Nützt moderne Herzinsuffizienz-Therapie auch ICD-Trägern?
Die heutige medikamentöse Standardtherapie der Herzinsuffizienz bringt auch ICD-Trägern einen erheblichen Überlebensvorteil, legt eine aktuelle Analyse nahe. Die Ergebnisse befeuern die Diskussion, inwieweit es den ICD in dieser Indikation überhaupt noch braucht.
Das Fundament der medikamentösen Herzinsuffizienztherapie besteht inzwischen aus vier Wirkstoffen: Betablocker, MRA, ACE-Hemmer bzw. ARNI und SGLT2-Hemmer. Eine solche Viererkombination kann Studien zufolge die Prognose von Herzinsuffizienzpatienten mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) erheblich verbessern. Sie wird deshalb als Standardtherapie sowohl in den europäischen Leitlinien als auch in den US-amerikanischen Leitlinien empfohlen.
Doch was ist mit Herzinsuffizienzpatienten, die einen ICD zur Primärprophylaxe eines plötzlichen Herztodes implantiert bekommen haben bzw. oder einen CRT mit Defi-Funktion (CRT-D): Profitieren sie ebenfalls von einer solchen modernen, leitliniengerechten Wirkstoffkombination? Abschließend geklärt ist dies noch nicht, auch wenn viele die Frage wahrscheinlich intuitiv mit „Ja“ beantworten würden.
Die meisten Patienten wurden nur mit zwei Medikament behandelt
Bei einer vagen Vermutung wollten es Kardiologinnen und Kardiologen der Universitätsklinik Pittsburgh aber nicht belassen, sie wollten Beweise liefern. Dafür sammelten Dr. Mehak Dhande und Kollegen Daten aller Patientinnen und Patienten, die zwischen 2010 und 2021 in ihrer Klinik einen ICD oder CRT-D zur primärpräventiven Prophylaxe eines plötzlichen Herztodes implantiert bekommen hatten: Insgesamt waren das 4.972 Personen. Anschließend setzten sie die Zahl der verordneten Herzinsuffizienz-Medikamente zum Zeitpunkt der Deviceimplantation mit den 2-Jahres-Überlebensraten in Beziehung.
Entsprechend 5%, 20%, 52% und 23% der ICD/CRT-D-Patienten hatten 0, 1, 2 oder 3–4 leitliniengerechte Wirkstoffe zur HFrEF-Behandlung verschrieben bekommen.
Hohe Medikamentenanzahl mit geringerem Sterberisiko assoziiert
Die Anzahl der verordneten Medikamente war invers mit der 2-Jahres-Sterblichkeit assoziiert, und zwar nach Adjustierung auf potenzielle Störfaktoren wie Alter, Geschlecht, BMI, Begleiterkrankungen usw. und unabhängig davon, ob die Patienten an einer ischämischen oder nicht-ischämischen Kardiomyopathie erkrankt waren. Oder anders ausgedrückt: Je mehr Medikamente die Patienten erhalten haben, desto niedriger war ihr Sterberisiko. Jeder zusätzlich verordnete Wirkstoff brachte eine Risikoreduktion von 36% für ICD-Träger (Hazard Ratio, HR: 0,64; p ˂ 0,001) bzw. eine Reduktion von 30% für CRT-D-Träger (HR: 0,70; p ˂ 0,001).
„Bei allen Patienten mit HFrEF sollte daher das Ziel sein, die maximale Zahl an tolerierbaren leitliniengerechten Medikamenten zu initiieren“, empfehlen die US-Kardiologen angesichts dieser Ergebnisse.
Erneute Diskussion um den Nutzen einer ICD-Implantation
Die Ergebnisse stützen damit aber nicht nur die aktuellen Leitlinienempfehlungen, sie werfen auch eine schon öfters diskutierte Frage auf: Braucht es den ICD in der heutigen Zeit überhaupt noch, wenn die mittlerweile verfügbaren Medikamente derart wirksam sind. Bzw. anders formuliert: Wer braucht den ICD heute noch?
Schon mal vorweggenommen: Die aktuellen Ergebnisse befeuern diese Diskussion nur, sie können sie aber nicht abschließend klären. „Keiner kann diese Frage mit Gewissheit beantworten“, machen auch die Autoren deutlich. Die Antwort darauf hänge aber stark davon ab, wie hoch das Risiko für den plötzlichen Herztod in dieser Patientenpopulation heute noch ist, erörtern sie. Eine dahingehende Bestandsaufnahme lieferte eine 2017 publizierte Analyse. Demzufolge hat die Bedeutung des plötzlichen Herztodes als Todesursache bei chronischer Herzinsuffizienz in den letzten Jahrzehnten tatsächlich abgenommen. In eine ähnliche Richtung weisen auch die 2016 publizierten Ergebnisse der DANISH-Studie: In dieser Studie hat sich der ICD bei Patienten mit nicht-ischämischer Kardiomyopathie nämlich nicht mehr als Lebensretter erwiesen, wenngleich er die Zahl der plötzlichen Herztode signifikant reduzierte.
Arrhythmie-bedingte Herztode sind unwahrscheinlicher geworden
Der Anteil arrhythmisch bedingter Herztode an der Gesamtzahl der Todesfälle scheint bei Herzinsuffizienzpatienten also inzwischen deutlich geringer zu sein als noch vor 20–30 Jahre. Dafür sprechen auch die aktuellen Ergebnisse: Die Häufigkeit arrhythmisch verursachter Todesfällen war sehr gering (51 Fälle von insgesamt 656 Todesfällen), ebenso wie die innerhalb der zwei Jahren abgesetzte Anzahl angemessener ICD-Schocks (bei 112 Patienten, also bei 2,3% aller Patienten).
Angesichts dieser Zahlen sehen es die US-Kardiologen an der Zeit, das Risiko-Nutzen-Verhältnis einer primärprophylaktischen ICD-Implantation bei Herzinsuffizienzpatienten im Kontext einer zeitgemäßen medikamentösen Herzinsuffizienztherapie neu zu evaluieren. Endgültig klären lässt sich das aber nur in randomisierten kontrollierten Studien, die es aktuell nicht gibt.
Bis dahin sollte, wie die US-Kardiologen hervorheben, auf eine angemessene Patientenselektion geachtet werden. Wichtig sei, die Entscheidung gemeinsam mit dem Patienten zu treffen, im Sinne eines „Shared Decision Making“, führen sie an. Als Hilfestellung im Entscheidungsprozess haben Kardiologen der Rochester-Universität im Übrigen erst kürzlich einen Score entwickelt: den MADIT-ICD Benefit-Score (mehr dazu lesen Sie hier).
Literatur
Dhande M et al. Guideline-Directed Medical Therapy and the Risk of Death in Primary Prevention Defibrillator Recipients, J Am Coll Cardiol EP. 2022; https://doi.org/10.1016/j.jacep.2022.05.001