Ticagrelor plus ASS: Mehr offene Venengrafts nach Bypass-OP
Eine duale Plättchenhemmung mit Ticagrelor plus ASS beugt Venengraftverschlüssen nach aortokoronarer Bypass-Operation besser vor als ASS allein, ergab jetzt eine Metaanalyse. Die höhere Effektivität hat aber ihren Preis.
Die Vena saphena magna ist nach wie vor das weltweit am häufigsten genutzte Bypassgraft für aortokoronare Bypass-Operationen. Verschlüsse solcher Venengrafts schon im ersten Jahr nach der Operation sind allerdings mit Raten von 10% bis 25% keine Seltenheit.
Eine effektive Präventionsstrategie scheint in diesem Zusammenhang die duale Antiplättchentherapie (DAPT) mit Ticagrelor plus ASS zu sein. Damit lässt sich das Risiko für Venengraftverschlüsse im ersten Jahr nach der Bypass-OP im Vergleich zur alleinigen Prävention mit ASS praktisch halbieren, so das Ergebnis einer neuen Metaanalyse gepoolter Daten aus vier Studien.
Kehrseite der Medaille war allerdings eine signifikante Zunahme von klinisch bedeutsamen Blutungen in der DAPT- im Vergleich zur ASS-Gruppe. Im Hinblick auf Transfusionen oder chirurgische Maßnahmen erfordernde sowie tödliche Blutungen bestand allerdings kein Unterschied zwischen beiden Gruppen.
„Solide Evidenz“ für Risikoreduktion durch Ticagrelor/ASS
Die vier in die Metaanalyse einbezogenen randomisierten kontrollierten Studien (TAP-CABG, DACAB, Popular-CABG, TARGET) hatten zuvor zu uneinheitlichen Ergebnissen geführt. Während etwa in der DACAB-Studie für die Ticagrelor/ASS-Behandlung eine signifikante Reduktion von Venengraftverschlüssen nachgewiesen wurde, erwies sich der Effekt im Vergleich zur alleinigen ASS-Behandlung in der Popular-CABG-Studie nach einem Jahr als nicht signifikant.
Die metaanalytische Auswertung ihrer gepoolten individuellen Patientendaten dieser Studien liefere nun aber „solide Evidenz“ dafür, dass die duale Ticagrelor/ASS-Therapie mit einem signifikant niedrigeren Risiko für Venengraftverschlüsse ein Jahr nach der Bypass-OP einhergehe, schlussfolgern die Autoren der Metaanalyse um Dr. Mario Gaudino, Weill Cornell Medicine, New York Presbyterian Hospital in New York.
An den vier in der Metaanalyse berücksichtigten Studien waren 1.316 Patientinnen und Patienten (14,9% Frauen, 85,1% Männer) mit insgesamt 1.668 implantierten Saphena-Venengrafts beteiligt. Für die primäre Analyse haben Gaudino und seine Mitautoren Daten von 871 Patienten aus drei Studien (TAP-CABG, DACAB, Popular-CABG) herangezogen. Davon hatten 435 nach Zufallszuteilung eine DAPT mit Ticagrelor plus ASS und 436 eine ASS-Monotherapie erhalten.
Inzidenz von "Venengraft-Versagen“ durch DAPT um fast 50% reduziert …
Primärer Endpunkt war die Inzidenzrate für ein „Venengraft-Versagen“ (Verschluss oder Stenose von mehr als 50% in der invasiven Angiografie oder CT-Angiografie) nach einem Jahr, bezogen auf die Gesamtzahl aller Venengrafts. Bei Raten von 11,2% (Ticagrelor/ASS) und 20% (ASS allein) ergab sich für diesen Endpunkt eine signifikante relative Risikoreduktion um 49% in der Ticagrelor/ASS-Gruppe (Odds Ratio, OR: 0,51, 95%-KI: 0,35–0,74; p < 0,001).
Im Hinblick auf den Anteil der Patienten mit „Venengraft-Versagen“ (sekundärer Endpunkt) ergaben sich Raten von 13,2% (Ticagrelor/ASS) versus 23,0% (ASS allein). Auch dieser Unterschied entspricht einer signifikanten relativen Risikoreduktion um 49% durch duale Ticagrelor/ASS-Behandlung (OR: 0,51, 95%-KI: 0,35–0,74; p < 0,001).
… aber Blutungsinzidenz fast um den Faktor 3 höher
Anhand der Kriterien des Bleeding Academic Research Consortium (BARC) klassifizierte Blutungen (BARC-Typ 2,3 oder 5) traten dagegen in der Ticagrelor/ASS-Gruppe deutlich häufiger auf als in der ASS-Gruppe. Bei Raten von 22,1% versus 8,7% war die Inzidenz entsprechender Blutungen in der Gruppe mit der Plättchenhemmer-Kombi nahezu dreimal höher als in der ASS-Gruppe (OR: 2,98, 95%-KI: 1,99–4,47; p < 0,001). Bei ausschließlicher Berücksichtigung von Blutungen des BARC-Typs 3 oder 5 waren die Inzidenzraten jeweils 1,8% in beiden Gruppen gleich (p=0,99).
Auch die Rate für die Gesamtmortalität war in der Ticagrelor/ASS-Gruppe – wenn auch nur numerisch – höher als in der Gruppe mit alleiniger ASS-Therapie (2,1% vs. 0,9%; HR: 2,26, 95%-KI: 0,70–7,35; p=0,17)
Im Unterschied zur DAPT mit Ticagrelor plus ASS war eine Ticagrelor-Monotherapie im Vergleich zur alleinigen ASS-Therapie mit keiner signifikanten Reduktion des Risikos für ein „Venengraft-Versagen“ assoziiert (19,3% vs. 21,7%, OR: 0,86, p=0,44). Auch bezüglich des Blutungsrisikos (BARC-Typ 2,3 oder 5) bestand kein signifikanter Unterschied zwischen beiden plättchenhemmenden Monotherapien (8,9% vs. 7,3%, OR: 1,25; p=0,46).
Plädoyer für individuelle Risikoabwägung
Sollte die DAPT mit Ticagrelor und ASS nach diesen Ergebnissen also künftig allgemeiner Standard zur Gewährleistung offenen Venengrafts nach Bypass-Operationen werden? Dass es dazu kommt, ist angesichts der mit dieser Präventionsstrategie einhergehenden Risiken eher unwahrscheinlich. Die Studienautoren um Gaudino betonen denn auch die Notwendigkeit, die individuellen Risiken eines Patienten für einen Venengraftverschluss, für ischämische Ereignisse und für Blutungen sorgfältig abzuwägen, bevor sich für eine Ticagrelor/ASS-Behandlung zur Prävention von Venengraftverschlüssen entschieden wird.
Literatur
Sandner S. et al.: Association of Dual Antiplatelet Therapy With Ticagrelor With Vein Graft Failure After Coronary Artery Bypass Graft Surgery - A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA 2022, 328 (6):554-562. doi:10.1001/jama.2022.11966