Was es 2022 Neues zum Thema kardiale Arrhythmien gab
Einen wichtigen Beitrag zum Thema Herzrhythmusstörungen hat 2022 die ESC mit aktualisierten Empfehlungen zur Prävention, Diagnostik und Therapie ventrikulärer Arrhythmien und des plötzlichen Herztodes in ihrer Neufassung der Leitlinien geleistet.
Der häufig auf Kammerflimmern zurückzuführende plötzliche Herztod hat noch immer hohen Anteil an den auf kardiovaskulären Erkrankungen beruhenden Todesfällen. Daran will die Fachgesellschaft ESC nicht erst seit heute etwas ändern. Sieben Jahre nach dem zuletzt 2015 erfolgten Update hat sie 2022 die europäischen Leitlinien zu ventrikulären Arrhythmien und zum plötzlichen Herztod auf Basis inzwischen akkumulierter wissenschaftlicher Daten wieder aktualisiert.
In neuen Empfehlungen zum „Basic Life Support“ macht sich die ESC darin unter anderem für eine Verbesserung der Reanimation durch Laien („bystander“) mittels Schulung der Bevölkerung in dafür notwendige Maßnahmen stark. Auch wird ein besserer Zugang zu automatischen externen Defibrillatoren (AED) gefordert, deren Verfügbarkeit an Orten wie Sportstätten, an denen eine erhöhte Häufigkeit von Reanimationsereignissen zu erwarten ist, sicherzustellen sei.
Genetische Testung und kardiale MRT-Bildgebung aufgewertet
Das Wissen über lebensbedrohende Herzrhythmusstörungen infolge genetischer Erkrankungen ist inzwischen gewachsen. Dementsprechend sind genetische Untersuchung auf pathogene Mutationen in ihrer diagnostischen Bedeutung in den neuen ESC-Leitlinien deutlich aufgewertet worden.
Das gilt gleichermaßen für die kardiale MRT-Bildgebung, deren empfohlener Anwendungsbereich erweitert worden ist. So sollte etwa bei nicht anhaltenden ventrikulären Arrhythmien, die nicht mit KHK einhergehen, außer einem Langzeit-EKG nun auch eine kardiale MRT-Untersuchung in Betracht gezogen werden (IIa-Empfehlung).
Änderung bei der primärprophylaktischen ICD-Therapie
Die ICD-Therapie ist weiterhin ein essenzieller Teil der Sekundärprävention des plötzlichen Herztodes. Auch in der Primärprävention bei Patienten mit erhöhtem Risiko für lebensbedrohliche Arrhythmien und plötzlichen Herztod – das sind mehrheitlich Postinfarktpatienten mit hochgradig eingeschränkter Ventrikelfunktion – bleibt ihr Stellenwert unangefochten.
Bei Patienten mit symptomatischer Herzinsuffizienz (NYHA II–III) auf Basis einer dilatativen Kardiomyopathie mit reduzierter Auswurffraktion (LVEF≤ 35%) gibt es bezüglich der primärprophylaktischen ICD-Therapie dagegen eine Herabstufung zu einer IIa-Empfehlung. Grund dafür sind vor allem die Ergebnisse der DANISH-Studie, in der trotz einer deutlichen Reduktion plötzlicher Herztode keine signifikante Senkung der Gesamtmortalität nachgewiesen werden konnte.
Auch Katheterablation gewinnt an Bedeutung
Auch der Stellenwert der Katheterablation ventrikulärer Arrhythmien ist in den neuen ESC-Leitlinien gestärkt worden. So wird diese interventionelle antiarrhythmische Therapie jetzt bei Patienten mit idiopathischen ventrikulären Arrhythmien (Extrasystolen/Tachykardien) aus dem rechtsventrikulären Ausflusstrakt oder dem linken Faszikel als Firstline-Therapie empfohlen (Klasse-I-Empfehlung). Bei KHK-Patienten mit rezidivierenden ventrikulären Tachykardien (VT) unter Dauerbehandlung mit Amiodaron wird der Katheterablation nun Vorrang gegenüber einer medikamentösen Therapieeskalation eingeräumt (Klasse-I-Empfehlung). Auch wird erstmals – allerdings mit Einschränkungen – für den Fall anhaltender hämodynamisch tolerierter monomorpher VT bei Patienten mit KHK und eingeschränkter Pumpfunktion (LVEF ≥ 40%) eine Katheterablation als Alternative zur ICD-Implantation empfohlen (IIa-Empfehlung).
Neue Daten zum Timing der Katheterablation
Über den optimalen Zeitpunkt einer Katheterablation bei ventrikulären Arrhythmien besteht noch immer Unklarheit. Zwei 2022 publizierte randomisierte Studien – PARTITA und die zuvor beim HRS-Kongress präsentierte PAUSE-SCD-Studie – lieferten neue Daten zum Timing dieser interventionellen Therapie. In beiden Studien ist eine frühe Katheterablation erstmals bei Patienten mit ischämischer wie auch nichtischämischer Kardiomyopathie untersucht wurden.
In der kleinen PARTITA-Studie sind 47 Patienten mit ICD-Therapie nach einem ersten ICD-Schock einer rasch in Angriff vorgenommenen Katheterablation oder einer Kontrollgruppe (mit fortgesetzter Standardtherapie) zugeteilt worden. Bezüglich der Mortalität als eine Komponente des primären Endpunktes gab es einen signifikanten Unterschied zugunsten der Katheterablation (0 vs. 8 Todesfälle, p=0,004).
Die Tatsache, dass nur drei Todesfälle auf kardiovaskuläre Ursachen zurückzuführen waren, macht es allerdings schwer, die Ablation als plausible Erklärung für die Mortalitätsreduktion zu verstehen. Die VT-Ablation führte im Übrigen zu einer deutlichen Abnahme von ICD-Schocks als Reaktion auf VT-Rezidive.
In die PAUSE-SCD-Studie waren an Zentren in China, Japan, Korea und Taiwan 121 Patienten mit monomorphen VT und Indikation zur ICD-Implantation aufgenommen und per Randomisierung einer ventrikulären Ablationstherapie oder einer rein medikamentösen Behandlung zugeteilt worden. Die Ablation erfolgte im Schnitt zwei Tage vor der ICD-Implantation.
Kein Unterschied bei der Mortalität
Im Studienverlauf (mediane Follow-up-Dauer: 31 Monate) wurde das Risiko für Ereignisse des primären Studienendpunkts (VT-Rezidive, Klinikaufenthalte aus kardiovaskulären Gründen und Todesfälle) durch die frühe Ablationstherapie signifikant um 42% im Vergleich zur konventionellen medikamentösen Therapie reduziert (p=0,04). Der Unterschied verdankt sich primär einer signifikanten Reduktion von VT-Rezidiven um 49% durch VT-Ablation (p=0,02). Einer Subgruppenanalyse zufolge profitierten vor allem Patienten mit ischämischer Kardiomyopathie oder arrhythmogener rechtsventrikulärer Kardiomyopathie (ARVC) von einer VT-Ablation, dagegen tendierten die Ergebnisse bei Patienten mit nichtischämischer Kardiomyopathie in eine ungünstige Richtung.
Im Gegensatz zu deutlich kleineren PARTITA-Studie wurden in PAUSE-SCD keine nennenswerten Unterschiede bezüglich Mortalität oder Klinikaufenthalte aus kardiovaskulären Gründen beobachtet. Auch nach den beiden neueren Studien bleibt der Effekt einer Katheterablation auf die Sterblichkeit somit weiterhin unklar.
Neue Studien zur Antikoagulation bei Vorhofflimmern
Neues gab es 2022 auch zur oralen Antikoagulation bei Vorhofflimmern. In der Phase-II-Studie PACIFIC-AF ist als innovatives Antikoagulans der Faktor-XIa-Hemmer Asundexian mit dem Faktor-Xa-Hemmer Apixaban bei 755 randomisierten Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern verglichen worden.
Die Ergebnisse bestärken die Hoffnung, mit Wirkstoffen aus der neuen Klasse der Faktor-XIa-Hemmer die orale Antikoagulation im Hinblick auf Blutungen noch sicherer machen zu können. Sie belegen nicht nur eine nahezu komplette In-vivo-Faktor-XIa-Hemmung durch Asundexian. Auch traten Blutungsereignisse des primären Endpunktes (schwerwiegende bzw. klinisch relevante, weniger schwere Blutungen gemäß ISTH-Klassifikation) bei Raten von 0,8% (4/503) versus 2,4% (6/250) unter Asundexian deutlich seltener auf als unter Apixaban.
Rivaroxaban enttäuscht bei rheumatischem Vorhofflimmern
Rheumatische Herzerkrankungen sind vor allem in weniger entwickelten Ländern noch immer ein Problem. In der an Zentren in Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas durchgeführt randomisierten INVICTUS-Studie sollte geklärt werden, ob Rivaroxaban als Antikoagulans bei Patientinnen und Patienten mit rheumatischem Vorhofflimmern und erhöhtem Schlaganfallrisiko (Mitralstenose, linksatrialer Thrombus oder CHA2DS2VASc-Score ≥2) in puncto Wirksamkeit und Sicherheit einem Vitamin-K-Antagonisten (VKA) nicht unterlegen (oder überlegen) ist.
Der Vitamin-K-Antagonist entpuppte sich jedoch in INVICTUS als die bessere Therapieoption. Bei jährlichen Raten von 8,26% (Rivaroxaban) versus 6,46% (VKA) war die Inzidenz von Ereignissen des primären Endpunktes (Schlaganfälle, systemische Embolien, Herzinfarkte sowie Todesfälle aus vaskulärer oder unbekannter Ursache) in der Rivaroxaban-Gruppe relativ um 25% höher als in der VKA-Gruppe. Bezüglich Blutungen gab es keinen Unterschied.
„Der Vitamin-K-Antagonist bleibt die Standardtherapie für Patienten mit rheumatischer Herzerkrankung und Vorhofflimmern“, lautet das Fazit der Studienautoren.
Neues zur Katheterablation bei persistierendem Vorhofflimmern
Zur Aufwertung der MRT-Bildgebung in den neuen ESC-Leitlinien wollen allerdings die enttäuschenden Ergebnisse der 2022 publizierten und zuvor beim ESC-Kongress vorgestellten DECAAF-II-Studie nicht so richtig passen. Ausgangshypothese dieser Studie war, dass sich durch eine Katheterablation, bei der zusätzlich eine MRT-gesteuerte Ablation von fibrosierten Gewebearealen im linken Vorhof vorgenommen wird, Arrhythmie-Rezidive bei Patienten mit persistierendem Vorhofflimmern besser verhindern lassen als durch alleinige Pulmonalvenenisolation (PVI).
Doch die extensivere Ablationsstrategie enttäuschte: Bezüglich der Inzidenz rezidivierender atrialer Arrhythmien zeigte sich keine Überlegenheit im Vergleich zur konventionellen PVI-Strategie. Zudem kam es häufiger zu Komplikationen wie Schlaganfälle. Die DECAAF-II-Ergebnisse sprechen somit gegen eine MRT-gesteuerte Fibroseablation bei persistierendem Vorhofflimmern. Schon vor Jahren war in der STAR-AF-2-Studie der Versuch fehlgeschlagen, durch zwei komplexere Ablationsstrategien die Erfolgsraten bei persistierendem Vorhofflimmern im Vergleich zur alleinigen PVI zu erhöhen.
Und auch die 2022 beim ESC-Kongress vorgestellte CAPLA-Studie zeigt Grenzen der Katheterablation bei persistierendem Vorhofflimmern auf. In dieser Studie ist versucht worden, durch zusätzliche Hinterwandisolation die Rate an Vorhofflimmern-Rezidiven im Vergleich zu alleinigen PVI zu reduzieren. Auch das schlug fehl. Die CAPLA-Ergebnisse sind gerade erst im Fachblatt JAMA veröffentlicht worden.
In CAPLA ist als Energieform bei der Ablation noch Radiofrequenzstrom verwendet worden. Ob mit neueren Verfahren wie Pulsed-Field-Ablation bei persistierendem Vorhofflimmern bessere Ergebnisse zu erzielen sind, muss in Studien noch gezeigt werden.