Venöse Thromboembolien: Ist NOAK-Therapie von Zuhause sicher genug?
Für Niedrigrisikopatienten mit Beinvenenthrombosen oder Lungenembolien wird eine ambulante Behandlung von den Leitlinien für sinnvoll erachtet. In der Praxis gelebt wird diese Empfehlung einer aktuellen Studie zufolge aber noch nicht. Dabei scheint das Vorgehen sicher zu sein.
Internationale Leitlinien empfehlen, ausgewählte Patienten mit venösen Thromboembolien (VTE) ambulant weiter zu betreuen, wenn sie ein niedriges Komplikationsrisiko aufweisen. Das gilt inzwischen auch für Patienten mit einer Lungenembolie. So empfiehlt die ESC-Leitlinie von 2019 eine vorzeitige Entlassung und ambulante Behandlung einer Lungenembolie für ausgewählte Niedrigrisikopatienten mit einer Klasse II A-Empfehlung.
Empfehlungen im Alltag nicht angekommen
Angekommen sind diese Empfehlungen im Alltag US-amerikanischer Kliniken jedoch noch nicht, wie eine neue Analyse deutlich macht. Im Rahmen der Rekrutierungsphase für die MATH-VTE-Studie, eine pragmatische Real-World-Studie, sind gerade mal 10% der Patienten mit einer in der Notaufnahme diagnostizierten Lungenembolie und 18% mit einer tiefen Beinvenenthrombose für eine Behandlung nach Hause entlassen worden.
Dabei zeigt die Analyse erneut, dass eine ambulante Behandlung mit einem NOAK nach eingängiger Risikostratifizierung für ausgewählte Patienten sicher ist. Ausgewählt heißt in diesem Kontext ein niedriges Komplikationsrisiko nach den modifizierten HESTIA-Kriterien oder dem simplifizierten „Pulmonary-Embolism-Severity-Index“ (sPESI), plus die Einschätzung der behandelten Ärzte (mehr zu diesen Scores lesen Sie in diesem Beitrag).
Ambulante Betreuung für Niedrigrisikopatienten sicher
Insgesamt 1.421 Patienten mit einem entsprechenden Risikoprofil sind für die Studie letztlich rekrutiert worden. Alle Patienten wurden binnen 24 Stunden trotz einer nachgewiesenen Beinvenenthrombose oder Lungenembolie aus dem Krankenhaus entlassen und ambulant entweder mit Rivaroxaban oder Apixaban behandelt.
Innerhalb der kommenden 30 Tage kam es gerade mal bei 1,0% der Patienten zu einem erneuten VTE-Ereignis, das eine Hospitalisierung nach sich zog. 0,8% von ihnen erlitten eine hospitalisierungsbedürftige Blutungskomplikation, darunter nur zwei schwerwiegende (0,1%). Kein Patient ist innerhalb dieses Zeitraumes verstorben.
Die MATH-VTE-Studie zeige eine adäquate Effizienz und Sicherheit einer oralen Antikoagulation-Monotherapie in der Behandlung von Patienten mit tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien in der Notaufnahme, wenn diese ein niedriges Risiko entweder nach den modifizierten HESTIA-Kriterien oder sPESI samt klinischer Beurteilung aufwiesen, schlussfolgern die Studienautoren um Dr. Jeffrey Kline aus ihren Daten.
Als Standard in Betracht ziehen
Wie die US-Mediziner ausführen, sind Ärzte bei Lungenembolie-Patienten prinzipiell besonders vorsichtig mit einer vorzeitigen Entlassung. Eine wesentliche Erkenntnis aus der aktuellen Studie sei nun, dass eine ambulante Behandlung von Patienten mit Lungenembolien genauso sicher ist wie die von Patienten mit tiefen Beinvenenthrombosen. Ihrer Ansicht nach sollte die ambulante Behandlung mit einem NOAK deshalb für beide Fälle – Niedrigrisikopatienten mit Beinvenenthrombosen und Lungenembolien – als Standard in Betracht gezogen werden. „Vor der Entlassung sollten die Patienten eine Risikostraftifizierung erhalten“, betonen sie.
Aber: An der Adhärenz mangelt es
Einen Knackpunkt gibt es allerdings: In der MATH-VTE-Studie war die Nichtadhärenz-Rate nach 30 Tagen mit 8% relativ hoch. Die Patienten hatte entweder gar nicht erst ihre Rezepte eingelöst oder die Medikation gestoppt, ohne mit ihrem Arzt darüber zu sprechen. Eine solche Nichtadhärenz war mit einem deutlich erhöhten Risiko für eine erneute VTE assoziiert (relatives Risiko: 8,3). Die Studienautoren drängen deshalb auf eine bessere Sicherstellung der Adhärenz, u.a. gehöre dazu, den Patienten einen finanziellen Zugang zu den Medikamenten zu sichern.
Die US-Mediziner bezeichnen den Anteil an Patienten, die im Rahmen der Studie nach dem vorgegebenen Protokoll entlassen und ambulant behandelt worden sind, als „enttäuschend“, obwohl das Protokoll an den 33 beteiligten Notaufnahmen eingehend verbreitet und dessen Anwendung propagiert worden sei.
Insgesamt sind in dem Studienzeitraum von 2016 bis 2019 über 10.000 Patienten mit einer VTE in den Notaufnahmen eingetroffen, von denen am Ende 1.421 entsprechend dem Studienprotokoll von Zuhause aus behandelt worden sind. Kline und Kollegen glauben aufgrund dieser Zahlen, dass die ambulante Betreuung solcher Patienten im Alltag noch immer zu wenig zum Einsatz kommt. Denn Studien zufolge wären prinzipiell mehr Patienten dafür geeignet. Bis zu einem Drittel der Patienten mit einer Lungenembolie in der Notaufnahme hätten ein niedriges Risikoprofil, erläutern sie ihre Vermutung.
Die wichtigste Limitierung der aktuellen Studie ist wohl die in jeglicher Hinsicht fehlende Randomisierung. Da es keinen Vergleich gibt, lässt sich deshalb nicht sagen, wie die Ergebnisse mit einem anderen Vorgehen ausgegangen wären.
Literatur
Kline J et al. Monotherapy Anticoagulation to Expedite Home Treatment of Patients Diagnosed With Venous Thromboembolism in the Emergency Department: A Pragmatic Effectiveness Trial. Circ Cardiovasc Qual Outcomes. 2021;14:e007600. DOI: 10.1161/CIRCOUTCOMES.120.007600