Nachrichten 29.12.2021

Patientin mit Vorboten einer Plaqueruptur – warum die Kardio-CT unverzichtbar ist

Eine 88-jährige Frau kommt nach einer Stentimplantation mit zunehmender Dyspnoe und Brustschmerz erneut in die Notaufnahme. Die Ärzte finden auffällige Plaques, auf die bereits die initial durchgeführte Kardio-CT Hinweise gegeben hat. Dieser Fall veranschaulicht das Potenzial der Kardio-CT, die in Deutschland vergleichsweise selten zum Einsatz kommt. 

Eine 88-jährige Frau bekam in unserem Krankenhaus eine elektive Hüft-Total-endoprothesen (TEP)-OP. Sie hatte in der Vergangenheit rezidivierende tiefe Beinvenenthrombosen (TVT) sowie eine stattgehabte Lungenarterienembolie und war auf dauerhafter Antikoagulationstherapie mit Rivaroxaban 20 mg/Tag, die im Rahmen der TEP-OP perioperativ pausiert wurde. Zudem bestand ein arterieller Hypertonus. 

Zwei Tage nach der OP klagte sie über progrediente Dyspnoe. Elektrokardiografisch und echokardiografisch zeigten sich altersgemäße Befunde; duplexsonografisch konnte eine TVT ausgeschlossen werden. Laborchemisch fiel ein leicht erhöhtes Troponin auf.

„Triple-Rule-Out“-Kardio-CT 

Wegen der Vorgeschichte wurde eine „Triple-Rule-Out“-Kardio-CT durchgeführt, die eine Lungenarterienembolie ausschloss, aber mit Nachweis einer koronaren Dreigefäßerkrankung und hochgradiger Stenose der RCA (rechte Koronararterie; Abb. 1A) und moderaten Stenosen der LAD und LCX („left anterior descending“/„left circumflex artery). Dies wurde bei einer Herzkatheteruntersuchung bestätigt und die hochgradige RCA-Stenose konnte mittels 1-fach- Drug-Eluting-Stent (DES)-Implantation behandelt werden (Abb. 1B und C). Wegen der residualen moderaten Stenosen in LAD und LCX (Abb. 1D) wurde dann eine pharmakologische Stressechokardiografie durchgeführt, mit negativem Ischämienachweis. 

Die inzwischen beschwerdefreie Patientin wurde mit dualer Gerinnungshemmung (Rivaroxaban 15 mg/Tag und Clopidogrel 75 mg/Tag) und Statintherapie entlassen.

Patientin kommt erneut in Nofaufnahme

Vier Wochen später stellte sie sich erneut in unserer Notaufnahme vor, mit
zunehmender Dyspnoe und pektanginösen Beschwerden. Elektrokardiografisch
und echokardiografisch zeigten sich jeweils ST-Senkungen in V4–V6 und neue
Wandbewegungsstörungen inferior und lateral. Auch das Troponin war deutlich erhöht (1.756 ng/l; normal ˂14 ng/l). Bei NSTEMI fand umgehend eine erneute
Herzkatheteruntersuchung statt, in der sich ein gutes Kurzzeitresultat nach Rekanalisation der RCA zeigte, aber überraschend auch ein de novo subtotaler Verschluss der LCX (Abb. 1E). Die LCX wurde in der gleichen Sitzung per 1-fach-DES-Implantation behandelt. Nach Sanierung der LCX wurde die proximale LAD-Stenose mittels IVUS (intravaskulärer Ultraschall; Abb. 1E) evaluiert, mit Nachweis einer großen „Low Attenuation“-Plaque in der proximalen LAD (Abb. 1F). Dieser wurde ebenfalls per 1-fach-DES-Implantation saniert (Abb. 1G). 

Vorboten einer Plaque-Ruptur sichtbar gewesen

Die Sichtung der initial durchgeführten Kardio-CT verwies auf multiple Merkmale der Plaque-Instabilität: Positives Remodeling (rot gestrichelte Linie:
Hinweis auf Gefäßexpansion >10 % vs. Referenzparameter), Mikrokalzifizierung in der Gefäßwand (blauer Pfeil) und eine große „Low Attenuation“-Plaque (gelbe
Pfeile: gemischte größtenteils nicht kalzifizierte lipidreiche Plaque), alles Vorboten einer akuten Plaqueruptur (Abb. 1H). 

Die duale Gerinnungshemmung wurde weitergeführt und die lipidsenkende
Therapie auf 20 mg Rosuvastatin umgestellt. Die Troponinwerte waren nach dem zweiten Eingriff rückläufig und die Pumpfunktion hat sich nach 5
Tagen komplett normalisiert.


Abb. 1
Credit:
Korosoglou

Abb. 1: A: Nachweis einer koronaren 3-Gefäßerkrankung mit hochgradiger Stenose der RCA (Pfeil) und Step-Artefakt (*). B, C: RCA-Stenose vor und nach 1-fach-DESImplantation (Pfeile). D: Residuale moderaten LAD- und LCX-Stenosen (Pfeile). E: LCX-Gefäßverschluss (Pfeil) und IVUS-Evaluation der LAD-Stenose (gelb konturiert). F: „Low Attenuation“-Plaque-Nachweis. G: LAD und LCX nach Stenting. H: Initiale Kardio-CT mit Merkmalen der Plaque-Instabilität inkl. positives Remodeling (rot gestrichelte Linie), große „Low Attenuation“-Plaque (gelbe Pfeile) und Mikrokalzifizierung (blauer Pfeil). (Credit: Korosoglou)


Mit Kardio-CT Endpunkte verhindern

Die Kardio-CT hat in den letzten Jahren bei KHK-Patienten enorm an Bedeutung
gewonnen [1]. Das liegt auch an den Ergebnissen der SCOT-Heart-Studie [2], in
der mittels der Kardio-CT relevante kardiale Endpunkte verhindert werden konnten. Zudem bietet die Kardio-CT bei entsprechender Indikation, wie im
Fallbeispiel, ein „Triple-Rule-Out“ mit Nachweis bzw. Ausschluss von Lungenarterienembolie, KHK und Aortendissektion [3]. 

Ein weiterer großer Vorteil ist die Erfassung der Beschaffenheit der Gefäßwand [4]. Mehrere charakteristische Merkmale sind dabei als gefährliche
Vorboten einer Plaqueruptur beschrieben worden. Solche Risikomerkmale gelten als Prädiktoren für ein akutes Koronarsyndrom [5, 6, 7].

Trotz der aktuellen Datenlage bleibt die Behandlung von „High-Risk“-
Plaques weiterhin unklar. Wahrscheinlich profitieren Patienten von einer aggressiven lipidsenkenden (inkl. neue Therapien wie PCSK9-Inhibitoren, Inclisiran, Bempedoinsäure, Ezetimib) sowie ggf. einer antiinflammatorischen Therapie mit Colchicin. Ob eine invasive „prophylaktische“ Behandlung solcher Läsionen vorteilhaft ist, bleibt umstritten. Die Kardio-CT ist sicher ein optimales Werkzeug für den initialen Nachweis und die serielle Evaluation solcher Risikopatienten. 

Trotz entsprechender Evidenzen bleibt in Deutschland die Anzahl der Kardio-CT-Untersuchungen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern auffällig niedrig. Dies liegt u. a. an fehlenden Rückerstattungsmöglichkeiten, sodass hier hinsichtlich einer leitlinienkonformen Indikationsstellung zur KHK-Diagnostik Nachholbedarf besteht.


Fazit für die Praxis: 

  • Risikoprädiktoren für eine Plaqueruptur (positives Remodeling, Mikrokalzifizierungen, „Low Attenuation“-Plaque) sind im Kardio-CT nachweisbar.
  • Die leitliniengerechte Risikoevaluation der Patienten ist noch ausbaufähig.


Literatur

Aus CardioNews Ausgabe 12 2021

Literatur bei den Verfassern

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Abb. 1 /© Korosoglou
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