Therapieresistente Hypertonie: Liegt‘s doch an mangelnder Adhärenz?
Nicht wenige Patienten mit einer vermeintlich therapieresistenten Hypertonie nehmen ihre Medikamente nicht wie verordnet ein – selbst dann, wenn von einer guten Therapieadhärenz auszugehen ist. Das jedenfalls legen aktuelle Daten nahe.
Mangelnde Therapieadhärenz könnte öfter der Grund für eine vermeintlich therapieresistente Hypertonie sein als gedacht. In einer retrospektiven Studie war ein Drittel der Patientinnen und Patienten, deren Blutdruck trotz Verordnung von ≥ 3 Blutdrucksenkern weiterhin ≥ 135 mmHg gelegen hatte, letztlich doch nicht therapieadhärent, obwohl sie zunächst als compliant eingestuft worden sind. Aufgedeckt wurde die mangelnde Adhärenz durch mehrfache Messungen der Wirkstoffkonzentrationen im Serum.
„Non-Adhärenz wird womöglich unterschätzt“
„Unsere Befunde illustrieren, dass eine Non-Adhärenz womöglich unterschätzt wird und sie schwierig aufzudecken ist, und dass einige Methoden zur Detektion einer Non-Adhärenz womöglich sensitiver sind als andere“, schließen die Studienautorinnen um Dr. Lene Halvorsen von der Universitätsklinik in Oslo aus ihren Ergebnissen.
Für die aktuelle Analyse wurden Patientendaten der Oslo RDN-Studie herangezogen. Für Oslo RDN sind Patientinnen und Patienten mit einer therapieresistenten Hypertonie (definiert als systolischer Blutdruck ≥ 135 mmHg trotz ≥ 3 Blutdrucksenker) rekrutiert worden, um Nutzen und Sicherheit einer renalen Denervation in dieser Indikation zu untersuchen. Voraussetzung für die Studienteilnahme war, dass die Patienten adhärent zu den ihnen bis dato verordneten Medikamenten waren. Überprüft wurde dies durch eine Strategie, die als „directly observed therapy“, kurz DOT, bezeichnet wird. Dafür mussten die Patienten ihre Medikamente unter Aufsicht einer Person einnehmen. Wenn in der Folge der Blutdruck weiterhin ≥ 135 mmHg gelegen hatte, wurde der Patient als therapieadhärent eingestuft, und man ging von einer „echten“ Therapieresistenz aus.
Während des 7-jährigen Follow-up wurden bei 19 Teilnehmenden der Oslo RDN-Studie (insgesamt n= 65) zu vier verschiedenen Zeitpunkten Blut abgenommen, um die Serumwirkstoffkonzentrationen der Blutdrucksenker mithilfe einer Flüssigchromatografie mit Massenspektrometrie-Kopplung bestimmen zu können. Für die aktuelle Analyse werteten Halvorsen und Kollegen diese Befunde retrospektiv aus.
37% mit verdächtigen Serumkonzentrationen
Dabei stellten sie fest, dass 7 Patienten – also 37% – gemäß ihrer Serumkonzentrationen nicht adhärent oder teilweise nicht adhärent waren (obwohl sie zu Baseline laut DOT als adhärent eingestuft worden sind). Bei diesen Patienten ließ sich also zu mindestens einem Messzeitpunkt entweder gar keine Wirkstoffkonzentration („nicht adhärent“) oder nur Konzentrationen bestimmter Antihypertensiva, aber nicht aller verordneter Medikamente („teilweise nicht adhärent“) nachweisen. Bei vier Patienten wurde mehrmals eine Non-Adhärenz festgestellt, bei dreien einmalig.
Wie die Autorinnen ausführen, haben letztlich insgesamt fünf Patienten die Kriterien einer therapieresistenten Hypertonie nicht erfüllt. Diese Patienten wären somit für eine renale Denervation nicht infrage gekommen, wenn die Therapieadhärenz zu Beginn der Oslo RDN-Studie anhand der Wirkstoffkonzentrationen im Serum festgemacht worden wäre und nicht anhand der DOT-Strategie, erläutern sie.
Selbstangaben korrelierten nicht mit tatsächlicher Therapieadhärenz
Alle als nachträglich „nicht adhärent“ eingestufte Patienten und Patientinnen hatten sich selbst als ziemlich adhärent eingestuft. Die diesbezüglichen Selbstangaben unterschieden sich auch nicht wesentlich von den Auskünften, welche die als „adhärent“ eingestuften Patienten gemacht hatten.
Auffällig ist, dass den „nicht adhärenten“ Patienten die Notwendigkeit der medikamentösen Behandlung weniger bewusst war und häufiger Bedenken gegenüber der Behandlung vorherrschten; festgemacht wurde dies an dafür entwickelten Scores (p=0,003). Die Autoren nehmen deshalb an, dass die geringe Überzeugung vom Nutzen einer blutdrucksenkenden Behandlung eine Ursache für die mangelhafte Therapieadhärenz sein könnte.
Pharmakogenetik mögliche Erklärung für mangelnde Therapieadhärenz
Eine andere Erklärung könnte ihrer Ansicht nach in der Pharmakogenetik liegen. Bei immerhin sechs der insgesamt sieben als „nicht adhärent“ eingestuften Patienten lagen CYP-Polymorphismen vor (meist reduzierter Metabolismus von Betablockern). Diese Genvariationen hätten womöglich höhere Wirkstoffkonzentrationen zur Folge gehabt, erläutern sie, und deshalb hätten die Patienten vielleicht mehr Nebenwirkungen verspürt. Die Studienautoren vermuten, dass die Betroffenen dadurch verleitet waren, Medikamente gar nicht oder in reduzierter Dosis einzunehmen. Beweisen können sie ihre These aber nicht, weil mit der Therapie einhergehende Nebenwirkungen über die gesamte Studienzeit nicht erfasst worden sind.
Eine wichtige Limitation der Studie ist die geringe Patientenzahl. Die untersuchten Probanden stellten zudem ein vorselektiertes Kollektiv dar (sie wurden von Spezialisten /Kliniken im Vorfeld als therapieresistent eingestuft und dann erst in die Studie eingeschleust). Die tatsächlich Inzidenz einer mangelnden Therapieadhärenz könnte also noch höher liegen.
Literatur
Halvorsen L: Nonadherence by Serum Drug Analyses in Resistant Hypertension: 7-Year Follow-Up of Patients Considered Adherent by Directly Observed Therapy; J Am Heart Assoc. 2022;11:e025879. DOI: 10.1161/JAHA.121.025879 1