Sartane und Krebsrisiko: Metaanalyse heizt Diskussion erneut an

Eine neue Metaanalyse nährt den Verdacht, dass Sartane zumindest bei längerfristiger Einnahme die Entwicklung von Krebserkrankungen begünstigen könnten. Ein deutscher Experte meldet in einem Kommentar aber Zweifel an der Stichhaltigkeit der Ergebnisse an.

Von Peter Overbeck

 

07.03.2022

Eine aktuell publizierte Metaanalyse bringt neuen Zündstoff in die schon länger anhaltende Debatte über eine mögliche Kanzerogenität von AT1-Rezeptorantagonisten (ARB, Sartane). Nach ihren Ergebnissen nimmt mit zunehmender Dauer der Exposition gegenüber Wirkstoffen wie Candesartan, Losartan oder Telmisartan vor allem das Risiko für Lungenkarzinome zu. Allerdings sind wichtige Limitierungen der Analyse zu beachten.

 

Der türkische Kardiologe Dr. Ilke Sipahi von der Acibade University Medical School in Istanbul, der die neue Metaanalyse diesmal im Alleingang durchgeführt hat, hat bereits 2010 gemeinsam mit Kollegen eine Metaanalyse zum gleichen Thema vorgelegt und damit für Diskussionsstoff gesorgt. Basis der damaligen Analyse bildeten fünf Sartan-Studien (n=61.590) mit Daten zu neu diagnostizieren Krebserkrankungen sowie acht Sartan-Studien (n=93.515) mit Daten zur krebsbedingten Mortalität. Festgestellt wurde eine Assoziation der Sartan-Therapie (dominierender Wirkstoff in den Studien war Telmisartan) mit einem moderat erhöhten Risiko für neu diagnostizierte maligne Erkrankungen (7,2% vs. 6,0%, risk ratio, RR: 1,08; 95%-KI: 1,01–1,15; p=0,016).

 

In einer Nichtunterlegenheitsstudie verglichen Prof. Stuart Ennis von der Universität Warwick in Coventry und sein Team die Wirksamkeit und Sicherheit beider Varianten. Die 158 Teilnehmenden, 133 davon männlich, waren in zwei britischen Kliniken am Herzen operiert worden. Nach der Sternotomie wurden sie 1:1 randomisiert und erhielten jeweils ein zweimal wöchentliches Training über acht Wochen, das entweder standardmäßig sechs Wochen nach dem Eingriff startete oder bereits vier Wochen früher.

FDA fand keine Anhaltspunkte für Risikozunahme

Als Reaktion auf die Metaanalyse hat dann die US-Gesundheitsbehörde FDA eigene Untersuchungen eingeleitet. Eine internationale Expertengruppe, die ARB Trialists Collaboration, legte zudem 2011 eine eigene Metaanalyse vor, die auf Daten aus 15 Sartan-Studien mit 138.769 beteiligten Patienten basiert. Die FDA wie auch die ARB Trialists Collaboration kamen bei ihren Analysen zu dem Ergebnis, dass kein Grund zur Annahme eines mit AT1-Rezeptorantagonisten assoziierten erhöhten Krebsrisikos bestehe.

 

Sipahi ist allerdings der Meinung, dass in beiden Fällen die graduelle kumulative Exposition gegenüber Sartanen zu wenig berücksichtigt worden sei. Durch Hereinnahme von Studien, in denen Sartane in niedriger Dosierung und über relativ kurze Zeit verabreicht wurden, seien die Metaanalysen bezüglich des Zusammenhangs von Sartanen und Krebserkrankungen möglicherweise verwässert worden.

15 randomisierte Studien als Datenbasis

Deshalb hat Sipahi nun erneut eine Metaanalyse vorgenommen, die sich auf die schon für die Analyse der ARB Trialists Collaboration herangezogenen 15 randomisierten kontrollierten Studien stützt. Sein besonderes Augenmerk galt dabei der Frage, ob sich ein Zusammenhang zwischen dem Grad der Sartan-Exposition – festgemacht an der Intensität der Dosierung und der Dauer der Behandlung – und dem Auftreten von Krebserkrankungen nachweisen lässt.

 

Von den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern hatten 74.021 nach Zufallszuteilung eine Behandlung mit Sartanen erhalten. Die gesamte kumulative Exposition gegenüber Sartanen in hoher täglicher Dosierung belief sich dabei auf 172.389 Personenjahre. Weitere 61.197 Patienten waren den Kontrollarmen der Studien zugeteilt worden.

Zusammenhang zwischen gradueller Exposition und Risiko

Die Analyse Sipahis ergab eine signifikante Korrelation zwischen dem Grad der kumulativen Exposition gegenüber Sartanen und dem Risiko sowohl für jegliche Krebserkrankungen (slope = 0,07; 95%-KI: 0,03–0,11, p<0,001) als auch für Lungenkarzinome (slope = 0,16; 95%-Kl: 0,05–0,27], p = 0,003).

 

In Studien, in denen die Dauer der Exposition gegenüber hohen täglichen Sartan-Dosierungen länger als drei Jahre war, war eine signifikante Zunahme von jeglichen Krebserkrankungen zu verzeichnen (I2 = 31,4%, RR: 1,11; 95%-KI: 1,03–1,19; p=0,006). Einen signifikanten Anstieg des Risikos für Lungenkarzinome stellte Sipahi bei einer Dauer der Exposition von mehr als 2,5 Jahren fest (I2 = 0%, RR: 1,21; 95%-KI: 1,02–1,44; p = 0,03). Bei einer niedrigeren kumulativen Exposition ließ sich dagegen kein Zusammenhang mit einem erhöhten Krebsrisiko nachweisen.

Kein Zugriff auf individuelle Patientendaten

Eine auch von Sipahi eingeräumte wichtige Limitierung der Metaanalyse ist, dass dabei nur auf aggregierte Studiendaten (trial-level data), nicht aber auf die Studienrohdaten (individual patient-level data) zurückgegriffen werden konnte. Das macht es unmöglich, etwa für den Effekt von Einflussfaktoren wie Alter oder Rauchen zu adjustieren. Experten fordern schon seit längerem, dass Gesundheitsbehörden wie FDA und EMA, die Zugang zu den individuellen Patientendaten haben, durch entsprechende Analysen endlich zur definitiven Klärung in Sachen Kanzerogenität von Sartanen beitragen sollten.

 

Kommentar von Prof. Felix Mahfoud, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar

Konsequente Blutdrucksenkung den Patienten nicht vorenthalten!

Die Metaanalyse von Sipahi hat den Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Angiotensinrezeptorblockern (ARB) und dem Auftreten von Krebsfällen untersucht. Hierfür wurden 15 randomisierte kontrollierte Studien mit 74.021 Patienten analysiert, die mit einem ARB behandelt worden sind. Hierbei handelte es sich nicht ausschließlich um Hypertoniestudien, sondern auch um Studien zur Herzinsuffizienz oder Diabetes. Nach einer dreijährigen Therapie mit hochdosierten ARB zeigte sich eine erhöhte Krebsrate (relatives Risiko, RR: 1,11, p=0,006).

 

Bei der Interpretation muss an die methodischen Limitationen dieser und anderer Analysen gedacht werden, wie zum Beispiel das Fehlen individueller Patientendaten. Nur so kann für Confounder adjustiert werden, wie beispielsweise Nikotinkonsum, familiäre Disposition, Alter, Geschlecht usw.

 

In den letzten Jahren ist es zu einer großen Verunsicherung hinsichtlich der Sicherheit von Antihypertensiva in Bezug auf eine potenzielle Kanzerogenität, vor allem von ACE-Hemmern und Hydrochlorothiazid gekommen. Diese Verun­sicherung bei der Verordnung von sehr häufig verwendeten Antihypertensiva wie ACE-Hemmer, ARB und Hydrochlorothiazid ist aus Beobachtungsstudien bzw. Registern entstanden, die wichtig für die Pharmakovigilanz sind, jedoch keine kausalen Beziehungen herstellen können.

 

In einer anderen, sehr großen und methodisch gut gemachten Metaanalyse wurden die Daten von 32 randomisierten Studien mit insgesamt 261.000 Bluthochdruckpatienten Daten individuell ausge­wertet (Copland E et al. Lancet Oncol. 2021;22: 558-570). In den randomisierten Studien mit mindestens 1.000 Patientenjahren Nachbeobachtung wurden ACE-Hemmer, ARBs, Betablocker, Kalzium­kanalblocker und Thiazide untersucht. Über ein medianes Follow-up von 4,2 Jahren konnten insgesamt 15.012 Krebsereignisse dokumentiert werden.

 

Egal ob im Vergleich zu Placebo oder einer jeweils anderen Wirkstoffklasse, es konnte keine Risikoerhöhung für irgendeine Tumorart festgestellt werden, weder für Brust-, Kolorektal-, Lungen-, Prostata- oder Hautkrebs. Keine der untersuchten Wirkstoffklassen hatte einen wesentlichen Einfluss auf die krebsbedingte Sterblichkeit. In dieser großen, methodisch gut gemachten Metaanalyse zeigte sich keine überzeugende Evidenz für ein erhöhtes Karzinomrisiko unter einer Therapie mit Erstlinien-Antihypertensiva (ACE-Hemmer, ARBs, Betablocker, Kalziumkanalblocker und Thiazide).

 

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Datenlage für eine potenzielle Kanzerogenität von Antihypertensiva ist nicht überzeugend. Bei der Behandlung von Hypertoniepatienten muss bedacht werden, dass eine konsequente Blutdrucksenkung ohne Zweifel mit einer Reduktion von schwerwiegenden  kardiovaskulären Ereignissen, wie Schlaganfall, Herzinfarkt und Tod, einhergeht und daher Patienten wegen fraglicher Sicherheitsbedenken nicht vorenthalten werden darf.


Literatur

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