Nachrichten 15.03.2021

Erste „Universelle Definition der Herzinsuffizienz” vorgestellt

Experten aus drei internationalen Fachgesellschaften haben zur als dringlich erachteten Standardisierung jetzt erstmals gemeinsam eine „Universelle Definition und Klassifikation von Herzinsuffizienz“ erarbeitet und publiziert.

Herzinsuffizienz ist weniger eine spezifische Erkrankung als vielmehr ein klinisches Syndrom mit unterschiedlichen Ätiologien und zugrundeliegenden Pathomechanismen. Dementsprechend variable – und damit auch verwirrend – sind die in der wissenschaftlichen Literatur, in Leitlinien sowie in der Praxis gebräuchlichen Definitionen von Herzinsuffizienz.

Standardisierung ist vonnöten, befanden Vertreter der drei mit Herzinsuffizienz befassten Fachgesellschaften Heart Failure Society of America (HFSA), Heart Failure Association der European Society of Cardiology (HFA-ESC) und Japanese Heart Failure Society (JHFS).

Mitte August 2020 kamen deshalb Experten aus 14 Ländern bei einer Video-Konferenz zusammen, um unter dem Titel „Universal Definition and Classification of Heart Failure“ ein Konsensus-Papier zu erarbeiten, das jetzt gleichzeitig im „European Journal of Heart Failure“ und im „Journal of Cardiac Failure“ publiziert worden ist. Als deutsche Experten haben Prof. Stefan Anker aus Berlin und Prof. Michael Böhm aus Homburg/Saar an diesem Dokument mitgewirkt.

Zunächst werden darin aus Sicht der Autoren bestehende Unzulänglichkeiten gängiger Definitionen von Herzinsuffizienz beleuchtet. Bei einigen Definitionen sei der Fokus stärker auf klinische, bei anderen mehr auf hämodynamische Aspekte der Erkrankung gerichtet. Bemängelt wird unter anderem, dass erhöhte Biomarker-Spiegel etwa für natriuretische Peptide zwar diagnostisch von großer Bedeutung seien, in vielen Herzinsuffizienz-Definitionen jedoch fehlten. Für Verwirrung habe etwa der häufig genutzte Begriff „Kardiomyopathie“ gesorgt, für den sehr unterschiedliche Definitionen kursierten.

Einfache und breit anwendbare Definition erarbeitet

Die Expertengruppe schlägt eine neue „universelle Definition“ von Herzinsuffizienz vor, die „einfach, aber begrifflich umfassend, von breiter Anwendbarkeit, prognostischer und therapeutischer Validität und akzeptabler Sensitivität und Spezifität“ sein soll.

Sie lautet: „Herzinsuffizienz ist ein klinisches Syndrom mit aktuell bestehenden oder zuvor aufgetretenen Symptomen und/oder Zeichen, die durch strukturelle und/oder funktionelle kardiale Störungen (wie Auswurffraktion <50%, pathologische Ventrikelerweiterung, E/E’ >15, moderate/schwere ventrikuläre Hypertrophie oder moderate/schwere Herzklappenstenose oder –insuffizienz) verursacht werden“.

Zu Definition zählt darüber hinaus mindestens eines der folgenden zwei Charakteristika:

  • Erhöhte Spiegel für natriuretische Peptide und/oder
  • Objektive Evidenz für eine kardiogene pulmonale oder systemische Stauung auf Basis diagnostischer Verfahren wie Bildgebung (Röntgenthorax oder erhöhte Füllungsdrücke in der Echokardiografie) oder hämodynamischer Messungen (etwa Rechtsherzkatheter, pulmonalarterieller Katheter) in Ruhe oder unter Belastung.

Die vorgeschlagene Einteilung der Herzinsuffizienz-Stadien ist an die derzeitige A/B/C/D-Einteilung in den ACC/AHA-Leitlinien angelehnt. Obwohl Herzinsuffizienz per se als symptomatische Erkrankung definiert ist, schließt die neue Klassifikation auch zwei „prä-symptomatische“ Stadien ein:

Stadium A („at risk“): Patienten mit erhöhtem Herzinsuffizienz-Risiko, aber ohne aktuell bestehende und frühere Symptome oder Zeichen einer Herzinsuffizienz und ohne strukturelle oder durch Biomarker erhärtete Evidenz für eine Herzinsuffizienz.

Stadium B (Pre-heart failure”): Patienten ohne aktuell bestehende und frühere Symptome oder Zeichen einer Herzinsuffizienz, aber mit Evidenz für eine strukturelle Herzerkrankung oder gestörte kardiale Funktion oder erhöhten Spiegeln für natriuretische Peptide.

Stadium C („heart failure“): Patienten mit bestehenden oder früheren Symptomen und/oder Zeichen einer Herzinsuffizienz, die durch strukturelle oder funktionelle kardiale Störungen verursacht werden.

Stadium D („advanced heart failure“): Patienten mit schweren Symptomen und/oder Zeichen einer Herzinsuffizienz in Ruhe sowie wiederkehrenden Hospitalisierungen trotz den Leitlinien entsprechender Behandlung (guideline-directed management and therapy, GDMT), die refraktär oder intolerant gegenüber einer GDMT sind und für Maßnahmen wie Transplantation, mechanische Kreislaufunterstützung oder palliative Therapien in Betracht kommen.

Vier LVEF-basierte Klassen vorgeschlagen

Die derzeit genutzte funktionelle NYHA-Klassifikation wird auch weiterhin als wichtig erachtet, um Symptome und funktionelle Kapazität von Patienten mit symptomatischer (Stadium C) oder fortgeschrittener Herzinsuffizienz (Stadium D) zu charakterisieren.

Eine Änderung schlägt die Expertengruppe bei der anhand der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) vorgenommenen Kategorisierung der Herzinsuffizienz vor. Stärkstes Argument für diese Art der Kategorisierung sei, dass die LVEF eine Gruppe von Patienten definiere, die auf Therapien mit in randomisierten Studien dokumentierter lebensverlängernder Wirkung ansprechen.

Vier LVEF-basierte Herzinsuffizienz-Klassen werden vorgeschlagen:

HF with reduced EF (HFrEF): Herzinsuffizienz mit reduzierter LVEF ≤40%.

HF with mildly reduced EF (HFmrEF): Herzinsuffizienz mit leichtgradig erniedrigter LVEF 41-49%.

HF with preserved EF (HFpEF): Herzinsuffizienz mit erhaltener LVEF ≥50%.

HF with improved EF (HFimpEF): Herzinsuffizienz mit einer LVEF ≤40% zu Beginn, die sich um ≥10 Prozentpunkte verbessert und bei einer zweiten LVEF-Messung >40% beträgt.

Die Autoren der neuen Konsensus-Definition glauben, dass der anhand eines LVEF-Anstiegs als „verbessert” charakterisierten Herzinsuffizienz eine „separate Kategorie” namens „HFimpEF gebührt. Auch nach einer Verbesserung einer zuvor erniedrigten LVEF auf 41% bis 49% respektive ≥50% sollte die Herzinsuffizienz nach ihrer Auffassung nicht als HFmrEF oder HFpEF klassifiziert werden.

Gründe für die Einführung einer neuen „HFimpEF“-Klasse

Der Grund: Selbst bei einem Anstieg der LVEF in den Normalbereich hätte ein eventuelles Absetzen einer den Leitlinien entsprechenden Therapie eine Verschlechterung der Prognose zu Folge, wie sich in der TRED-HF-Studie gezeigt hat. Nach ihren Ergebnissen kommt ein gutes Ansprechen auf die Herzinsuffizienz-Therapie nur einer „Remission“ gleich, nicht aber einer „Heilung“. Eine leitliniengerechte Therapie sollte deshalb auch im Fall einer entsprechenden LVEF-Verbesserung unverändert fortgesetzt werden.

Die Kategorie HFimpEF sollte allerdings nur zur Anwendung kommen, wenn die LVEF-Verbesserung einem Anstieg in den Bereich über 40% entspricht. Erhöht sich die LVEF unter der Therapie beispielsweise von 16% auf 26%, liegt auch weiterhin eine Herzinsuffizienz der HFrEF-Typs vor.


Literatur

Universal Definition and Classification of Heart Failure - A Report of the Heart Failure Society of America, Heart Failure Association of the European Society of Cardiology, Japanese Heart Failure Society and Writing Committee of the Universal Definition of Heart Failure. European Journal of Heart Failure 2021, https://doi.org/10.1002/ejhf.2115

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