant. Ihre klinische Prüfung bei herzkranken Patienten ohne Diabetes mellitus scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Für Empagliflozin ist eine entsprechende Studie bereits angekündigt worden.
Auswirkungen auf die Leitlinien
EMPA-REG-OUTCOME und LEADER werden ob des gezeigten Überlebensvorteil zweifellos die Leitlinien verändern – die Frage ist nur: wie? Dafür, SGLT2-Hemmer und GLP-1-Agonisten im antidiabetischen Therapiealgorithmus nun generell als Substanzen der nächsten Wahl nach Metformin einzustufen, reichen die bei einer selektierten Risikogruppe erzielten Ergebnisse sicher nicht. Auch stehen einer solchen Positionierung noch Unklarheiten bezüglich eines möglichen Klasseneffekts im Weg. Und die nach wie vor ungeklärte Frage nach den Wirkmechanismen macht die Sache auch nicht leichter. Weitere Studiendaten sind also dringend erforderlich.
Empagliflozin und Liraglutid gleichen sich darin, dass sie beide primär die kardiovaskuläre Mortalität verringert haben (um 38% respektive 22%). Die Unterschiede bei den Einzelendpunkten Herzinfarkt und Schlaganfall waren jeweils nicht signifikant. Die leichten Blutdruck- und Gewichtsreduktionen und die relativ geringen Unterschiede beim Blutzucker bieten keine hinreichende Erklärung für die Mortalitätssenkung.
Die Frage nach den Wirkmechanismen
Wo liegen dann die Gründe? So viel lässt sich jetzt schon sagen: Die Wirkmechanismen waren in beiden Studien unterschiedlicher Natur. Das lässt sich schon am zeitlichen Muster der beobachteten klinischen Effekte ablesen: Während in EMPA-REG-OUTCOME die Ereigniskurven bereits nach zwei bis drei Monaten auseinander drifteten, war dies in LEADER erst nach mehr als einem Jahr der Fall. Experten vermuten deshalb, dass Empagliflozin eher über günstige hämodynamische Veränderungen wirksam war, während Liraglutid ähnlich wie Statine primär Basismechanismen der Atherosklerose-Entstehung beeinflusst haben dürfte.
Dies könnte dafür sprechen, dass beide Substanzen synergistisch wirksam sind und sich ihr klinischer Nutzen bei kombinierter Therapie mindestens addiert. Doch auch in dieser Frage hat die klinische Forschung noch viel zu tun. Auf ihre Ergebnisse darf man gespannt sein.
Literatur
Marso S. P. et al.: Liraglutide and Cardiovascular Outcomes in Typ 2 Diabetes, N Engl J Med 2016, online 13. Juni 2016.
Zinman B. et al.: Empagliflozin, Cardiovascular Outcomes, and Mortality in Type 2 Diabetes, N Engl J Med 2015; 373:2117-2128.