FFR-gesteuerte Mehrgefäß-PCI bei Herzinfarkt ohne Vorteil
Wird bei Patienten mit ST-Hebungs-Myokardinfarkt (STEMI) und koronarer Mehrgefäßerkrankung eine komplette Revaskularisation angestrebt, ist eine FFR-gesteuerte Strategie in ihren klinischen Ergebnissen nicht besser als eine Angiografie-basierte Vorgehensweise, zeigt die FLOWER-MI-Studie.
Dass bei Patienten mit STEMI und koronarer Mehrgefäßerkrankung bei der perkutanen Koronarintervention (PCI) nicht nur die verschlossene Infarktarterie (culprit lesion) revaskularisiert werden sollte, sondern zusätzlich auch eine Revaskularisation anderer verengter Koronararterien (non culprit lesions) „in Betracht gezogen werden kann“ (komplette Revaskularisation), ist 2017 als vorsichtige Klasse-IIb-Empfehlung in die europäischen STEMI-Leitlinien aufgenommen worden.
Ob die Messung der fraktionellen Flussreserve (FFR) als Methode zur Bestimmung der hämodynamischen Relevanz von Koronarstenosen auch bei einer kompletten Revaskularisation im Vergleich zum Angiografie-geleiteten Prozedere klinisch von Vorteil ist, war bislang unklar. Aufschluss darüber sollte die beim virtuellen ACC-Kongress vorgestellte FLOWER-MI-Studie bringen.
Kein Unterschied beim primären Endpunkt
Vor dem Hintergrund von Studien wie FAME, in denen sich eine FFR-basierte Revaskularisation bei stabilen KHK-Patienten mit Mehrgefäßerkrankung als vorteilhaft erwiesen hat, dürfte die Erwartung groß gewesen sein, dass FLOWER-MI die Vorteile dieser Strategie auch bei STEMI-Patienten bestätigen würde. Doch diese Erwartung wurde enttäuscht.
Das sind die von Studienleiter Prof. Etienne Puymirat vom Hôpital Européen Georges Pompidou in Paris beim ACC-Kongress präsentierten und simultan im „New England Journal of Medicine“ publizierten Ergebnisse:
- Nach einem Jahr waren die Raten für den primären kombinierten Studienendpunkt, der die Ereignisse Tod, nicht tödlicher Myokardinfarkt sowie ungeplante Hospitalisierung wegen Notfall-Revaskularisierung (urgent revascularization) umfasste, mit 5,5% (FFR-geleitete Strategie) und 4,2% (Angio-geleitete Strategie) nicht signifikant unterschiedlich (Hazard Ratio: 1.32; 95% Konfidenzinterval: 0,78 – 2,23; p=0,31).
- Im Studienzeitraum starben neun Patienten (1,5%) in der FFR-Gruppe und zehn Patienten (1,7%) in der Gruppe mit Angiografie-geleiteter Revaskularisation.
- Ein nicht tödlicher Myokardinfarkt trat in dieser Zeit bei 18 Patienten (3,1%) respektive bei zehn Patienten (1,7%) auf.
- Die Zahl der ungeplanten Klinikeinweisungen mit konsekutiver Notfall-Revaskularisation betrug 15 (2,6%) versus 11 (1,9%).
In die FLOWER-MI-Studie waren an Herzzentren in Frankreich insgesamt 1171 Patienten mit STEMI und koronarer Mehrgefäßerkrankung aufgenommen worden. Sie wurden per Randomisierung einer Gruppe mit FFR-gesteuerter Revaskularisation (n=590) oder mit Angiografie-geleiteter Vorgehensweise (n=581) zugeteilt.
Geringe statistische Power als Limitierung
Die Revaskularisation der koronaren „Non-culprit“-Gefäße erfolgte in den meisten Fällen (zu mehr als 95%) in einer zweiten PCI-Prozedur zwei bis drei Tage nach erfolgreicher primärer PCI. Eigentlich war den beteiligten interventionellen Kardiologen eine komplette Revaskularisation schon während der initialen PCI nahegelegt worden war. Dagegen schienen aber in den allermeisten Fällen Bedenken bestanden zu haben.
Die durchschnittliche Zahl der pro Patient in stenosierten „Non-culprit”-Gefäßen implantierten Koronarstents betrug 1,01 in der FFR-Gruppe und 1,50 in der Angiografie-Gruppe.
Eine Limitierung der Studie ist sicher ihre relative geringe statistische Teststärke (power), die daraus resultiert, dass die Ereignisrate deutlich niedriger als erwartet war. Entsprechend breit sind die Konfidenzintervalle der Effektschätzungen – ein Umstand, der nach Auffassung der Studienautoren keine eindeutige und schlüssige Interpretation der Ergebnisse erlaubt.
Literatur
Vorgestellt beim ACC-Kongress 2021
Puymirat E. et al.: Multivessel PCI Guided by FFR or Angiography for Myocardial Infarction, N Engl J Med 2021, online 16. Mai. DOI: 10.1056/NEJMoa2104650