Blutdrucknormalisierung bei über 80-Jährigen: Eher schädlich als von Vorteil?

Profitieren relativ alte Menschen, die wegen Bluthochdruck Antihypertensiva einnehmen, von einer Normalisierung ihrer Blutdruckwerte? Eine Studie Berliner Forscher weckt diesbezüglich Zweifel.

Von Peter Overbeck

 

04.03.2019

Blutdrucksenkung bei Menschen mit Hypertonie zählt im Allgemeinen zu den ebenso wichtigen wie unumstrittenen Maßnahmen zur Reduktion des Risikos für Schlaganfälle und Herzinfarkte. Aber profitieren auch betagte Menschen von dieser Risikoreduktion? In einer neuen Studie einer Berliner Forschergruppe war eine Blutdrucknormalisierung  unter medikamentöser Therapie  in dieser Altersgruppe jedenfalls nicht etwa mit einer niedrigeren, sondern mit einer höheren Mortalität assoziiert – ein irritierendes Ergebnis, das im Gegensatz zu den – allerdings relativ spärlichen  – Daten aus randomisierten Studien steht.

 

Der aktuellen Analyse der Gruppe um Dr. Antonios Douros  vom Institut für klinische Pharmakologie und Toxikologie, Charité  – Unversitätsmedizin Berlin, liegen Daten der Berlin Initiative Study (BIS) zugrunde, in die zwischen November 2009 und Juni  2011 insgesamt 1628 Patienten im Alter über 70 Jahre  (mittleres Alter: 81 Jahre) aufgenommen worden waren. Alle Teilnehmer nahmen mindestens  einen Blutdrucksenker ein.

 

Die Nachbeobachtung (im Median 73 Monate) endete im Dezember 2016. Die zu klärende Frage war, ob eine Blutrucknormalisierung unter antihypertensiver Therapie während der Nachbeobachtungszeit mit einer Abnahme des Sterberisikos assoziiert sein würde.

Höhere Sterblichkeit bei normalen Blutdruckwerten

Nur bei einer Minderheit von 636 Teilnehmern (39%) lagen die Blutdruckwerte unter antihypertensiver Therapie im Normalbereich (< 140/90 mmHg), die Mehrheit (61%) hatte dagegen höhere Werte. Im Follow-up-Zeitraum  der Studie (8853 Personenjahre) starben 469 Teilnehmer. Entgegen den Erwartungen  waren normalisierte Blutdruckwerte im Vergleich zu nicht normalisierten  Werten mit einer relativ um 26% höheren Gesamtsterblichkeit assoziiert (Inzidenzraten: 60,3 vs. 48,5 pro 1000 Patienten/Jahr; Hazard Ratio  1,26; 95% CI 1,04–1,54).

 

Eine Stratifizierung der Teilnehmer nach Alter und Vorerkrankung offenbarte, dass das Risiko nicht gleich verteilt war. Ein erhöhtes Sterberisiko hatten demnach zum einen Patienten, die älter als 80 Jahre waren (Inzidenz 102,2 vs. 77,5 5 pro 1000 Patienten/Jahr; HR 1,40; 95% CI 1,12–1,74) sowie Patienten mit kardiovaskulären Ereignissen in der Vorgeschichte  (Inzidenz 98,3 vs. 63,6 pro 1000 Patienten/Jahr; HR 1,61; 95% CI 1,14–2,27).  Triebkraft für die Risikoerhöhung bei Älteren waren vor allem systolische Werte <130 mmHg.

Keine Risikozunahme bei 70- bis 79-Jährigen

Nicht erhöht war das Risiko im Fall normalisierter Blutdruckwerte hingegen bei jüngeren Patienten  im Alter zwischen 70 und 79 Jahre  (Inzidenz 22,6 vs. 22,7 pro 1000 Patienten/Jahr; HR 0,83; 95% CI 0.54–1.27) sowie bei  Patienten ohne stattgehabtes kardiovaskuläres Ereignis (Inzidenz: 45,2 vs. 44,4 pro 1000 Patienten/Jahr; HR 1,16, 95% CI 0,90–1,48).

 

Nach diesen Ergebnissen scheint ein normalisierter Blutdruck im höheren Alter nicht allen Patienten gleichermaßen zum Vorteil zu gereichen. Während eine Normalisierung in der Altersgruppe der 70- bis 79-Jährigen mit einer tendenziellen Abnahme der Mortalität einherging, war bei den über 80-Jährigen und bei den älteren Patienten mit durchgemachten kardiovaskulären Ereignissen eine Risikoerhöhung um 40% respektive 61% und zu beobachten.

 

Die Kurve für die Assoziation von systolischem Blutdruck und Mortalität nahm dabei einen U-förmigen Verlauf – mit einer Risikozunahme  sowohl bei zunehmend niedrigen als auch höheren Blutdruckwerten. Dies bestätige Ergebnisse anderer Beobachtungsstudien mit kürzerer Laufzeit als BIS bei älteren Patienten unter antihypertensiver Therapie, so Douros und seine Mitautoren.

Ergebnisse konträr zu denen randomisierter Studien

Nicht im Einklang stehen die BIS-Ergebnisse hingegen mit denen der wenigen vorliegenden randomisierten Studien (HYVET und eine Substudie der SPRINT-Studie) bei alten Hypertonie-Patienten. Sowohl in der HYVET-Studie (Zielblutdruck 150/80 mmHg) als auch in der SPRINT-Studie (systolischer Zielblutdruck <120 mmHg) führte die Blutdrucksenkung bei über 80-jährigen (HYVET) respektive über 75-jährigen Patienten (SPRINT) jeweils zu einer Abnahme der Mortalität.

 

Douros und seine Mitautoren werfen allerdings die Frage nach der Übertragbarkeit der HYVET- und SPRINT-Ergebnisse auf den realen Praxisalltag auf. So sei die Follow-up-Dauer beider Studien  relativ kurz gewesen, zudem seien Patienten  mit bestimmten Begleiterkrankungen wie Schlaganfall in der Vorgeschichte oder Herzinsuffizienz von der Studienteilnahme ausgeschlossen gewesen.

 

FAZIT: Definitive Empfehlungen zur Blutdrucksenkung bei alten Menschen mit Bluthochdruck gibt die derzeitige Studienlage nicht her. Während die spärlichen randomisierten Studien  eher für eine solche Therapie sprechen, nähren die aktuellen BIS-Daten den Verdacht, dass Blutdruckwerte unter 140/90 mmHg im Praxisalltag bei Patienten im Alter über 80 Jahren oder bei alten Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen prognostisch von Nachteil sein könnten. Somit kann über das Für und Wider einer Blutdrucksenkung in dieser Altersgruppe derzeit nur auf Basis einer individuellen Nutzen/Risiko-Abschätzung entschieden werden.


Literatur

Douros A. et al.: Control of blood pressure and risk of mortality in a cohort of older adults: the Berlin Initiative Study. Eur Heart J 2019; https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehz071

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