Pro/Kontra: Revaskularisierungs-Leitlinien ändern oder nicht?
Die EXCEL-Studie hat eine Debatte um die optimale Therapie der Hauptstammstenose angefacht. Welche Konsequenzen daraus gezogen werden sollten, bleibt weiter umstritten. Bei der Great-Debate-Sitzung des DGK-Kongresses kommen die unterschiedlichen Ansichten zur Sprache.
„Nicht zu hoch hängen“, dafür plädierten Kardiologen bei der Online-DGK-Jahrestagung angesichts der jetzt seit einem Jahr geführten Diskussionen um das optimale therapeutische Vorgehen bei Patienten mit einer linken Hauptstammstenose.
Als Reaktion auf die 5-Jahres-Daten der EXCEL-Studie und deren Interpretation in der entsprechenden Publikation hatte sich der chirurgische Hauptautor Ende 2019 von der Veröffentlichung distanziert. Und die Europäische Gesellschaft für kardiothorakale Chirurgie EACTS hatte mitgeteilt, das entsprechende Kapitel in der gemeinsam mit der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) herausgegebenen Leitlinie zur myokardialen Revaskularisierung nicht mehr mittragen zu können.
Prof Zeiher: "Leitlinie nicht ändern"
In dieser Leitlinie gibt es bei niedrigem SYNTAX-Score (0 bis 22) eine Klasse IA-Empfehlung für die PCI, die damit der Bypassoperation gleichgestellt ist. Bei mittlerem SYNTAX-Score (23 bis 32) erhält die PCI eine Klasse IIaA-Empfehlung, die Bypass-Operation eine IA-Empfehlung. Bei einem SYNTAX-Score ab 33 ist die PCI mit einer Klasse III Empfehlung kontraindiziert, sofern nicht zwingende Gründe gegen eine Bypassoperation sprechen.
„Ich bin der Meinung, dass die Leitlinie im Moment nicht geändert werden muss“, sagte DGK-Präsident Prof. Dr. Andreas Zeiher, Universitätsklinikum Frankfurt/Main. Leitlinienempfehlungen würden nicht auf einzelne Studien zugeschnitten, sondern seien breiter angelegt. Ausdrücklich begrüßt wurde von Zeiher allerdings die gemeinsame Ankündigung von ESC und EACTS, eine patientenindividuelle Metaanalyse vorzunehmen. Eine solche Metaanalyse gab es in der Vergangenheit schon einmal, sie liegt der aktuellen Leitlinie aus dem Jahr 2018 wesentlich zugrunde.
Zeihers Äußerung vorausgegangen war eine Pro-Contra-Sitzung, in der Prof. Andreas Böning, Chef der Herzchirurgie am Universitätsklinikum Gießen, für eine Änderung der EACTS/ESC-Leitlinie plädierte, während Prof. Dr. Stephan Windecker, Chef der Kardiologie am Universitätsspital Bern, die Gegenposition einnahm.
Interpretation der EXCEL- und NOBLE-Daten bleibt strittig
Böning sieht bei der IA-Empfehlung für die PCI bei niedrigem SYNTAX-Score unter anderem deswegen Änderungsbedarf, weil die Gesamtsterblichkeit der Patienten in der EXCEL-Studie signifikant höher war, wenn mit PCI behandelt wurde. Die Sterblichkeit war in EXCEL ein sekundärer Endpunkt, im primären Endpunkt – Tod, Schlaganfall und Herzinfarkt inklusive nach SCAI definierten periprozeduralen Herzinfarkten – gab es keinen Unterschied. Böning wies außerdem auf die NOBLE-Studie hin, in der die Herzchirurgie nicht nur bei hohem, sondern auch bei niedrigem SYNTAX-Score signifikant überlegen gewesen sei: „Die Klasse I-Empfehlung in der Leitlinie kann deswegen nicht aufrechterhalten werden“, so der Herzchirurg.
Windecker argumentiert wesentlich auf Basis der Metaanalysen aus dem Jahr 2018, in die außer den Studien EXCEL und NOBLE auch die älteren Studien PRECOMBAT und SYNTAX eingeflossen sind. Dort zeige sich kein Unterschied bei der Gesamtmortalität. Lediglich bei der Hauptstammstenose hoher Komplexität habe es einen signifikanten Vorteil für die Chirurgie gegeben, der entsprechend auch in der Leitlinie abgebildet werde. Was den Vorteil der Chirurgie bei niedrigem SYNTAX-Score in der NOBLE-Studie anging, wies Windecker darauf hin, dass hier nur durch die Studienärzte – und nicht durch ein unabhängiges Core-Lab – gescort worden sei.
Periprozedurale Infarkte: Neue Definition gesucht
Weitgehend Einigkeit herrschte darüber, dass die Definition periprozeduraler Herzinfarkte derzeit suboptimal ist. Das war ein weiterer Kritikpunkt der Chirurgen an der EXCEL-Studie. Der hat mit der Sterblichkeitsthematik nicht direkt zu tun, beeinflusst allerdings den primären Endpunkt. EXCEL hatte zunächst die periprozeduralen Infarkte nach SCAI-Definition berichtet. Diese Definition fußt wesentlich auf der CKMB-Messung und lässt klinische Zeichen weitgehend unberücksichtigt. So definiert hatte die PCI bei den periprozeduralen Infarkten Vorteile. Bei Nutzung der in EXCEL sekundär erhobenen, aber zunächst nicht berichteten, universellen Myokardinfarktdefinition, die Troponin und zusätzliche klinische Kriterien in den Vordergrund stellt, schneidet dagegen das chirurgische Vorgehen besser ab. Entsprechend würde sich dann auch der primäre Endpunkt zugunsten der Chirurgie verschieben.
Konsens im Heart Team
Zeiher betonte, dass Chirurgen und Kardiologen seiner Auffassung nach vor dem Hintergrund dieser Daten an einer gemeinsamen Definition periprozeduraler Infarkte noch einmal arbeiten müssen. Das sei aber nicht vordringlich, und es gehöre vor allem nicht in die Laienpresse. Insgesamt stehe mit dem Heart Team eine sehr gute Instanz zur Verfügung, die unabhängig von Leitliniendiskussionen beim einzelnen Patienten zu konsensuellen Entscheidungen und damit zu einer optimalen Versorgung führe.
Info |
Alle Vorträge von der DGK-Jahrestagung/Herztagen können Sie unter folgendem Link weiterhin on demand anschauen: https://dgk.meta-dcr.com/jtht2020/ |
Literatur
Sitzung: Great Debate I, 15.10.2020, 86. Jahrestagung und Herztage 2020 der DGK.