Herzinfarkt mit 35: Neues Hypercholesterinämie-Screening kann das verhindern
Familiäre Hypercholesterinämie (FH) ist weltweit unterdiagnostiziert. In Deutschland gibt es ausgehend von der Prävalenz mehr als 270.000 Fälle, weniger als 10% sind jedoch bekannt. Rechtzeitig zu behandeln, um schwere Folgen zu verhindern, ist Ziel eines neuen Screenings.
„Familiäre Hypercholesterinämie ist keine Bagatelle, sondern eine schwere Erkrankung, die mit einer verkürzten Lebenszeit einhergeht“, eröffnete Dr. Georg Leipold, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in Regensburg, die Pressekonferenz zu dem neuen Projekt. „Das Risiko für ein Koronarereignis ist bei den Betroffenen 13-fach erhöht, viele sterben als junge Erwachsene daran.“
Die sogenannte VRONI-Studie des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, des Deutschen Herzzentrums München und des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte soll das verhindern: Ein bayernweites, kostenloses und freiwilliges FH-Screening für Fünf- bis Vierzehnjährige im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen U9 bis J1 kann helfen, die Kinder rechtzeitig zu behandeln.
Ärzte können dazu beitragen, FH zu neutralisieren
Kinder- und Jugendärzte können die Teilnahmeerklärung auf myvroni.de herunterladen und erhalten dann Blutabnahmesets und Unterlagen. Sie klären über die Erkrankung auf, bei Einverständnis der Eltern wird dem Kind Blut abgenommen, um das Cholesterin zu messen. Die Proben werden im Deutschen Herzzentrum ausgewertet, bei LDL-Werten über 135 mg/dl folgt eine genetische Untersuchung. Der Arzt erhält pro Kind eine Aufwandsentschädigung von 20 Euro.
Ist der Befund positiv, kann der Arzt entscheiden, ob er die anschließende Therapie selbst begleitet oder das Kind zu einem Kardiologen überweist. Bei Fragen steht das Studienteam zur Verfügung. Um besser mit der Diagnose „chronisch krankes Kind“ umzugehen, wird den Familien eine Schulung angeboten. Mit jedem positiv getesteten Kind kann auch das betroffene Elternteil identifiziert werden. Langfristig soll das Projekt die Diagnostik und Therapiesituation für FH-Patienten verbessern.
„Ein Laborwert ist noch keine Behandlungsindikation“
Praxistipps zur Therapie hatte Prof. Berthold Koletzko, Leiter der Abteilung für Stoffwechsel und Ernährung an der Kinderklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Wir sollten nicht aufgrund einzelner Laborwerte behandeln, sicherer ist, in den folgenden Wochen erneut zu messen“, riet er. Bei Kindern funktioniere eine Therapie besser als bei Jugendlichen, weil sich in der Pubertät die Cholesterinwerte verändern und Lebensstil-Interventionen schwierig seien.
Grundsätzlich ließe sich mit Ernährungsumstellung viel bewirken. „Es gibt jedoch auch Kinder, die nicht darauf ansprechen“, berichtete er. In dem Fall rate er, von Schuldzuweisungen abzusehen und die Strategie zu wechseln. „Eine medikamentöse Therapie empfehlen wir ab acht Jahren, bei großem Leidensdruck, etwa durch einen frühen Herzinfarkt der Eltern, auch früher“, so Koletzko.
Literatur
Pressekonferenz des Deutschen Herzzentrums München. Online-Kick-Off-Meeting zum Auftakt der VRONI-Studie. 16.07.2020.