Große Studie bestätigt: Stärkere Blutdrucksenkung zahlt sich aus
Eine intensivere Blutdrucksenkung auf systolische Werte unter 130 mmHg schützt ältere Patienten mit Hypertonie besser vor kardiovaskulären Ereignissen als eine standardmäßige Senkung auf Werte zwischen 130 und 150 mmHg, zeigt eine große Studie aus China.
Wie tief sollte der Blutdruck bei älteren Menschen mit Bluthochdruck gesenkt werden? Internationale Leitlinien machen dazu unterschiedliche Zielvorgaben. In Europa wird für Hypertonie-Patienten über 65 Jahre ein systolischer Zielblutdruckbereich zwischen 130 und 140 mmHg empfohlen – wenn die Therapie gut vertragen wird.
Chinesische Forscher sahen angesichts disparater Zielwert-Empfehlungen die Notwendigkeit, die Evidenzbasis für die blutdrucksenkende Therapie mit einer neuen großen Studie weiter zu konsolidieren. Bei Hypertonie-Patienten im Alter zwischen 60 und 80 (mittleres Alter: 66 Jahre) Jahren verglichen sie die klinische Wirksamkeit einer aggressiveren Blutdrucksenkung auf systolische Werte zwischen 110 und 130 mmHg mit der einer eher standardmäßigen Senkung in einen Zielbereich zwischen 130 und 150 mmHg.
Blutdruckunterschied um 9,2 mmHg zwischen den Gruppen
Nach einem Jahr betrug der mittlere systolische Blutdruck der Teilnehmer 127,5 mmHg (intensive Behandlung) und 135,3 mmHg (Standardbehandlung). Der Blutdruckunterschied um 9,2 mmHg spiegelte sich im Studienverlauf (medianes Follow-up: 3,3 Jahre) in folgenden Unterschieden bei klinischen Ereignisse wider:
- Die Inzidenzrate für den primären kombinierten Studienendpunkt (Schlaganfall, akutes Koronarsyndrom, dekompensierte Herzinsuffizienz, koronare Revaskularisation, Vorhofflimmern und kardiovaskulärer Tod) war mit 3,5% versus 4,6% (absolute Reduktion um 1,1%) in der Gruppe mit intensiver Therapie relativ um 26% und damit signifikant niedriger als in der Vergleichsgruppe mit Standardtherapie (Hazard Ratio [HR]: 0,74; 95% Konfidenzintervall [KI], 0,60 – 0,92; p=0,007).
- Auch für die Einzelendpunkte Schlaganfall (1,1% vs. 1,7%; HR: 0,67; 95% KI: 0,47 – 0,97), akutes Koronarsyndrom (1,3% vs. 1,9%; HR: 0,67; 95% KI: 0,47 – 0,94) und akut dekompensierte Herzinsuffizienz (0,1% vs. 0,3%; HR: 0,27; 95% KI: 0,08 – 0,98) ergaben sich signifikante Unterschiede zugunsten der intensiveren Blutdrucksenkung.
- Nicht signifikant unterschiedlich waren die Ereignisraten für die Endpunkte koronare Revaskularisation, Vorhofflimmern und kardiovaskuläre Mortalität.
- Im Hinblick auf die therapeutische Sicherheit sowie auf renale Komplikationen bestanden – abgesehen von signifikant mehr Hypotonien in der intensiver behandelten Gruppe – ebenfalls keine wesentlichen Unterschiede.
Nach einem Screening von 9.624 Patienten hatte die chinesische Forschergruppe um Dr. Jun Cai vom Fuwai Hospital in Peking an 42 Zentren in China insgesamt 8511 Patienten mit Hypertonie (systolische Baselinewerte zwischen 140 und 190 mmHg) in die randomisierte kontrollierte STEP-Studie aufgenommen. Davon waren per Zufallszuteilung 4243 der Gruppe mit antihypertensiver Intensivtherapie und 4268 der Gruppe mit Standardtherapie zugeteilt worden.
Als antihypertensive Studienmedikation kamen der AT1-Rezeptorblocker Olmesartan, der Kalziumantagonist Amlodipin und das Thiaziddiuretikum HCTZ zum Einsatz. Gemessen an der – vergleichsweise niedrigen – Prävalenz von Risikofaktoren und vorbestehenden Erkrankungen zu Studienbeginn repräsentieren die STEP-Studienteilnehmer eher eine kardiovaskuläre Low-Risk-Population.
Studienleiter Jun Cai hat die simultan im „New England Journal of Medicine“ publizierte Studie in einer Hot Line-Session beim virtuellen ESC-Kongress 2021 vorgestellt.
Parallelen zur SPRINT-Studie
Die Ergebnisse der STEP-Studie liegen auf gleicher Linie mit denen der viel diskutierten SPRINT-Studie. SPRINT hatte ergeben, dass eine intensive Blutdrucksenkung nach Maßgabe eines systolischen Zielwerts <120 mmHg ausgewählte Risikopatienten mit Hypertonie signifikant besser vor kardiovaskulären Ereignissen und Todesfällen schützt als eine am konventionellen Zielwert <140 mmHg ausgerichtet Therapie.
Dieses Ergebnis gab den Anstoß dazu, dass in den 2017 aktualisierten US-Hypertonie-Leitlinien der allgemeine systolische Zielwert für die Blutdrucksenkung zwar nicht auf das ambitionierte SPRINT-Maß (<120 mmHg), aber zumindest auf <130 mmHg gesenkt und zudem eine neue Hypertonie-Klassifikation etabliert wurde, die alle Blutdruckwerte oberhalb von 130/80 mmHg als „hyperton“ einstuft. Die Autoren der US-Hypertonie-Leitlinien dürften ihre striktere Zielvorgabe durch die neue STEP-Studie bestätigt sehen.
In Europa hatte man sich gegenüber SPRINT reservierter gezeigt. Grund waren nicht zuletzt Zweifel daran, ob die mit der in SPRINT genutzten automatisierten Blutdruck-Messtechnik gemessenen Blutdruckwerte den mittels üblicher manueller auskultatorischer Messung ermittelten Blutdruckwerte entsprechen. Nachfolgende Studien lieferten gute Gründe für diese Zweifel.
Für die Einführung einer niedrigeren unteren Grenze für die Hypertonie-Definition sahen die Autoren der 2018 aktualisierten europäischen Hypertonie-Leitlinien der ESC jedenfalls keinen Grund. Sie nahmen in ihre Leitlinien auch die explizite Empfehlung auf, die systolische Grenze von 120 mmHg bei der Blutdrucksenkung nicht zu unterschreiten. Der in der STEP-Studie definierte Zielbereich für die intensivierte Blutdrucksenkung ist somit bezüglich der unteren Grenze (110 mmHg) streng genommen nicht konform mit den europäischen Hypertonie-Leitlinien.
Plädoyer für individualisierte Anpassung der Therapie
Prof. Bryan Williams vom University College London, einer der Vorsitzenden der Kommission für die Erstellung der europäischen Hypertonie-Leitlinien, plädierte als Diskutant in seiner Würdigung der STEP-Studie für ein pragmatisches und individualisiertes Herangehen an die antihypertensive Therapie bei älteren Hypertonie-Patienten.
Mit zunehmendem Alter, so Williams, nehme auch die „Heterogenität“ der Patienten zu: Bei gleichem Lebensalters seien die einen bereits erkrankt, gebrechlich oder auf Hilfe angewiesen, während andere noch ein aktives und unabhängiges Leben führten. Mit Blick auf diese heterogene Patientenpopulation seien bezüglich der blutdrucksenkenden Therapie nicht nur allgemeine Leitlinien-Empfehlungen gefragt. Notwendig sei auch eine Entscheidungsfindung auf individualisierter Basis mit jeweils angepassten Blutdruckzielen, betonte Williams.
Eine Konsequenz aus der STEP-Studie könne sein, bei Hypertonie-Patienten im Alter über 65 Jahren zunächst eine Blutdrucksenkung auf unter 140/80 mmHg anzustreben, so Williams. Bei vielen Patienten werde aber selbst dieses Blutdruckniveau nie erreicht. Der nächste Schritt könne dann sein, den Blutdruck unter die Schwelle von 130 mmHg zu senken – wenn dies von den Patienten vertragen werde. Am ehesten sei dies noch bei Patienten möglich, die – wie in der STEP-Studie – noch aktiv, weniger gebrechlich und nicht oder nur gering mit Begleiterkrankungen belastet seien, so Williams. Die Verträglichkeit der Therapie sei ein eminent wichtiger Faktor, denn sie determiniere die Einhaltung der Therapievorgaben durch die Patienten.
Literatur
Cai J: STEP Study: intensive vs. standard blood pressure control among older hypertensive patients, Hot Line - STEP Study, ESC Congress 2021 – The Digital Experience, 27. bis 30. August 2021
Weili Zhang et al. Trial of Intensive Blood-Pressure Control in Older Patients with Hypertension. N Engl J Med. 2021, DOI: 10.1056/NEJMoa2111437